September 2023 – Honningsvåg
Kapitän und Besatzung verstanden ihr Werk. Als die Vasco da Gama 6.30 Uhr – selbstverständlich früher als geplant - anlegte und vertäut wurde, schlief ich noch. Ich wurde wach, weil es ganz, ganz ruhig war. Kein Geschaukel, keine Schiffsgeräusche. Auch nicht schlecht …
Kurz vor 8 Uhr drehte ich meine erste Freiluftrunde. Leichter Regen; gut, dass es nur ein Schauer war. 12°, nahezu windstill; bedeckt. Wie sah es in Honningsvåg aus?
Nass, düster, nicht vertrauenserweckend. Wir hofften auf die Steigerung! Es konnte nur besser werden. Also nicht nur zur Zeitüberbrückung auf zum Frühstück. Und dann runter vom Schiff zur nahen Mietwagenstation. Zu früh … also noch Zeit genug, uns ein wenig umzuschauen. Zunächst einmal Richtung Wasser.
Das Forschungsschiff Ocean Explorer verließ nichts ahnend die Nordkapinsel. Ohne Probleme. Neun Tage später lief es vor Grönland auf Grund. Zum Glück ohne größere Schäden; zwei Tage danach wurde es frei geschleppt.
Unsere weibliche Begleitung machte das, was die meisten Touristen in den Welthäfen liebend gerne unternehmen: Sie besuchten den Touristentempel. Wir, die männlichen Personen, schauten uns lieber die Umgebung an
und waren bereit, sofort bei Büroöffnung den Wagen zu übernehmen. Doch es dauerte noch …
Honningsvåg hat etwas mehr als 2.000 Einwohner, die von dem leben, was mit dem Meer verbunden ist. Zum einen vom Fischfang, zum anderen vom Tourismus; seit ca. 30 Jahren besonders vom Kreuzfahrttourismus. Seit 1869 wurde der Hafen regelmäßig von Schiffen der Hamburgroute angefahren; deren Hauptzweck war der Transport von Guano, allerdings wurden auch Passagiere mitgenommen. 1898 wurde die Stadt erstmals von Hurtigruten angelaufen. Wie sich in den letzten Jahren der Kreuzfahrttourismus zum Nordkap entwickelt hatte, erkennt man an den Hafenbesuchen (incl. Hurtigruten): 2019 – 102 Schiffe, 2022 – 135 Schiffe; 2023 – 168 Schiffe erwartet; nur Geiranger und Bergen hatten mehr Kreuzfahrtankünfte in Norwegen. Aber auch schon 100 Jahre zuvor kamen Besucher per Schiff zum Nordkap; so z.B. 1905 37 Dampfer mit insgesamt 2.700 Reisenden, davon ungefähr die Hälfte aus Deutschland.
10 Uhr – überpünktlich öffnete die Mietwagenstation und nach fünf Minuten öffneten wir die Türen eines schwarzen Hyundai IX35. Auch für uns Vier sehr geräumig. Und schon waren wir unterwegs, verließen Honningsvåg und schlugen den Weg Richtung Nordkap ein. Über die Insel Magerøya. Die Übersetzung ins Deutsche – magere, karge Insel – bewahrheitete sich zum großen Teil. Zunächst fuhren wir an Felsen und Felsbrocken vorbei. Dann wurde aus graugrün. Keine Bäume, wenig Sträucher, später überhaupt keine Sträucher mehr. Nordmeerstürme hinterließen ihre Daumenabdrücke. Aber den Gräsern und Moosen konnten sie nichts anhaben. Sie setzten sich durch. Viel Wasser – Seen. Gletscherseen. Teilweise romantisch zwischen Bergen gelegen. Natürlich mit den in Norwegen unvermeidlichen Hütten. Na ja, es waren eher bestens ausgestattete Ferienhäuser.
Langsam stieg die Straße mit langgezogenen Kurven an. Irgendwie stimmte die insgesamt öde Landschaft traurig, irgendwie faszinierte sie. Kleine, mit kurzem Gras bewachsene Erdbuckel fielen auf. Frostbeulen … Echt! In den langen Winterperioden hob der Frost die Erde an und formte so die Buckel. Wir ließen die Buckel links und rechts von uns liegen, verließen die E69 und folgten nunmehr eine gut ausgebaute Regionalstraße Richtung Gjesvær. Wir waren abseits der Hauptstraße nahezu allein – nur wenige Autos waren in dieser Öde unterwegs. Dafür an vielen Stellen Rentiere, die auf beiden Seiten der Straße weideten.
Ab und zu meinten Sie, die Straße überqueren zu müssen.
Und immer wieder mussten wir anhalten – sooooo viele Rentiere …
Ich als Fahrer wollte keine Rentiere mehr sehen. Unsinnige Anordnungen kamen von den Rücksitzen. „Fahr´ nicht so schnell!“ „Anhalten!“ „Nicht so laut bremsen! Du vertreibst die liebenswerten Tiere mit ihren Kleinen!“ Liebenswerte Tiere? Die noch nicht einmal fotogen stehen blieben?! Eher nicht … ihnen muss noch das richtige Verhalten gegenüber den viel Geld zahlenden Touristen gegenüber beigebracht werden! So, das reichte mit den possierlichen, Geweih tragenden Vierbeinern. Zurück zu unserem Abstecher nach Gjesvær.
Von der Abzweigung der E69 ist Gjesvær ca. 20 km entfernt. 20 km durch eine Traumlandschaft. Eine Straße durch eine endlose Hochebene. Felsig, wieder ab und zu kleine Seen, Bäche und Mini-Wasserfälle. Zeitweise von den tief liegenden Wolken verdeckt. Bäume? Fehlanzeige! Sträucher? So gut wie gar nicht. Dafür weite, noch immer mit Flechten bewachsene Flächen. Blumen? Nach unserem Verständnis eher Wildkraut. Doch wenn sie auftauchten eine Augenweide – so ungewöhnlich in dieser kargen Landschaft. Wir verließen die Hochebene. Heraus aus den Wolken. Klare Sicht. Die ersten Häuser unseres Zwischenziels Gjesvær waren zu erkennen,
als neben der Straße viel Wasser auftauchte. Und noch besser: eine Parkmöglichkeit! Also raus aus unserem Hyundai und Blick nach vorne. Meer, Felsen, zu unseren Füßen ein von Hügeln umsäumter Ausläufer des Nordmeers.
Und der Blick zurück. Auf die Straße, die uns hier hingeführt hatte.
Nicht nur das Grau der Felsen und des Asphalts. Farbtupfer von Gräsern und Wildkräutern. Grün und auch das herbstliche Rotbraun. Dazwischen unzählige weiße Tupfer von blühendem Wollgras.
Hinter Gjesvær erhob sich die Vogelinselgruppe und das Naturschutzgebiet Gjesværstappan aus dem Meer,
bei Einheimischen auch als „schwangere Frau in der Badewanne“ bekannt. Erkannt? Mit ein wenig Phantasie kann man dieser Bezeichnung zustimmen – ich möchte ihr aber nicht den Rücken abschrubben …
So genug Fotos geschossen und rein in die i.W. auf einer Landzunge erbauten Weltstadt Gjesvær. Ihr glaubt es nicht – wir sahen tatsächlich einige der rd. 130 Einwohner, die vom Fischfang und auch vom Tourismus leben.
Von Hafen aus fahren bei Bedarf Boote auf die Vogelinseln; uns fehlte leider dazu die Zeit. Ápropos Zeit – wir blieben nicht lange in Gjesvær – so attraktiv fanden wir den Ort nicht. Interessanter war für uns das, was uns ein Blick Richtung Inselmitte offenbarte: blauer Himmel! Ein Grund, auf direktem Weg das Nordkap anzusteuern. Zunächst auf demselben Weg zurück … So richtig schnell ging´s nicht voran. Die ruhige, insgesamt trostlose Landschaft verführte uns zu einigen Fotostopps.
Genau, nicht nur ein Stopp … einige Kilometer weiter der nächste …
Bis wir wieder die E69 erreichten und unter meist blauem Himmel unser Ziel Nordkap anvisierten. Ab und zu gab es Parkplätze am Rande der Straße. Einer hatte es uns angetan: Aurora Lights View Parking.
Eine ausgezeichnete Sicht über die Seibukta bay – schon im jetzigen Spätsommer war es ein unbeschreiblicher Ausblick. Wie mag es erst im Spätherbst und Winter sein, wenn sich bei entsprechendem Wetter die Nordlichter über die Besucher tummeln???
Nachdem wir die nötigen Fotos „im Kasten hatten“, erreichten wir nach wenigen Kilometern die Schranke vor dem Nordkap-Parkplatz. Wir gaben an der Kasse den Hinweis „Parking only“ und wurden sofort durchgewunken. Seit 2021 wird für den Nordkap-Zugang keine Gebühr mehr erhoben (Jedermanns-Recht!); lediglich für den Besuch der Nordkap-Halle muss man nkr 320,-- (ab 16 Jahre) zahlen. Am Rande des Parkplatzes gibt es übrigens eine frei zugängliche Toilette.
Als wir auf den Parkplatz fuhren, war vor der Nordkap-Halle eine Ausflugsbuskarawane festzustellen, die sich kurz darauf auf vier Busse und später auf einen Bus reduzierte. Die optimale Situation für uns – so sollte es nicht das Gedränge vor der Weltkugel geben.
So, wir waren angekommen. Dort, wo 1664 der italienische Forschungsreisende Pietro Negri schrieb: „Hier stehe ich am Nordkap, an der äußersten Spitze Finnmarks, am Ende der Welt. Hier, wo die Welt endet, endet auch meine Neugierde, und ich wende mich zufrieden nach Hause.“
Nein, so schnell wollten wir nicht nach Hause. Wir wollten die vermeintlich nördlichste Stelle Europas genießen. Und schon lag sie vor uns.
Inzwischen mäßig besucht. Nach einigen Minuten auch von uns.
Nun ja, es dauerte einige Minuten ich die Weltkugel ohne Besucher fotografieren konnte. Aber im Gegensatz zu den Bustouristen nahmen wir uns die Zeit zu warten bis sich einer nach dem anderen mit dem Globus aufs Bild bannen ließ und er ohne Personen zu sehen war.
Nun weg von der Kugel – wir schlenderten kreuz und quer über das Plateau und besuchten zunächst das Friedensdenkmal,
das nach Entwürfen von Kindern aus sieben verschiedenen Ländern unserer Erde (Jasmine aus Tansania, Rafael aus Brasilien, Ayumi aus Japan, Sithidej aus Thailand, Gloria aus Italien, Anton aus der Sowjetunion und Louise aus den USA) 1989 errichtet wurde und die grenzenlose Gemeinschaft, Freundschaft, Hoffnung und Freude symbolisieren soll.
Auf der anderen Seite der Nordkap-Halle stand uns das Mitternachtssonnenstraßen-Denkmal im Weg.
Seit 1984 weist eine Kompassnadel auf die Spitze des Nordkaps. Mit der Enthüllung des Denkmals wurde der The Royal North Cape Club gegründet, der Besuchern des Nordkaps vorenthalten ist.
Fortsetzung folgt …
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