Bevor wir heute Nachmittag wieder die Seine abwärts fahren, geht es erstmal noch ein Stück weiter stromaufwärts, mit dem Ausflugsbus.
Chateau Gaillard und Lyons La Foret (URO 10)
Heute Morgen fällt mir noch mal auf, dass wir doch eigentlich auch noch näher hätten ran fahren können, nach Rouen. Die Seine ist ja schließlich noch lange nicht zu Ende und andere Schiffe fahren hoch bis mindestens nach Paris. Hat aber wohl seinen Grund, dass große und vor allem hohe Schiffe hier nicht weiter kommen. Und dieser Grund liegt vor uns. Es sind die Brücken unter die wir nicht durchpassen.
Aber ein Stückchen wäre doch noch gegangen. Die Brücke vor uns, Pont Flaubert,
ist eine neuere technische Errungenschaft und mit 86m Bauhöhe die wohl höchste Hubbrücke der Welt. Die öffnet sich so hoch, das Schiffe bis zu 55 m darunter her passen. Also los, hoch damit! Aber die Reiseleiterin meint, dass die Sache mit dem Öffnen und Schließen wohl nicht so unbedingt klappt. Dabei interessiert es die Brücke auch nicht, dass sie 137 Millionen Euro gekostet hat. Da scheut man sich dann doch, durchzufahren. Denn einmal passiert, könnte man durchaus in der Falle sitzen. Unter die normale 10 m-Durchfahrtshöhe passen nur die Lastkähne. Mittlerweile wird sie wohl in der Regel nur noch alle 5 Jahre mal benutzt, wenn hier die „Armada“, eine berühmte Großseglershow stattfindet. Und die war gerade erst gewesen und tatsächlich sind die Schiffe auch alle wieder weg. Scheint also geklappt zu haben die Sache mit der Technik und dem Hochhieven der jeweils 120 Tonnen schweren Fahrbahnelemente.
Okay, dann fahren wir besser mal mit dem Bus.
Und so durch die angeblich schönsten Buchenwälder Frankreichs, durch die grüne Lunge von Paris, so wird die Normandie genannt, zunächst mal nach Chateau Gaillard,
also dem was heute davon noch übrig ist.
Oberhalb des Ortes Les Andaleys thront es oberhalb einer Flussschleife der Seine. Das ist jetzt nicht nur günstig für unsere Aussicht, sondern schon damals konnte man von hier die Feinde schon von weitem sehen. Und das war in den damals unruhigen Zeiten dann schon der wichtigere Grund für die Wahl genau dieses Bauplatzes.
Unruhig waren die Zeiten damals wegen dem Streit zwischen Richard Löwenherz und dem französischen König Philip. War man noch zuvor in den Kreuzzug gemeinsam gen Abendland gezogen, hatte man sich dort dann mehr als verzankt und Richard Löwenherz war bei der alleinigen Rückkehr sogar mal von Verbündeten Philips in Geiselhaft genommen worden. Die Zahlung des horrenden Lösegeldes hatte England dann finanziell nahezu ruiniert. Und umso mehr wollte Frankreich nun seinen Nordwesten des Landes, wo sich seit der Eroberung durch die Normannen die Engländer breitgemacht hatten, zurückerobern.
Als der Papst denen mal zwischendurch Frieden, bzw. wenigstens eine Kriegspause verordnet hatte, nutzte Löwenherz zum Schutz seines Herzogtums diese Gelegenheit, um die Burg Chateau Gaillard in nur 2 Jahren Bauzeit dort hinzustellen.
Von hier wurde nun insbesondere die Seine, auch zum Schutz von Rouen, überwacht. Unten sieht man noch die Insel im Fluss, wo man Ketten über den Fluss verlegte und bei Bedarf gespannt hatte, um den Schiffsverkehr zu „kontrollieren“.
Lag schon günstig diese Burg und die Sache rentierte sich. Lange Jahre hielt sie die Feinde ab. Allen Angriffen hatte sie standgehalten. Löwenherz war schon tot und sein Bruder Johann Ohneland hatte dann nicht mehr lange Freude an seinem endlich durch Erbe erhaltenen Land. Denn man änderte die Taktik hin zur Belagerung. Anders als auf der belagerten Aida, wurden die Insassen ausgehungert. Und da kehrte sich der Vorteil um, dass die Feinde bisher nicht reingekommen waren, denn nun kam man selbst nicht mehr ungeschoren raus und die Nahrung war endlich. Zur Ressourceneffektivierung warf man zunächst mal „Ballast“ raus. Nicht kriegswichtiges Volk, die in die Burg geflüchteten Dorfbewohner, Frauen, Kinder wurden mit allen Konsequenzen vor die Tür, bzw. vor die schützenden Mauern gesetzt. Doch irgendwann dann geschah etwas Ekelhaftes. Die Franzosen standen plötzlich mit verschmierter Rüstung mitten in der Burg und verbreiteten nicht nur unangenehmen Geruch. Sie waren durch die Latrinen eingedrungen. Manche Überlieferungen beschönigen die Eroberung auch damit, dass es ein offenstehendes Kapellenfenster war. Egal, ob sie nun erst in der Latrine drin waren oder nicht, jedenfalls waren sie im Ergebnis zumindest in einem Teil jetzt voll drin, nämlich in der Burg. Und dann auch bald wieder im gesamten Festland der Normandie. Zunächst jedenfalls…
Der Nachteil heute für uns Felltouristen: Die schöne stabile Burg war nicht mehr so wichtig und wurde Jahrhunderte später dann schließlich größtenteils abgerissen, die Steine zum Haus- und Klosterbau recycelt. Und auch deshalb fallen unsere erhofften Ritterfestspiele heute aus. Zu spät gekommen. In solchen Ruinen kommt auch für uns kein Ritterfeeling mehr auf.
Und außerdem hätten wir noch bis zu den Ruinen runterlatschen müssen, denn wir stehen auf einem Hügel darüber. Soviel Zeit haben wir heute nicht. Wir müssen ja noch weiter in das, wie man uns verspricht, angeblich „so ziemlich schönste Dorf Frankreichs“.
Die verhinderten Ritter also wieder in den Bus und Abfahrt zum Dorf Lyons-La-Foret.
Und da wird uns jetzt vollmundig versprochen, dass es endlich mal was ohne Kriegsschäden ist. Ob es daran liegt, dass es versteckt vom Staatsforst, dem „Normannen-Wald“ umgeben ist? Da sind wir jetzt mal gespannt, ob es dort mehr als geschichtsträchtige Ruinen zu sehen gibt.
Im Bus rutscht der Tiger unruhig hin und her. Er hat noch nicht so ganz abgeschlossen mit dieser Löwenherz-Geschichte und fragt vorsichtig, was er sich schon gestern gefragt hat, als er in der Kathedrale den Steinsarg mit dem Herz von diesem Mann gesehen hat:
"Warum heißt der so?"
Da muss ich wie gerade schon, also nochmal nicht tief, sondern flach und einfach in die Geschichte eintauchen. Die Flagge der Normandie hat Löwen und Richard war der Chef.
Und da passte es gut, dass ein Löwenherz für Mut und Tapferkeit steht. Da nennt man sich halt gerne mal so. Macht mächtig Eindruck, so als edler Ritter dazustehen. Bevor jetzt aber außer dem Teddy jemand aus der Fellbande auf die Idee kommt, sich auch so zu nennen, sei gesagt, dass dieser Edelmut auch heute noch nicht so ganz unumstritten ist. Da bleibe selbst ich lieber bei Teddy „Kaufhof“, ehe da Zweifel an mir aufkommen…
Und ehe der Tiger oder sonst wer etwa mit weiteren Fragen mein zugegebenermaßen flaches Geschichtswissen untergraben kann, sind wir nun da, in diesem Dorf. Die Reiseleitertante führt uns noch zum Marktplatz mit der leeren Markthalle aus dem 18. Jahrhundert, welche aber nur ein Dach und keine Wände hat.
Dann aber entlässt sie uns in die Freizeit. Unterwegs auf eigene Faust und Pfote. Wir müssen uns auf den Ortskern beschränken.
Lauter Fachwerkhäuser aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Eigentlich wie gestern in Rouen, heute aber aufgelockerter in einem Dorf und teils mit Vorgärten. Wassermühlen soll es wohl auch geben, haben wir aber nicht gesehen. Sind bestimmt eher außerhalb, hier sehe ich jedenfalls keinen Bach. Das Dorf war auch schon öfters Filmkulisse gewesen, wenn`s mal idyllisch werden sollte…
Da hinten haben sich einige um die Reiseleiterin versammelt. Das ist bestimmt das Haus von Maurice Ravel, der Musik-Typ mit dem „Bolero“. Hatte sich hier schön eingekauft, aber jetzt auch schon lange tot.
Wer will kann sich noch z. B. rund um den Marktplatz stärken, oder einfach nur ein Baguette kaufen. Zu teuer darf dieses französische Grundnahrungsmittel nicht sein, egal wo man es kauft. In seiner trockenen Grundversion ist der Preis staatlich gedeckelt. Da muss man schon Schnick-Schnack drum herum basteln oder es mit Belag verkaufen, um mehr zu verlangen.
Wir bringen weder den Cafés noch dem Dorfbäcker heute Einnahmen, wir steigen jetzt wieder in den Bus und fahren heim.
War ganz nett hier und auch die Ruinen von der Löwenherz-Burg waren mit ihrem tollen Standort schon interessant. Da muss man halt ein wenig die Phantasie spielen lassen und sich den fehlenden Rest dazu denken, um sich vorzustellen, wie das dort früher zuging.
Unterwegs werden wir, anders als in England mit der Warnung vor Unfällen, auf Schildern zum „saufen und essen“ aufgefordert. Man wendet sich auch ausdrücklich an Busse. „Sauf Bus et deserte locale“.
Es scheint wohl gleich Alkohol mit einem lokalen Dessert zu geben. „Ja super Gastgeber die Franzosen!“ grinst der überraschte Ty und freut sich wohl tierisch auf das Dessert. Gibt es aber dann alles doch nicht, denn übersetzt heißt es, dass gerade Busse und Anwohner davon ausgenommen sind. Müssen uns aber nicht ärgern, denn mit „saufen“ hat das schon mal gar nichts zu tun. Geht wohl eher um Parkplätze und so. Und jetzt erinnere ich mich, dass ich in Marseille mal eine Polizeistation gesehen habe, wo draußen, für mich damals wenig vertrauenserweckend, mit „Sauf Police“ darauf hingewiesen wurde, dass hier wohl „gesoffen“ wird. Aber kann doch auch keiner vom Teddy verlangen, dass er jetzt auch noch Französisch versteht.
Aber nicht deshalb freuen wir uns jetzt schon auf die Abfahrt. Trotzdem ungewöhnlich, dass wir uns so darauf freuen von hier weg zu kommen. Das liegt auch nicht am Ziel, das war schon toll. Es ist der Weg der nun vor uns liegt. Wohl nie war der Spruch treffender, dass nun der Weg das Ziel ist. Denn noch von gestern wissen wir, dass da jetzt was Tolles auf uns zukommt. Die schmale Seine flussabwärts, bis hinein in die Dunkelheit. Mal sehen, was es auf der anderen Uferseite so zu entdecken gibt…
Fellbandenversammlung auf dem Balkon und in Ermangelung einer Hängematte auf dem Blechhocker. Umringt von Fernglas, Handy und Fotoapparaten.
120 Flusskilometer liegen vor uns, die Expedition kann beginnen.
Erstmal säumen viele Industrieanlagen das Ufer, auch noch hinter dem ersten Flussbogen. Tauben und Möwen bevölkern die Verladeöffnungen und Schüttbänder der zahlreichen Getreidesilos und Lager. Da fällt ja immer was für die ab. „Gut und günstig“ in der Vogelwelt. Können bestimmt kaum noch fliegen mit den vollen Mägen. Könnte stimmen, denn selbst unser großes Schiff bringt nur vereinzelt Bewegung in die Federmeute. Ist wie mit einer Sonnenliege. Einmal ergattert, lässt man sich den Platz nicht mehr nehmen. Braucht man ja auch nicht, nicht mal zum fressen, denn die Mahlzeit wird hier „am laufenden Band“ geliefert.
Dann aber wird es langsam wieder ländlich, die letzte Industrieanlage liegt hinter uns. Vereinzelte Gehöfte, mal Ortschaften, Viehzeug und Kalksteinfelsen prägen von nun an abwechslungsreich die Landschaft da unten. Wieder werden Rasenmäher stehengelassen und man staunt und winkt. Autos hupen freudig und auch der Kapitän lässt sich da nicht lumpen und lässt zur Antwort mehrfach das Typhon erschallen. Auch er hat offenbar Spaß an dieser Flussfahrt, auch für ihn wird es das in dieser Form so schnell nicht mehr geben. Dessen ist er sich offenbar bewusst. Und soll sich doch mal einer beschweren über die Ruhestörung. Dann sind wir längst weg und kommen leider nicht wieder. Außerdem ist es ja auch noch hell.
Das ändert sich aber irgendwann. Es beginnt zu dämmern. Dicht über dem Wasser nun weiße Flecken die uns offenbar verfolgen. Es sind Unmengen von Möwen, die im fahlen Licht der Dämmerung flach über das Wasser gleiten. Wollen die uns verabschieden, so wie die Segler in Falmouth, oder haben wir die mit unserem Riesenkahn zuvor aufgescheucht?
Als der Fluss immer breiter wird, ist es bereits finster. Immer noch sitzen wir auf dem Balkon, fürchten aber, dass der Spaß nun bald ein Ende hat. Wir passieren die letzte Brücke.
Oben auf dem Pooldeck hat mittlerweile die „Alpenglühn-Party“ angefangen und die Brücke erweist sich bei der Durchfahrt nun als ein prima Resonanzkörper. Bayuwaren-Musik schallt über die Seine. Ist das der Dank für die Gastfreundschaft? Na ja, Chansons wären auch nur halb so lustig.
Heute gibt es da oben bei der Party übrigens 1 Stunde gratis. Die Uhr wird wieder umgestellt. Es geht nochmal nach England.
Und dafür erreichen wir jetzt den Ärmelkanal. Ja, hier ist was los! Lauter Lichter, Schiffe, mal geschäftig, mal vor Anker liegend in dieser Hauptverkehrsader der Seefahrt.
Ab ins Bett. Den Schlaf haben wir jetzt aber auch wirklich nötig. Uns allen schwirren die Eindrücke der letzten Tage und mir noch obendrein Geschichte im Schädel herum. Das will nun erstmal sortiert werden. Da hat man sich den morgigen Seetag förmlich herbeigesehnt, wenn das Hirn schon so auf Reserve läuft.
Seetag
Entspannung ist angesagt. Ich will mich jetzt auch gar nicht erinnern, ob heute irgendwas an Bord passiert.
Ob Leute mit unbehandelten Pfoten ins Restaurant stürmen,
ob der Typ vor dem Träger seinen benutzten schaumverschmierten Bierbecher unter den Zapfhahn stülpt,
die Leute regelmäßig ausgerechnet an der engsten Stelle des Marktrestaurants, im Begegnungsverkehr direkt vor dem Fleischbuffet, eine Rudelbildung zur Unterhaltung einberufen,
ob der Typ in der Schlange den Träger anmacht, dass er ihn nun schon zum 10. Mal in den Rücken stößt, obwohl der mögliche „Täter“ gerade eben die Schlange verlassen hat und der „Unschuldige“ erst ein paar Sekunden vorher aufgerutscht ist.
Alles egal heute. An Bord herrscht halt der ganz normale Alltag…
Aber an dieser Stelle soll ich nun auch sagen, dass der Service an den Bars und in den Restaurants, trotz voll belegtem Schiff stets prompt, korrekt und aufmerksam erfolgt. Ich weiß, dass es andere vereinzelt anders empfinden oder möglicherweise erleben. Haben unsere Leute aber so nicht festgestellt. Personalmangel oder sonst was haben die nicht erlebt.
Gegen 18:00 Uhr erreichen wir die engste Stelle zwischen Frankreich und England, also ungefähr Calais-Dover. Die Seekarte und aktuelle Position ist zwar weder in der App, noch auf dem Fernseher bei den nautischen Daten eingespielt, aber müsste ungefähr passen.
Und am Abend gehen die dann groß aus, ins Theater. Ja, das ist auch so ein Punkt, den sie demnächst vermissen werden. Diese „Ruhe“ im Saal. Kein Durchgangsverkehr, kein Gewusel, keine Ablenkung durch die ständige Unruhe, ein Punkt den auch die Künstler und Vortragenden zu schätzen wissen. So sehr zu schätzen, dass bei der Gastkünstlerin am Ende sogar Tränen fließen, als sie sagt, dass genau dies sie künftig vermissen wird. Es ist halt einfach eine andere Atmosphäre. Aber eben baulich nicht mehr möglich, nicht rationell und ökonomisch, bei so vielen Passagieren auf den verbleibenden Schiffen und Neubauten, dafür so viel Raum einfach nur noch für eine Sache vorrätig zu haben. Der Trend geht da halt zur Multifunktion, zur vielfältigen Ausnutzung des beschränkten Raums. Wobei unsere Leute sich auch nicht davon freisprechen, ebenfalls „mal eben“ durchs Theatrium zu huschen. Zumal da ja auch die Laufwege vorbeigehen. Insofern leider ein offenbar nostalgischer Luxus solcherart Theater. Aus einer Zeit, als man noch mit deutlich weniger Passagieren unterwegs war, sich das möglicherweise noch anders gerechnet hat.
„Schade“ sagen unsere Leute, aber halt der Gang der Zeit.
-- Fortsetzung folgt --
Nicht nur eine neue Uhrzeit, sondern auch ein anderes Land erwartet uns im nächsten Teil.
Wir fahren wieder rüber nach England, wo wir schon vor ein paar Tagen waren.
Diesmal aber nicht die Südwestküste, sondern die Themse hoch Richtung London.
Aber nur bis Tilbury.
Von dort geht es zu einem Schloss vom "Heinrich".
Und auch die Kathedrale von Canterbury war ja für den nicht ganz so unwichtig...
Kommentare 3