Mittwoch, 18.05.2022
Ort: Invergordon
Wetter: Sonne, Wolken – und Wiiiiind!
Stimmung: Galgenhumorig
Der Tag beginnt, wie Dennie es uns in seinem morgendlichen Willkommensgruß verspricht, „windy“.
Sehr „windy“.
Wir fangen tapfer an, draußen im Belladonna zu frühstücken, doch als der Kellner auf einmal seine Kaffeemaschine umarmt, damit sie nicht davonfliegt, und die Stühle über das Deck schießen (ja, wirklich, Stühle können erstaunlich schnell sein wenn der Wind stark genug ist), ziehen wir lieber mal nach drinnen um.
Mich beschleicht die leise Befürchtung, dass das mit dem Radfahren heute ein wenig anstrengend werden könnte.
Aber noch ist es nicht so weit, nach der Einfahrt vorbei an wildromantischen Bohrinseln,
parkt Käpt'n Moritz Pankau die Sol elegant mit unserer Backbordseite im Hafen von Invergordon ein.
Es ist immer noch sehr windig und wir lassen es gemütlich angehen
Gegen viertel vor eins sind wir absprachegemäß an der Pier, um unseren Bike-Ausflug zu beginnen.
Dort erwartet uns ein Guide mit der traurigen Nachricht, dass der Bike-Ausflug gecancelt wurde.
Sie sind die Strecke heute Morgen abgefahren und sind zu der Überzeugung gekommen, dass die Tour aufgrund der Sturmböen nicht sinnvoll und zu gefährlich ist.
Schade!
Wir können das ja verstehen, Sicherheit geht vor.
Das Problem ist nur, dass wir auf keinen anderen Ausflug mehr umbuchen können, weil inzwischen alle unterwegs sind.
Wir beraten kurz und kommen zu dem Ergebnis, dass wir uns dann halt Invergordon anschauen werden.
Wir haben zwar bislang nicht viel Positives über das Städtchen gehört, aber so schlimm wird es schon nicht sein – oder?
Nun ja, ich sag mal so.
Wenn man kreativ und abenteuerlustig ist wie wir, dann kann man aus jeder Stadt was machen.
Einen gewissen Galgenhumor hatten Nele und ich schon damals in der Schule.
Wir kennen uns seit der 6. Klasse und haben schon viel zusammen erlebt.
Haben nicht selten hektisch auf der Busfahrt zur Schule die Hausaufgaben abgeschrieben, gegen unfaire Lehrer gekämpft und waren lange der festen Überzeugung, dass wir niemals nie mit einem Jungen Eisessen gehen werden, weil die alle einfach nur dämlich sind.
Da kann uns doch ein etwas verpatzter Urlaubstag nicht schockieren!
Wir stellen uns also tapfer der folgenden Herausforderung: Wetten, dass wir es schaffen, eine abgewrackte und wirklich komplett ereignislose Stadt im Whatsapp-Status zu einer großartigen Urlaubslocation aufzupimpen, sodass unsere Bekannten denken, wir hätten den besten und aufregendsten Reisetag ever?
Nele findet, dass wir das durchaus unter „Selection – Land und Leute kennenlernen“ zusammenfassen können, schließlich ist unsere Reise so von Aida beworben worden.
Also haltet euch fest, hier kommen die TOP 7, die man in Invergordon auf GAR KEINEN FALL verpassen darf:
TOP 1: Das großartige und legendäre Castle von Invergordon
... Okay, es ist nur ein läppischer Kirchturm. Der blaue Himmel reißt's raus.
TOP 2: Die weltberühmte Destillerie der Stadt nebst fachkundiger Information durch einen motivierten Mitarbeiter
... Okay, hier wird nur Getreide geheckselt und Security-Guard Brian, der vor lauter Langeweile nix zu tun hatte, hat uns ein paar Dinge über das trübsinnige Dahinvegetieren in Invergordon erzählt
TOP 3: Die Seaside mit Blick auf die Aida Sol
... Und die Bohrinseln. Viele. Hässliche. Bohrinseln.
TOP 4: Die vielseitigen Straßen der Stadt...
... die sich lediglich dadurch auszeichnen, dass sogar die Möwen hier nur dahingerotzte Nester bauen
TOP 5: Das kulturell hochwertige Museum
(„It’s closed and I don’t have the key“ brüllt uns eine Dame zu, die aus dem Museum kommt, eilig in ihr Auto steigt und es anscheinend gar nicht erwarten kann, von hier wegzufahren. I feel you, sister.)
TOP 6 Der Anker von Invergordon
... Soll wohl ein Monument darstellen, ist aber nur ein unmotiviert am Straßenrand rumliegender überdimensionaler Anker
TOP 7 Das Ortseingangssschild...
...das all denen, die nicht rasch genug aufs Gaspedal treten und durch den Ort durchzischen, in riesigen Lettern entgegenschreit, dass hier die weltberühmten Stoltman-Brothers herkommen, die stärksten Männer wahlweise der Welt, Europas oder doch mindestens Großbritanniens.
ENDE DER TOP 7
Nele findet, dass wir anfangen sollten, unsere eigenen Reiseführer zu schreiben. Die Leute kaufen heutzutage doch jeden Schrott, wenn er nur nett genug aussieht.
Ich gebe zurück, dass ich das als etwaige Jobchance im Hinterkopf behalten werde, sollte ich mal keine Lust mehr auf meinen jetzigen Beruf haben.
Auf Security-Guard Brians Rat bezüglich unserer Frage, wo wir uns hier in Invergordon denn noch irgendwas anschauen können (seine Antwort grob übersetzt: „Da kommt nix mehr, geht mal zurück, aber viel schöner isses da auch nicht“) gehen wir wieder in Richtung Schiff und schlendern ein Stück weiter. Und dort erwartet uns dann etwas, das wir so gar nicht erwartet hatten: Ein richtig hübscher Ausblick über das Wasser, mit sattgrünen Hügeln im Hintergrund.
Wir sind so entzückt darüber (gut, unsere Maßstäbe sind mittlerweile auch seeeehr tief gesunken), dass wir gefühlte 96.517 Fotos machen.
Der Herr im Wohnmobil schräg hinter uns muss uns für bekloppt gehalten haben. Aber das ist uns egal, wir stellen fleißig Fotos der „Schottischen Highlands“ in unseren Status und sind einmal mehr davon überzeugt, dass man so ziemlich alles schön aussehen lassen kann, wenn man es aus der richtigen Perspektive fotografiert.
Ein paar Meter weiter wären nämlich nur Bohrinseln bzw. schnöde Landstraße zu sehen gewesen.
Gewusst wie!
Zurück auf dem Schiff gibt es für uns ein leckeres Essen im Brauhaus und dann chillen wir noch ein bisschen auf dem Pooldeck.
Mittlerweile hat sich der Wind etwas gelegt und die Sonne kommt heraus, was uns ein wenig mit Invergordon versöhnt.
Abends im Belladonna gibt es für uns asiatisches Essen, lecker.
Leider ist das East Restaurant auf der Reise zu, wahrscheinlich, weil wir nur halb so viele Gäste sind, wie eigentlich auf die Sol draufpassen. Dafür ist es aber auch ansonsten angenehm von der Belegung her, da kann man das geschlossene East verschmerzen.
Das Auslaufen um 19 Uhr ist dann wieder windig und kühl.
Wir holen uns noch unsere Fahrradhelme und Rucksäcke für morgen ab - denn wir sind festentschlossen, morgen die Fahrradtour in Lerwick auf den Shetlandinseln zu machen. Wehe, die wird auch abgesagt!
Auf die Shetland-Inseln haben wir uns vor der Reise mit am allermeisten gefreut.
Und wenn Nele ihre geliebten Shetlandponys nicht zu sehen bekommt, dann wird es extrem schwierig werden, sie wieder aufzubauen.
Ungefähr so wie damals, als sie dann irgendwann doch mit einem Jungen Eisessen gegangen ist und der dann drei Tage später mit ihrer ehemals zweitbesten Freundin im Kino war.
Abends schauen wir uns auf Deck 9 im Theatrium die Show „Can you feel it“ an und sind angenehm überrascht.
Mr. Krawattennadel macht eine recht gute Figur im quietschbunten Outfit und die Songs der 60er und 70er Jahre rocken.
Dennie, der wie immer durch den Abend führt, hat mal wieder ein Outfit an, das Fragen aufwirft.
Nele stellt die nicht ganz unberechtigte Frage, wie der bloß in die schwarze knallenge Streifenhose reingekommen ist. Ich will das lieber gar nicht wissen. Dazu ist die Weste knallpink und das Shirt darunter geringelt.
Nun ja, jedem das seine.
Auf der Kabine packen wir unsere Rucksäcke – morgen heißt es um 6:20 Uhr aufstehen!
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