Rouen
Wir sind also in der Normandie und in der Hauptstadt dieser Provinz, in Rouen.
Und dies als eines von nur etwa 30 Kreuzfahrtschiffen die hier im Verlauf eines Jahres am Kreuzfahrtterminal andocken. Länger als 240 Meter darf das Schiff nicht sein. Lediglich 130 Kilometer sind es nach Paris und so war in Rouen sogar mal Frankreichs bedeutendster Seehafen, letzteres ist er trotz der weiten Entfernung vom Meer. Wohl auch deshalb war es eine der reichsten Städte.
Und noch immer ist einiges los im Frachthafen, der auf den Umschlag von Getreide, Mehl und Düngemitteln spezialisiert ist.
Römer, Gallier, Wikinger, Franzosen, kurz mal die Engländer, dann wieder die Franzosen und während den Kriegen auch mal kurz die Deutschen. Alle haben sie im Verlauf der Geschichte hier mal mehr oder weniger lange „vorbeigeschaut“. Wohl alle aber länger als wir für die knapp 2 Tage.
Rouen, ausgezeichnet als „Französische Stadt der Kunst und der Geschichte“.
Und Geschichte, ja die gibt es reichlich zu bestaunen. Ist eben einiges losgewesen hier.
Aber glücklicherweise haben die Bombardements im 2. WK die meisten der Fachwerkhäuser stehen lassen.
Da haben wir jetzt ordentlich was zu entdecken. Erstmal in den Shuttlebus, 15 Minuten Fahrt und dann sind wir da.
Und nicht nur wir. Kaum um die erste Ecke rum, lungert da vor einem Cafe`ne faule französische "Fellbande" rum.
Da sieht man mal was dieser „Laissez-faire“ Führungsstil anrichtet. Kurzes Clubtreffen und obwohl die unerklärlicherweise alle größer sind als Teddy Kaufhof und ich daher dort hinten am letzten Tisch kaum mehr zu erkennen bin, versuche ich die Typen von meinem erfolgreichen Führungsstil zu überzeugen. Einer schläft dabei ein, der Rest versteht mich nicht und bei meinem Tischgesellen ist frisch eingedeckt.
Der will jetzt essen. Also weiter.
Victor Hugo hat Rouen wohl auch mal als die Stadt der 100 Kirchtürme bezeichnet, sind aber heute tatsächlich wohl nur noch ungefähr 30.
Zum Zählen werde ich eh nicht kommen.
Da fangen wir trotzdem gleich mal mit dem ersten an. Auch wenn das gar kein richtiger Kirchturm ist, sondern dieses sonderbare Kirchendach, das an die Flammen eines Scheiterhaufens erinnern soll.
Denn hier auf dem Marktplatz wo die Kirche steht, wurde nicht nur, aber vor allem, Jeanne-d`Arc hingerichtet, die Jungfrau Johanna von Orleans.
Von Religiosität und der Eingebung ihr erschienener Heiligen getrieben, hat sie im hundertjährigen Krieg in einer entscheidenden Schlacht die Stadt Orleans von den Engländern befreit, der Belagerung Frankreichs und damit dem Krieg eine Wende gegeben. Nicht alle aber zeigten dann lange Dankbarkeit, sondern eher Geschäftssinn. Und als sie auch noch Paris befreien wollte, verriet und verkaufte man sie an die Briten. Die übergaben sie an einen „Freund“, namentlich die katholische Gerichtsbarkeit in Rouen, wo ihr der Bischof Aberglauben und wohl wegen der Erscheinungen vor allem „Verbrechen gegen die göttliche Hoheit“ vorwarf. Das war schon seltsam, wo man ihr doch vor ihrem Feldzug noch ihre Glaubensfestigkeit bestätigt hatte. Aber „winds of change“, wie auch heute noch, kümmert es dann manchmal nicht, was man noch gestern gesagt hat. Sogar wegen mehrfachem Mord wurde sie verurteilt. Und zwar wegen jedem einzelnen von ihr in Schlachten getöteten Feinden. Denn offiziell gab es keine weiblichen Soldaten, sie hat also privat getötet. Die Emanzipation war noch nicht so weit…
Tja, da hat man sie beim Kirchengericht "ganz schön hängen" lassen, aber tatsächlich dann verbrannt.
Und erst später wurde die Nationalheldin und heutige Schutzpatronin von der Kirche wieder heilig gesprochen und ihr die Taten „vergeben“… Toll wie man Unrecht dann mit großzügiger „Vergebung“ kaschiert… Aber ohnehin 500 Jahre zu spät. Besser wäre es gewesen, sie hätte es noch erlebt. Wenn auch nur die Hälfte von alledem stimmt, dann hat sie sich diese erst 1979 errichtete Kirche als Denkmal schon verdient.
In der Église Sainte-Jeanne-d'Arc fallen die aus dem 16. Jahrhundert stammenden dreizehn Buntglasfenster von der im Jahr 1944 bei Bombenangriffen zerstörten Kirche St-Vincent auf.
Ansonsten alles recht nüchtern hier.
Für diejenigen, welche ihr Wissen noch vertiefen wollen, gibt es im erzbischöflichen Palais der Kathedrale noch das Museum Historial Jeanne d’Arc. Unsere Truppe aber ist von Teddys Basis-Ausführungen so gesättigt, dass sie alle energisch abwinken und drauf verzichten. Ein Grab gibt es übrigens nicht zu besichtigen, zumindest nicht so direkt. Denn die Asche hat man schnell in die Seine gestreut, damit hier nicht etwa später noch eine Kultstätte zur Verherrlichung entsteht. Was weg ist, ist weg und schnell aus dem Sinn des gemeinen Volkes. Offenbar ein Irrtum. Wenn das der engländerfreundliche Bischof noch erlebt hätte, der würde sich „im Grabe umdrehen“… denke ich so. Denn der hat ja wahrscheinlich eines…
Und da auf dem Marktplatz nicht nur die von Jeanne dÀrc,
sondern bis 1836 zig Hinrichtungen stattgefunden haben, steht wohl an der Brandstelle ein großes Kreuz. Kann ich mir zumindest so vorstellen.
Jetzt tauchen wir weiter in die Historie des Ortes ein und da wirft der Teddy zum Auftakt mal passende epochale Worte von Jeanne dÀrc in die Runde:
„Wer, wenn nicht wir? Wann, wenn nicht jetzt? Denn morgen haben wir keine Zeit, da sind wir woanders!“
Also das letzte habe ich jetzt mal neuzeitlich hinzugefügt …
Nicht aber die etwa 29 restlichen Kirchtürme liegen vor uns, sondern erstmal gibt es jetzt eine Kirchenpause. Vor uns baut sich das Riesengebäude des Justizpalastes auf. Dieses alte Gemäuer ist wohl der in Frankreich bedeutendste gotische Bau – außerhalb der Kirchenwelt natürlich. Kann man gar nicht so weit von weggehen, als dass man es auf ein Foto bekommt.
Vorher war an dieser Stelle mal ein jüdisches Viertel. Warum dann nicht mehr, das weiß ich nicht und will da nichts behaupten. Aber mit den Überresten war damals der Anfang für den Neubau wenigstens schon mal gemacht. Da wurden durchaus Teile von recycelt. Erstmal war in dem Prachtbau mittelalterlicher Architektur das Parlament der Normandie, also der Normannen untergebracht und nach der Revolution dann eben die Justiz. Angeschaut und erledigt.
Als Nächstes, gibt es wiederum (noch) keine Kirche, denn etwas unterhalb vom Justizpalast liegt ein Wahrzeichen der Stadt, die große astronomische Uhr da oben auf dem Torbogen, der die Fußgängerzone überspannt.
Le Gros Horloge stammt aus dem 14. Jahrhundert und zählt damit zu den ältesten Uhrenmechanismen Europas. Von 1389 an verrichtete diese alte solide Technik über 500 Jahre brav ihren Dienst, ehe sie dann 1928 doch mal einer Reparatur bedurfte. Offenbar also eine echte Wertarbeit. Große dekorative Zifferblätter mit 250 cm im Durchmesser befinden sich zu jeder Seite des Torbogens.
Es ist eine astronomische Uhr, mit nur einem Uhrzeiger, auf dessen Spitze ein goldenes Lamm thront, dem Wappentier der Stadt. Und oberhalb des Ziffernblatts zeigt eine Kugel die Mondphasen. Die Planeten unseres Sonnensystems symbolisieren unterhalb des Ziffernblatts die jeweiligen Wochentage.
Und wenn man in das kleine Museum im Glockenturm geht, dann kann man sich nicht nur die ganze Sache mal von innen betrachten, sondern auch nach außen hat man dann einen tollen Blick auf die Fußgängerzone, zu beiden Seiten. Dafür muss man aber erstmal eine ganz schmale steinerne Wendeltreppe erklimmen, die erst weit oberhalb der Uhr in einem Turm endet.
Die Treppe vom Eingang aus jetzt gesehen, nach oben geschaut, und schon ist das Museum durch das Anforderungsprofil gefallen.
Upps, da habe ich im Vorfeld wohl was überlesen … Der Turm überrascht mich jetzt. Na dann eben nicht, geeignete Zwangsmittel gegen die Träger fallen mir auf die Schnelle nicht ein.
Dann eben direkt ein Stück weiter, zum Bischofssitz, der gotischen Kathedrale Notre-Dame de l’Assomption. Und zack haben wir ganze 7 Türme mehr in unserer Sammlung. Einer davon, der heute mit 151 m höchste Glockenturm Frankreichs, teils gusseisern, wurde damals zuerst gebaut und sollte eigentlich extra stehen. Aber dann hat man diesen „Romanus-Turm“ im Verlauf der 400 Jahre Bauzeit schließlich doch mit eingebaut.
Lustig finde ich den rechts stehenden „Butterturm“, in dem es aber kein Streichfett gibt. Das mit der Butter ist deshalb so, weil man früher während der Fastenzeit keine Butter essen durfte. Wer dabei erwischt wurde, der musste etwas geben, damit ihm vergeben wurde. Oder man konnte sich mit „ein wenig“ Geld gleich schon vorab „die Erlaubnis“ von oben holen und die heilige Moral aushebeln … Und mit diesem „(Butter)-Geld“ wurde genau dieser Kirchturm finanziert. Ja bei Geldsorgen lassen sich auch von Kirchenseite prima Geschäftsmodelle erfinden. Auch wenn man dabei den Glauben gleich mitverkauft...
Die Sache ist wohl mittlerweile auch abbezahlt, -wir brauchen erstaunlicherweise keinen Eintritt zahlen.
Drinnen sind wieder ein Haufen Gräber von Herzogen, auch das vom Wikingerhäuptling Rollo, dem seine Bekehrung, dann als Konvertit, ganz andere berufliche Wege ebnete und er Karriere als erster Herzog der Normandie machte und jetzt hier liegen darf.
Und von einem anderen liegt wenigstens ein Teil von ihm hier, nämlich das Herz von Richard Löwenherz, eingeschlossen in einem Steinsarg.
Angeblich jedenfalls. Aber ob da wirklich was drinnen liegt und vor allem auch das Richtige? Ist halt eine Legende und reinschauen kann man ja nicht. Das macht mich skeptisch. Hat aber tatsächlich doch mal jemand reingeschaut. Sind wohl nur noch Bröckchen und Stoffreste drin und zur Untersuchung hat man den Wissenschaftlern nur 2 Gramm Staub gegeben. Die Legende soll weiterleben und nichts Genaues weiß man nicht.
Die steinerne Treppe hier erinnert mich irgendwie an die hölzerne von „Im Namen der Rose“, also diejenige die sich zur Bibliothek hochschlängelt. Aber die hier brennt nicht.
Ansonsten halt wie immer in so ner Kirche...
Außer diese steinernen Figuren, -wohl von berühmten Mönchen und Heiligen.
Der kleine hier war sicher mal ein ziemlich lustiger Geselle.
Für lau geht es draußen weiter, an einem ganz anderen, weniger heiligem Gebäude, eher einem Container, vor der rechten Kirchenseite. Es ist ein öffentliches Toilettenhäuschen.
Für lau, aber wohl tricky. Wenn man wieder raus will muss man den Öffnungsmechanismus durchblicken. Sonst wird es eine längere Sitzung.
Ohnehin waren die Toiletten bei allen besuchten Zielen bisher immer kostenlos. Außerdem gibt es immer wieder Trinkwasserstellen.
Das sollte man ruhig mal lobend erwähnen.
Mahlzeiten gibt es auch kostenlos, aber nur für die zahlreichen Ratten in den Gebüschen neben der Kathedrale, wenn mal wieder jemand die Tauben gefüttert hat.
Dann mischen sie sich - wenig scheu - unter die gefiederten Kostgänger.
Nur von hier übrigens, also dem Platz vor den Toilettencontainern aus, hat man die Perspektive um jetzt ein Detail zu entdecken, welches man vom eigentlichen Kirchplatz vor dem Haupttor aus nicht sehen kann. Steil nach oben geht unser Blick und da funkelt und thront der goldene Reiter auf dem Kirchdach.
-- Fortsetzung folgt --
Im nächsten Teil ziehen wir weiter durch Rouen,
stehen vor verschlossenen Kirchentüren,
erleben einen seltsamen Friedhof wo man "Gebeine" gestapelt hat,
finden dort eine Katzenleiche hinter Glas
und den Trägern verweigert man die Verpflegung.
Die wird woanders nachgeholt.
Und als es endlich dunkel ist,
erleben wir die "Kathedrale des Lichts".
Ja, so lass ich mir den Kirchenbesuch gefallen. Von draußen und mit Show...