29. Juni 2023 – Bremerhaven
Vor unserer Kreuzfahrt hatten wir beschlossen, sie geruhsam anzugehen. Aus diesem Grunde fuhren wir bereits zwei Tage vorher Richtung Nordsee. Wir wollten das Meer sehen … und als wir ankamen, war es weg … und kurze Zeit wieder da. Welch ein Glück …
Der Tag des Ablegens kam. Zunächst ein gemütliches Frühstück und danach kamen wir nach einer knappen Stunde in Bremerhaven an. Unser Auto wurde beim Parkplatzbetreiber abgestellt und wir per Shuttle zum Kreuzfahrtterminal gebracht. Oh je – eine irre lange Menschenschlange … Aber kein Problem – wir mit unserem ersten gebuchten Check-in-Fenster hatten quasi Vorfahrt und so betraten wir nach ca. einer Stunde unsere Kabine. Handgepäck abgestellt und runter zur ersten Stärkung an Bord. Ins Tag und Nacht – Restaurant. Der obligatorische Begrüßungshamburger musste daran glauben! Anschließend ließen wir auf Deck 14 mehrere Prisen Bremerhaven-Luft um unsere Nasen ziehen; danach kam das nächste freudige Ereignis: Kofferinhalt in die Schränke packen! Ja, freudiges Ereignis. Denn das bedeutete, dass wir für 12 Tage auf dem Schiff angekommen sind.
Schnell nahte der Zeitpunkt des Ablegens, der allerdings von 17 Uhr auf 18 Uhr verschoben wurde. Der Grund? Keine Ahnung. Oder lag es daran, dass sich ca. 7 % der Passagiere zunächst um die vorgeschriebenen Sicherheitseinweisung drücken wollten? Egal – kurz vor dem endgültigen Ablegen um 18 Uhr holte ich den Begrüßungssekt und wir stießen auf unsere lang ersehnte Kreuzfahrt an.
Wir ließen an der Steuerbordseite die Manara hinter uns,
ein Kreuzfahrtschiff mit unglücklicher Vergangenheit. Sie wurde auftrags der Genting-Tochter Dream Cruises in der Meyer Werft gebaut und ab Oktober 2017 als World Dream in Asien eingesetzt. 2020 kam Corona – wegen nicht weniger Verdachtsfälle wurde das Schiff in Hongkong unter Quarantäne gestellt. Vorbei war es zunächst mit Kreuzfahrten; vorbei war es auch mit Dream Cruises – Insolvenz mit der Folge, dass die KfW ihren Daumen auf das Schiff drückte. Die World Dream wurde versteigert; Cruise Saudi, einer der Hauptaktionäre von Carnival, bekam für einen Appel und ein Ei den Zuschlag, nannte das Schiff in Manara um und orderte es nach Bremerhaven, wo es in der Werft von asiatische auf westliche Bedürfnisse gebracht werden soll.
Das Wetter: Ab und zu tröpfelte es (der Grund, dass wir das sail-away auf dem Balkon verfolgten); es war sehr diesig = norddeutsch grau,
so dass wir uns nach dem Verlassen des Containerhafens nach innen verkrümelten. Wenig später liefen wir ins Atlantik ein. Lecker – auch die an diesem Abend gebotene Landesspezialität Labskaus. Leider fehlte der Rollmops und das Gericht war entgegen der Gepflogenheiten an Land sehr übersichtlich.
Aber egal – fünf Gänge machten satt! Eins fehlte noch an diesem Abend: der Absacker in Form eines Mai Tai. Ich genoss ihn während der Begrüßung „Willkommen an Bord“ auf Deck 12. Viel war nicht los. Einige wenige hockten vor der Bühne, andere beschäftigten sich – wie auch ich – mit dem Inhalt der Gläser. Wir gehörten zu der Handvoll Passagiere, die das Vorbeiziehen der Insel Helgoland und der AIDAsol aktiv miterlebten. Das war´s aber dann mit unseren Aktivitäten – wir ließen uns leicht in den Schlaf schaukeln …
30.Juni 2023 – Seetag 1
Ich wachte kurz nach 2 Uhr auf. Es war bereits recht hell und ganz fern am Horizont war über ein Wolkenband ein breiter dunkelroter Streifen zu erkennen. Also noch einmal auf die Seite drehen und weiter schlafen in der Hoffnung, dass ich zum Sonnenaufgang wach wurde. Nein, Morpheus Arme hielten mich so eng umschlungen, dass ich erst wach wurde, als die Sonne hoch am Himmel stand. Schnell raus und auf zur ersten Deckrunde des Tages mit dem Kaffeepott in der Hand. Frisch war´s, Sonne, Wolken, Windstärke 6. Alles Muntermacher!
Wir frühstückten im Atlantik und gingen so dem Seetagsgewusel im Anckelmanns aus dem Weg. Übrigens – die Lachshäppchen schmeckten nicht nur nach Meer sondern auch nach mehr. Und dieses Mehr musste bei einigen, nein, insgesamt vielen Runden auf dem Oberdeck ausgeglichen werden. Die reine Erholung bei zeitweiligem Sonnenschein und 18°.
Bis die Pflicht rief – Mittagessen, das wir mit dem Buffetangebot des Gosch´ bereicherten. Nach dem Essen sollst Du … nein, wir bevorzugten die (mehr als) 1.000 Schritte, um Entlastung vor Kaffee- und Kuchenpause zu schaffen. Um 17 Uhr trafen wir andere, uns persönlich noch unbekannte Mitreisende in der Außenalster, um uns zu „beschnuppern“. Wir hatten im Wasserurlaub-Forum Kontakt aufgenommen, um gemeinsame Ausflüge mit örtlichen Anbietern zu unternehmen. Der Funke sprang schnell über und nur die einsetzende Kälte zeigte uns, wie die Zeit verging. Also stand Aufwärmen an und zwar im Anckelmanns. Eine leckere Auswahl vielfältiger Speisen erwartete uns, die wir gerne aufnahmen. Und dann … wie üblich unsere Runden auf Deck 14. Alte Leute benötigen schließlich Bewegung …
1.Juli 2023 – Kirkwall
Ungefähr 6 Uhr warf ich einen ersten Blick durch die Gardinen. Orkney-Wetter, dargestellt vom Literaturnobelpreisträger Dichter Nebel. Kein Weit- und auch kein Durchblick. Es änderte sich ein wenig, als die ersten Inseln auftauchten. Unbewohnt, soweit wir es erkennen konnten. Und eintönig grau. Und dann? Als ich auf dem von Petrus ausgiebig gewaschenen Deck 14
meine Kaffeerunde drehte, machte sich nach und nach der Dichter Nebel dünne. Immer dünner und so sahen wir, dass wir uns langsam, aber sicher Kirkwall näherten. Der Leuchtturm Heliar Holm und das Balfour Castle auf der Orkney-Insel Shapinsay wurden passiert.
Alles allerdings vor weiterhin grauem Hintergrund – der Tagesbeginn war nicht optimal. Also steigerungsfähig. Ein Grund, das Frühstück zu verputzen, den schnellen Face-Check durchzustehen und anschließend den Landgang zu beginnen. Wie bereits zu Hause über das Forum vereinbart zu sechst. Weiterhin mit Frank von Odin Tours, der unserer Kleingruppe interessante Stätten und umfangreiche Hintergrundinformationen vermittelte.
Schnell verließen wir unser Schiff, sahen ein wenig von Kirkwall und fuhren durch die grüne Orkney-Landschaft. Felder, Weiden, vereinzelt kleine Wäldchen, ab und zu einzelne Bäume, die sich in dieser an der Nordsee grenzenden Gegend recht gut entwickeln konnten. Plötzlich tauchte vor uns eine weitflächige, geschichtsträchtige Bucht auf, eingerahmt von sechs mehr oder weniger großen Orkney-Inseln.
Ein Naturhafen, der nicht nur im Ersten und Zweiten Weltkrieg von der britischen Flotte genutzt wurde. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges versammelte sich dort ein nicht unbeträchtlicher Teil der britischen Marine. Auch mit nur einfachen Sicherungsmaßnahmen war die britische Admiralität der Meinung, dass kein feindlicher Angriff die hier liegenden Schiffe gefährden konnte. Pustekuchen – in einer Nacht- und Nebelaktion – na ja, es war Vollmond – schlich das von Kapitänleutnant Günther Prien geführte U-Boot in die Bucht und versenkte das Schlachtschiff Royal Oak; 833 Seeleute starben. Die ungenügende Sicherung der Bucht und damit der Kriegsschiffe stank ganz besonders dem Marineminister Winston Churchill. Abhilfe musste her; die Bucht musste gesichert werden. Und zwar auch mit Hilfe von ca. 1.300 italienischen Kriegsgefangenen, ein Teil der bis zu 2.000 Arbeitern, die 250.000 t Geröll in Drahtschotterkästen füllten und den Fluten übergaben. Sie bildeten das „Fundament“ von vier, die Inseln verbindenden Dämme, die aus 66.000 Betonblöcken angelegt wurden. Fertig wurden die als Churchill Barriers bekannten Dämme
übrigens erst wenige Tage nach Kriegende. Auf diesen zunächst als Sicherung der Zugänge zur Bucht gedachten Dämme verlaufen seit vielen Jahrzehnten Straßen zwischen den Inseln.
Kommen wir zurück zu den italienischen Kriegsgefangenen. Sie wurden aus dem heißen Nordafrika auf die rauen Orkneys deportiert. Von der Hitze in die Kälte. Ein Schock! Dazu noch weit getrennt von der Heimat und den Lieben. Allein gelassen. Ein Grund, sich in dieser für sie unwirtlichen Gegend ein Stück Heimat zu schaffen. Zum Heimatgefühl gehörte bei den Italienern – besonders in Kriegszeiten – der Glaube. Angeführt von einem Maler schufen sie in ihrer eingeschränkten Freizeit nach der Knochenarbeit mit einfachsten Mitteln und mit Unterstützung der britischen Lagerleitung ein kleines Stückchen Zuhause – die Italienische Kapelle.
Ihr Arbeitsmaterial waren in erster Linie Relikte des Krieges: Baukörper = Nissenhütten; Gitter: Teile von Schiffen; Betonarmierung = Stacheldraht …
Es entstand ein Juwel,
das in den Nachkriegsjahren zunehmen zerfiel, aber durch die Initiative einiger ehemaliger italienischer Kriegsgefangener wieder instandgesetzt wurde. Zwischen den Ex-Kriegsgefangenen und der heimischen Bevölkerung entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Gemeinsame Gottesdienste wurden/werden von mehreren Religionsgemeinschaften abgehalten – Ökumene live. Welcher Stellenwert der Italienischen Kapelle zugeordnet wird, erkennt man daran, dass derzeit eine Restauratorin der Sixtinischen Kapelle den aktuellen Zustand untersucht.
Wir verließen diese beeindruckende Stätte und umrundeten weiter Scapa Flow. Halt machten wir in der Nähe der Bring Deeps.
Dort „lagerten“ gegen Ende des 1. Weltkriegs die deutschen Hochseestreitkräfte, umringt und „bewacht“ von Minen und britischen Kriegsschiffen. Dem Befehlshaber der deutschen Flotte, Konteradmiral Ludwig von Reuter, war klar, was bei Friedenschluss mit den Schiffen geschehen sollte – die Briten würden sie einsacken. Das war nicht im Sinne des Admirals. Ohne Abstimmung mit der Reichsregierung befahl von Reuter im Juni 1919 die Selbstversenkung der Schiffe durch Öffnung der Seeventile. Die nach Ankunft der Schiffe in der Bucht verbliebene Notbesatzung verließ in Booten die Schiffe und die Briten eröffneten das Feuer auf sie. Einige deutsche Marinesoldaten bezahlten diese Aktion mit ihrem Leben; von Reuter und seine Marinesoldaten wurden wegen Zerstörung britischen Eigentums gefangen genommen, aber Ende Januar 1920 freigelassen. Insgesamt wurden 74 Schiffe versenkt bzw. auf Grund gesetzt.
Ein britischer Unternehmer erwarb von der britischen Marine die Wracks. In den Folgejahrzehnten wurden sie bis auf sieben Schiffswracks gehoben. Man war scharf auf den z.T. hochwertigen Stahl, den der Unternehmer verkaufte und sich gut bezahlen ließ. U.a. von Thyssen und Krupp. Was machten die Unternehmen damit? Sie bauten Schiffe und Kanonen …
Nun aber vorwärts und zwar in die weit zurückliegende Vergangenheit. Wir wechselten die Seite der Insel von der Nordsee zum Atlantik. Wäldchen und selbst einzelne Bäume waren Fehlanzeige; sie konnten die Stürme einfach nicht überleben. Stürme, die in den vergangenen Jahrhunderten am Ufer und auch dahinter dicke Sandschichten rasiert hatten. An einer besonderen Stelle traten Steinfragmente hervor. Gut, man maß ihnen zunächst keine besondere Bedeutung zu. Bis ein Spezialist auf den Trichter kam: Da war ´was! Und was dort war! Skara Brae ...
Ausgrabungen ergaben, dass dort ca. 3.100 bis 2.500 v.Chr. eine Siedlung mit Häusern in Trockenbauweise entstand.
Ein Haus wie das andere – quasi wie von der Stange.
Auch die Einrichtung war in jedem Haus gleich: zwei Betten, ein Herd, ein Regal. Alles aus Stein – Holz gab´s damals kaum auf den Orkneys.
Ein Gebäude hob sich von den anderen ab – es war vermutlich die Werkstatt. Die Bewohner ernährten sich von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, gehaltenem Vieh, Wild und Fischfang. Und das über ungefähr 600 Jahre. Dann war´s aus mit dem bewohnten Skara Brae. Was aus der Population wurde, weiß aktuell niemand so genau.
Unter den freigelegten Häusern befinden sich weitere Bauten einer noch früheren Bauphase. Naturgemäß werden diese nicht ausgebuddelt, um nicht die ausgegrabenen Häuser zu zerstören. Übrigens lag dieses Pompeji des Nordens nicht wie heute direkt an der Küste – die weite Skaill Bay war verlandet.
Ein Blick zum Himmel: Nachdem wir an diesem Tag zwischendurch von der Sonne verwöhnt wurden, kam eine dicke Wolkenfront näher und näher. Frank meinte, dass wir uns nur noch 10 Minuten im Freien ohne Wasser von oben bewegen könnten. 10 Minuten, die ausreichten, das eine lehrreiche Ausstellung beinhaltende Besucherzentrum und das Skaill House zu erreichen.
Letzteres von weitem grau, ungemütlich, geduckt. Von innen – na ja, wie britische Herrenhäuser eben ausstaffiert waren. Es begann Anfang des 17. Jahrhunderts. Patrick Stewart, der 2. Earl of Orkneys, wurde wegen Hochverrats einen Kopf kürzer gemacht. Oder so ähnlich. Der für dieses Gebiet zuständige Bischof sackte dessen Besitztümer gnädigerweise ein und ließ dort ein zunächst nicht protziges Herrenhaus bauen, das über die Jahrhunderte sukzessive erweitert wurde. Wir schauten uns im Schnelldurchgang an, welche Erinnerungsstücke über Jahrhunderte von den verschiedenen Lairds eingesackt wurden und wie sie mehr oder weniger behaglich lebten.
Uniform-, Waffen-, Möbel-, Porzellansammlungen, … Für uns gleichen sich irgendwie britische Adelssitze; eine Gartenanlage mit blühenden verwunschenen Ecken war aufgrund des rauen Klimas nicht vorhanden; lediglich ein trister gemauerter Garten, der allerdings zu der herben schottischen Landschaft passte.
So wichen wir im Slalom den Regentropfen aus und flüchteten in Franks Caddy.
... Fortsetzung folgt ...
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