8. Dezember 2022 – Göteborg
Kurz vor 8 Uhr erreichten wir den Schärengürtel vor Göteborg. Wo war ich? Natürlich weiterhin auf Mein Schiff 3. Ganz oben mit dem Pott Kaffee in der Hand. Bedeckter Himmel, + 4°. Wieso Eiseskälte bei positiven Temperaturen? Ganz einfach: Der Wind pfiff mir um die Ohren; gefühlt – 5°.
Auf dem Deck war es spiegelglatt. Obwohl gestreut worden war, ließen sich damit an nicht wenigen Stellen die Eisplatten nicht verscheuchen. Also: langsam und vorsichtig bewegen!
Extra für uns: Die Sonne kam zwischen den Wolkenbänken hervor. Ein mächtiger Streifen, der sich allerdings nicht sehr lange hielt. Sie, die Sonne, ließ die mit Schnee bedeckten Schären deutlicher hervortreten. Felsen im Wasser wurden mehr und mehr. Einige waren mit Häusern bebaut, andere bestanden nur aus blankem Fels. Die Häuser bestanden vorwiegend aus Holz. Mehrheitlich nordisch braunrot oder weiß gestrichen.
Allmählich verließen wir die See. An Back- und auch an Steuerbord begleitete uns das Festland. Im Moment noch ein wenig entfernt. Aber sehr nahe immer wieder Schäreninseln.
Irgendwann kam die Ankündigung des Kapitäns, dass wir aufgrund erwarteter starker Winde eine Stunde früher ablegen würden. Für uns kein Problem – ob wir um 21 oder 22 Uhr das Weite suchten, war uns egal.
Kurz vor der Hafeneinfahrt meldete sich unser Magen mit einem Hinweis: Frühstückszeit! Okay, derartige Empfehlungen sollte man nicht übergehen. Auch wir nicht und schon saßen wir – das Anlegen beobachtend – im Anckelmanns und besprachen das Tagesprogramm. Es hieß nur „Göteborg“ – wir wollten uns in der Stadt nur treiben lassen.
Bevor diese Aktion startete, war noch Zeit für einen Rundgang ganz oben. Vom Heck aus sah es gut aus.
Schwedisch. Holzhäuschen, eine spärlich genutzte Marina, Schären, Schnee. Sogar ein riesiger Fleck blauen Himmels. Noch … Und wir froren dort oben – eiskalt. Ein Foto vom Bug aus sparen wir uns. Wir lagen am Rande des Industriegürtels vom größten Hafen Schwedens. Nicht so prickelnd …
Nun aber los in die Stadt. So einfach war es aber nicht – unser Schiff lag weit vom Zentrum entfernt. Am Arendal Cruise Terminal, direkt neben dem Volvo-Museum. Entgegen unserer Gewohnheit hatten wir uns entscheiden, mit dem Shuttle (€ 9,-- p.P. – „Tagesticket“) in die Stadt zu fahren und nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein guter Plan – allein auf dem Weg zur nächsten Haltestelle wären wir bestimmt nahezu erfroren. Trotz der Plusgrade – der starke, eiskalte Wind (jetzt schon?!) pfiff um sämtliche Ecken und nahm uns ins Visier. Deshalb: Anstellen in die lange, auf den Einlass in den Shuttlebus wartende Reihe, rein in den Bus und auf in die Innenstadt (15 bis 20 Minuten) und zwar bis kurz hinter dem Gustav Adolfs Torg.
Hauptperson auf diesem Platz ist – na, wer wohl? – natürlich unser alter Schwede Gustav II. Adolf, stocksteif seit 1854 auf einem Sockel stehend und ein wenig eingezäunt – nicht füttern! Interessant ist, dass die Statue die dritte Version ist. Das erste Standbild wurde von einer römischen Firma in Bronze gegossen. Nur die Legierung war nicht die beste – der Guss ging voll daneben. Anschließend fabrizierte eine Münchner Firma eine neue Statue. Der Guss gelang, Gustav Adolf fuhr quer durch Deutschland, wurde verschifft und … das Schiff sank. Ein Bronzeguss war nicht eben billig, also wurde Gustav Adolf von nach Lohn Lechzenden wieder aus dem Wasser in die Welt gehievt. Aber die Finder verlangten einen derartig hohen Finderlohn, dass sich die Stadtväter sagten, dass Gustav Adolf ihnen nicht so viel wert sei. Ergo: es wurde ein dritter Gustav Adolf gefertigt (bitte nicht fragen, von wem – wahrscheinlich zur Minimierung der Material- und Transportrisiken von einem heimischen Unternehmen) und dieser Gute steht seitdem oben auf seinem Sockel und schaut auf die von ihm gegründete Stadt … oder eher bis zu den Begrenzungen seines Platzes. Dazu gehört die ehemalige Börse. Von deren oberen schneeweißen Fassade schauen sechs Grazien auf das an diesem Tag nicht sehr ausgiebige Treiben herab. Sie symbolisieren Fleiß, Glück (daraus machte man später einfach Frieden), Handel, Seefahrt, Reichtum und Industrie. Die Börse wurde drei Jahre nach der endgültigen Version Gustav II Adolfs fertig gestellt. Links von der Börse schließt sich das einstige Stadtshuset an; beide Gebäude dienen heute der Stadtverwaltung. Außerdem bestaunt Gustav (na, lassen wir nun den Adolf) das ehemalige Rathaus aus dem Jahre 1672, in dem zeitweise (hoffentlich) Recht gesprochen wurde.
So, genug der Ehre Gustavs. Uns fiel unweit des Platzes ein großes rotes Herz ins Auge, aufgestellt auf einer Brücke über den Stora Hamnkanalen.
Dieses Herz musste ausgefüllt werden. Ausgefüllt mit wichtigeren (na ja …) Personen als Gustav. Wir stellten uns gerne zur Verfügung und ließen uns rot einrahmen vor einem imposanten Hintergrund – links und rechts vom Kanal alte, wunderbar in Schuss gehaltene Herrschaftshäuser und mittendrin die Tyska Kyrkan, die Deutsche Kirche, als älteste Kirche der Stadt.
Nach der Stadtgründung wurden viele protestantische Einwanderer wie Niederländer, Deutsche und Schotten ins Land geholt. Sie waren wichtig für die schnelle Entwicklung Göteborgs, z.B. die Niederländer als Spezialisten im Stadtbau. Ihren Einfluss zeigten sie, indem sie das seinerzeitige Stadtbild mit vielen Grachten prägten, von denen leider viele im Laufe der Zeit zugeschüttet wurden. Die Fremdstämmigen blieben in der Verwaltung nicht außen vor. So bestand der Stadtrat von 1641 aus vier Schweden, je drei Deutschen und Holländern und zwei Schotten. So, nun der Bogen zur Deutschen Kirche: Sie wurde für die Einwanderer gebaut. Die jetzige Ausgestaltung stammt aus dem Jahre 1783, nachdem die Vorgängerkirchen zweimal Bränden zum Opfer fielen. Interessant ist, dass noch heute der Pfarrer von der deutschen Evangelischen Kirche gestellt wird.
Weit waren wir noch nicht gekommen – aber das sollte sich ändern. Unser nächstes Ziel war die Hafengegend. Auf dem Weg dorthin schauten wir uns selbstverständlich das Kronhuset an.
1654 – das Magazin auf königlichem Boden wurde fertig gestellt. Man merkte, dass Niederländer am Werk waren. Das für die Armeeorganisation gedachte Gebäude trägt zweifelsohne holländische Merkmale. 1660 traf sich hier der von König Karl X. Gustav einberufene Reichstag. Karl X. überlebte die Sitzungen nicht und umgehend wurde i.R.d. Zusammenkunft der immerhin schon vierjährige Sohn zum neuen König ausgerufen. Um den Adel, die Geistlichkeit und das gemeine Volk nicht zu überfordern, erhielt der neue, in allen politischen Winkelzügen erfahrene Regent früh genug den für die Schweden ungewohnten Namen Karl mit einer XI. Das Kronhuset ist von außen wunderbar restauriert worden (von innen mit Sicherheit auch) und Veranstaltungsort für Konzerte.
Die besten Fotos „schossen“ wir vom Innenhof aus. Am Rande sahen wir kleine gelbliche Gebäude, Kronhusbodarna, in denen Kunsthandwerker auf betuchte Abnehmer warteten,
(also nicht auf uns) ein uriges Café und der Jahreszeit entsprechend zwei oder drei Weihnachtsbuden, für deren Öffnung es noch zu früh war.
Keine Müdigkeit vorschützen – weiter ging´s. Zunächst Richtung Haupteinkaufsstraße, der wir zum Hafen folgten. Es begann ein Baustellenmarathon. Vor dem Hafen und der Operagatan mussten wir eine Großbaustelle überwinden. Und standen – wie sollte es anders sein – vor der Oper, die uns jedoch nicht interessierte. Zum Singen war es zu früh. Aber der Blick auf den Lippenstift … Lippenstift?
Nein, ein Hochhaus. Was denn nun? Na ja, eine gewisse Ähnlichkeit besteht schon … Vor dem Lippenstift lag das seit Jahren fest vertäute Segelschiff Barken Viking. Es wird sicher noch Jahre so bleiben, denn die Masten sind höher als die in Richtung Kattegat zu bewältigende Brücke … aber dafür kann man auf dem Schiff übernachten – es ist ein 4-Sterne-Hotel auf dem Wasser!
Und vor der Barken Viking schaute uns ein steinerner alter und berühmter Schwede an. Evert Taube, schwedischer Liedermacher, Nationaldichter und Volkstroubadour. Für ihn eine große Ehre, da er auf dem nach dem führenden schwedischen Opernsänger des letzten Jahrhunderts genannten Platz sein Dasein fristen darf.
Tschüss, Evert, wir wollten noch mehr als Dich sehen. Deshalb: zurück auf die Einkaufsstraße mit leider zu vielen Geschäften. Sehr schnell kamen wir nicht vorwärts, denn unsere holde Weiblichkeit musste in dem einen oder anderen Laden Vergleiche mit den hiesigen Angeboten ziehen. Irgendwann blieben die Geschäfte (zunächst!) hinter uns und wir sahen ein Hinweisschild: Saluhallen. Richtig, die Erinnerung kam. Die große Markthalle war nicht mehr weit entfernt.
Die Stora Saluhallen stammen aus 1889, in den letzten Jahren rundum erneuert. Sie erinnerten ein wenig an alte, in dieser Zeit in Deutschland gebaute Bahnhöfe. Viel Stahl, viel Glas.
Keine Frage – wir mussten die Innenräume aufsuchen. Über 40 Verkaufsstände, Restaurants, Delikatessenläden, in denen es kuschelig voll war.
Weniger von Mein Schiff - Passagieren (zwar waren einige anwesend), sondern von der Stadtbevölkerung. Wir entvölkerten durch unser Verlassen der Markthalle das Gebäude und suchten den Weg zu einer in den letzten Jahren bevorzugten Sehenswürdigkeit, dem Stadtteil Haga. Zunächst durch kleine Sträßchen, die geprägt waren von festlich geschmückten Geschäften mit zum Glück von uns allen vernachlässigten Sonderangeboten. Bewacht wurden die Läden von einem grünen Rentier:
Ein schöner Einfall, die Passanten nicht nur mit Plastikgebilden sondern mit ökologisch einwandfreien (?) Gebilden zu erfreuen.
Das Rentier ließ uns passieren und wir suchten weiter den Stadtteil Haga. Nah und einfach zu erreichen war er nicht. Wir überquerten den Rosenlundskanal, folgten ihm durch einen weitläufigen Park und standen auf einmal vor der nächsten Großbaustelle. Mist, wir mussten auf die andere Seite dieser Baustelle! Die Ausschilderung für Fußgänger war nicht optimal, aber wir besiegten die Baustelle, rückten in den nächsten Stadtteil ein und standen vor einer Anhöhe.
Unser Blick ging nach oben. Nicht nur der Blick sondern auch ein Weg. Und nicht nur der Weg sondern auch Treppenstufen. Viele Treppenstufen, die zum Skansen Kronan im Skansparken führten. Und nun die Übersetzung, nee, die Beschreibung des Skansen Kronan: Als die Dänen frech geworden waren oder so, wurde diese Festung Ende des 17. Jahrhunderts gebaut. Eine richtig gute Investition! Die Kanonen dieser Festung hatten über Jahrhunderte hinweg keinen einzigen Schuss abgegeben. Auch bekam die Festung keinen einzigen Schuss ab. So wurde eine große Menge Geld gespart … Was machte man nun mit einer solchen Festung? Die Katakomben dienten später als Gefängnis; im Hof für den Freigang der Häftlinge befindet sich heute ein kleines Café.
Es soll urig sein, was wir nicht überprüfen wollten. Warum nicht? Es war zu gefährlich, über mit Schnee bedeckte Wege und Treppen nach oben zu gelangen. Aber nun die Wahrheit: Nach den zurückgelegten, nicht unbeträchtlichen Kilometern waren wir einfach zu faul …
Nur noch wenige Meter und Haga nahm uns auf.
Die Gründungsurkunde dieses Stadtviertels stammt aus 1647. Für die arbeitende Bevölkerung wurde erstmals außerhalb des Stadtgrabens eine Siedlung mit einfachsten Häusern – eher wohl Hütten – geschaffen. Jahrhunderte später baute man i.Z.m. der Industrialisierung in diesem Viertel Wohnstätten für Arbeiter. Das Ergebnis entwickelte sich im Laufe der Zeit katastrophal. Vor ca. 60 Jahre zog die Verwaltung aufgrund der hygienefremden Wohnbedingungen den Abriss des gesamten Viertels in Erwägung. Die Stadt erwarb ungefähr 80 % der Häuser, wollte mit dem Abriss beginnen und bekam Stress mit Bewohnern und Befürwortern der historischen Bauwerke. Das Ergebnis war ein Kompromiss – einige Häuser wurden abgerissen, andere liebevoll renoviert. Und es lohnte sich, vor allen Dingen auch deshalb, da die durch den Abriss entstandenen Baulücken mit tollen, dem alten Stil angepassten Wohnhäusern geschlossen wurden.
Nicht, dass es in Haga nur Holzhäuser gab. Steinbauten im Jugendstil lockerten das Stadtbild auf.
Viele Häuser waren weihnachtlich geschmückt.
Schade, dass wir nicht am Wochenende in Göteborg lagen – in Haga finden vor Weihnachten an jedem Wochenende Weihnachtsmärkte statt. In dieser Umgebung wäre es ein Augenschmaus für uns gewesen. Ansonsten bot Göteborg an diesem Tag recht wenig Weihnachtliches; wir hätten uns Richtung Freizeitpark Liseberg bewegen müssen und dazu hatten wir keine Lust.
Aber wir mussten weiter zum nächsten Programmpunkt „Fiskekyrkan“ oder Fischerkirche. Aus der Bezeichnung ist zu entnehmen, dass in diesem Gebäude Fische, allgemein Meerestiere, im Vordergrund stehen. Besser geschrieben standen. Denn mit dem Besuch der Fiskekyrkan war nix. Sie war eingerüstet und wurde entkernt. Zwischen ihr und unserem Ziel, dem Gustav Adolfs Torg mit der Haltestelle des Shuttlebusses, befand sich der Rosenlundskanal. Wie sollten wir ihn überqueren? Keine Brücke in Sichtweite. Schwimmen? Nee, zu kalt. Also Richtungsänderung zum Hafen. Endlich, wir ließen den Kanal hinter uns und sahen ein interessantes Objekt.
Das Schnitzelplatz Lagerhuset, das seit 2018 seinen Gästen in dem 1920 errichteten Lagerhaus alles rund ums Schnitzel anbietet. Zu für dieses Land u.E. moderaten Preisen. Selbst der Biernerd (wieder etwas gelernt!) soll auf seine Kosten kommen – frisches Pils wird wöchentlich per Tank aus Pilsen ankarrt.
Ein Blick auf den Stadtplan – wir erkannten, dass auf dem Weg zum Shuttle ohne großen Umweg die Gustavi Domkirka, die Domkirche, besucht werden konnte. Also auf … vor allen Dingen bergauf. Auch wenn die müden Füße protestierten – da mussten wir durch. Erst einmal nach oben, dann wieder nach unten und nach kurzer Zeit standen wir vor dem Göteborger Dom.
Dieser Dom ist der dritte Bau auf diesem Platz. Die beiden verheerenden Brände haben die alten Gotteshäuser auf dem Gewissen. Das aktuelle Bauwerk wurde 1827 eingeweiht und vor ca. 30 Jahren im klassizistischen Stil grundlegend renoviert. Übrigens steht der Dom auf dem uralten Friedhof. Man schätzt, dass auf ihm über Jahrhunderte hinweg ungefähr 23.000 Menschen ihre Ruhe fanden.
Gut, dass wir den kleinen Umweg genommen hatten. Im Dom gab es Sitzplätze
und unsere untersten Gliedmaßen bedankten sich. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass wir weiter mussten. Zum Glück war es nicht mehr sehr weit bis zur Tyska Kyrkan,
vor der – extra für uns bestellt! – ein Shuttlebus wartete. Und es dauerte nicht lange bis wir auf dem Schiff waren. Nach einer kurzen Ausruhphase verlangten unsere Körper einen Wachmacher. Nicht einen starken Kaffee – frische Luft. Wir gehorchten wie (fast) immer und stiefelten auf Deck 14. Immerhin noch + 3°, starker Wind mit der Folge, dass die Müdigkeit schnell verschwand.
Also Zeit, sich unter Deck wieder aufzuwärmen und danach wieder nach oben zu gehen. Zunächst gab es leichten, dann starken Schneefall. Leichte Böen gingen zu starken Böen über. Und weit weg über Göteborg gab´s eine Himmelerscheinung.
Woran erinnerte mich das nur???
An diesem Abend ergatterten wir tatsächlich einen Vierertisch im Atlantik Klassik. Das von uns zusammengestellte Menue schmeckte ausgezeichnet; das Steak war auf den Punkt gebraten. Während der Mahlzeit ließ unser Kapitän von sich hören: „Der Lotse ist bereits an Bord; Sturmböen lassen aber kein Auslaufen zu. Es wird – wie anfangs geplant – auf 22 Uhr verschoben; wahrscheinlich aber auf Mitternacht.“
Nach dem Abendessen mussten wir unbedingt noch einmal an die frische Luft. Es war trocken; lediglich leichter Wind; 3°. Dann kam die große Überraschung: Um 22 Uhr ertönte „Die große Freiheit“ …
Kommentare 3