Antwerpen bei Nacht
Draußen lockt schon der Turm der Kathedrale. Aber erstmal geht es nach rechts zum Sint-Annatunnel.
Brücken über die Schelde sucht man hier vergebens.
Es herrscht reger Schiffsverkehr und die Brücken müssten schon riesig hoch sein. Um nicht nur auf Fähren angewiesen zu sein, baute man Tunnel. Der in den 1930er-Jahren gebaute fast 600 Meter lange Sint Annatunnel ist aber nur für Fußgänger und Radfahrer. Er hat auch nur einen Durchmesser von 430 cm.
Und seit nunmehr 90 Jahren befördert er mit den originalen hölzernen Rolltreppen, Rad wie Mensch in 2 Etappen in 34m Tiefe. Ist wohl eine ähnliche Qualitätsarbeit wie das Uhrwerk in Rouen. Aber noch hat die Rolltreppe ja auch keine 500 Jahre auf dem Buckel. Im Geruch von altem Holz und Gummi rumpeln die beiden Touris die gekachelten Wände entlang bis nach unten
und dort schauen sie erstmal in die Röhre…
Aber nicht wörtlich, denn die Sache hier war schon interessant und liegt nicht auf der üblichen Touristenroute.
Nee, was haben wir wieder für ein Glück mit dem Wetter. Kann hier wohl oft auch anders und feucht sein sein, denn hier am Vlasmarkt sind die Häuser sogar schon vom Pilz befallen...
Ein echter Geheimtipp kommt aber jetzt, der Vlaeykensgang. Eine kleine versteckte Gasse die den Oude Koornmarkt, unterhalb der Kathedrale, mit der Pelgrimstraat verbindet. Das die aber so klein und versteckt ist, haben die dann doch nicht gedacht. Und zack, stehen die schon vor der Kathedrale und vom Vlaeykensgang keine Spur. Kann doch aber nicht weg sein… Vor mehr als 400 Jahren angelegt und kaum sind wir da, dann… Nochmal die in Frage kommende Häuserfront abgesucht und dann findet sich doch eine Lücke und die schlüpfen rein in diese verborgene Gasse im ehemaligen Armenviertel der Schuhmacher und weitgehend Mittellosen.
Heute gibt es hier Kunstgalerien, ein exklusives Restaurant und Antiquitätengeschäfte in denen für teuer Geld sicher auch solche Gegenstände verscherbelt werden, die die ursprünglichen Bewohner der heute so romantischen Gasse für ihr (Über)leben brauchten. Schön heimelig ist es hier und mittlerweile fast dunkel. Die wenigen Lichtquellen und leider auch die Entdecker, werden von Mücken zur Rast genutzt. Mit romantisch fahlem Licht nun mittendrin ein Restaurant, offenbar ein Insider-Tipp. Teilweise „inside“ sind diese Stechviecher sicher auch schon bei dem Pärchen, welches hier wildromantisch im Außenbereich sitzt…
War schön hier, mal was anderes, aber nun wieder in belebtere Gegenden. Raus kommen die jetzt wohl an der Hoogstraat, wo die gerade schon vorbeigelaufen sind. Kein Wunder, dass die keinen Eingang gefunden haben. Der sieht aus wie ein offener Hauseingang. Gut getarnt. Ich glaube die sind hier nicht auf neugierige Touri-Besuche angewiesen.
Dicht belebt und schön beleuchtet aber hier die ganzen Lokale auf dem Oude Koornmarkt und rund um die beleuchtete Kathedrale,
mit 123m die höchste Kirche in Benelux.
Und den Kathedralenturm können sogar wir vom Fenster aus sehen. Und auch, dass die Lichter immer mal wieder wechseln. Also wenn man genau hinschaut.
Die werden wir ja dann morgen wohl wenigstens im Hellen sehen. Da werden die uns ja wohl nicht wieder zuhause lassen.
Sonst bricht hier aber eine mittelschwere Meuterei aus.
Hoffentlich ist die Nachtschicht dann auch fertig mit den Renovierungsarbeiten und kommen nicht auf die Idee, die Sache hier bis morgen noch einzurüsten.
Der Groote Markt wo die nun rumschleichen, ist wohl wesentlich kleiner als der von heute Mittag in Brüssel, aber das werden wir uns morgen mal genauer ansehen und bewerten. Genauso wie den Brabo-Brunnen in der Mitte des Platzes.
Auffallend ist das Stadhuis – Antwerpens Rathaus. Natürlich wieder ein „UNESCO-Weltkulturerbe“, baut es sich mit seiner 67 Meter breiten Fassade samt Glockenturm vor denen auf. Im Gebäudeinneren wohl mit tollen Säulen und vielen Kunstwerken, die wir aber auch morgen nicht zu sehen bekommen. Steht jedenfalls nicht auf meinem Plan. Der Teddy hat da ziemlich eng getaktet.
Seit dem Jahr 1565 steht das wohl hier und an der Frontseite und auch den Seiten hängen lauter Flaggen, wahrscheinlich von allen Ländern der Welt. Teddy wird morgen jedenfalls auf etwa 80 alleine an der Frontseite kommen, bevor ich dann durcheinander komme und mit dem Zählen aufhöre. Jedenfalls wehen die Flaggen schon kräftig im Wind und der pfeift jetzt auch immer mehr über den Platz. Auch daher verzichten unsere Leute auf einen Drink vor Ort, denn die ruhigsten Plätze hier kennen ohnehin nur die Belgier und halten die besetzt.
Funkeln hier, Lichter da und Blinken dort, am Ende erkennt man auf den Fotos sowieso nichts und die tun jetzt gut daran, endlich mal wieder heimzukommen.
Waffeln können die auch morgen noch essen. Wenn die sich denn entscheiden können...
Und so besinnen sich unsere Leute auch tatsächlich, dass sie da einige bedauernswerte Kreaturen auf der Kabine zurückgelassen haben, beschließen das Nachtleben auf dem Balkon fortzusetzen und kehren nun offensichtlich reumütig zur verlassenen stinksauren Fellbande zurück.
Und während wir nun schweigsam und beleidigt auf dem windgeschützten Balkon sitzen, wird immer klarer, dass das mit diesem geplanten Open-Air Auftritt vom Wayne Morris wohl morgen nichts geben wird. Denn bei der Schwester vom Träger, auf dem Campingplatz in Renesse, also gar nicht mal so weit von hier, fliegen gerade die Vorzelte weg.
Antwerpen
Heute ist die Fellbande wieder voll am Ball. Gleich erstürmen wir diese Hafenstadt Antwerpen, mit gut einer halben Million Einwohnern die zweitgrößte Stadt Belgiens. Und die ist übrigens auch frei von Heinrich dem Achten. Hier hat er ausnahmsweise mal nicht seine Finger drin gehabt. Also nicht das ich wüsste…
Von einer römischen Siedlung schnell zur Stadt aufgestiegen, hat sie es zu einem führenden Handelsplatz Europas geschafft. Eine reiche Stadt also, nicht nur wegen der Diamanten mit denen sich hier tausende Betriebe beschäftigen und die hier an Börsen gehandelt werden.
Und Geld, ja das lockt seit jeher an, Künstler wie Peter Paul Rubens z. B. Und Reichtum lässt nicht nur große Kirchen, sondern auch viele sonstige Gebäude entstehen, die längst nicht alle historisch sind. So mischen sich insbesondere auch im Zentrum, auf das wir uns heute allein schon aus Zeitgründen beschränken müssen, die verschiedenen Baustile von Mittelalter bis hin zur Neuzeit. Nicht unerheblich unterstützt uns bei diesem touristischen Vorhaben der günstige Liegeplatz. Dieser Terminal an der Burg Het Steen liegt praktisch direkt bei der historischen Altstadt. Aber wäre das Schiff länger als 265 Meter, dann hätte es uns in den Industriehafen verschlagen. Und dann wäre ohne Shuttleservice nicht viel gelaufen.
So aber...
Stark umkämpft war das im 2. WK von deutschen Truppen besetzte Antwerpen. Mehrere alliierte Luftangriffe und deutsche Vergeltungsschläge forderten Tausende Tote unter der Zivilbevölkerung. Den historischen Stadtkern aber hat Antwerpen trotz dieser schweren Kriegseinwirkungen gut bewahrt. Da ist zum Glück einiges übriggeblieben für uns.
Und älter als hier am Liegeplatz wird es nicht mehr. Denn die Festung Het Steen ist direkt mal das älteste erhaltene Gebäude der Stadt. Wer also nur das älteste Gebäude sucht, braucht schon jetzt nicht mehr weiter zu gehen. Ziel erreicht.
Eigentlich aber nur das winzige Teil einer ehemaligen großen Burganlage ist es, die Stadtburg von Antwerpen. Zwischen dem 12. und 13. Jahrhundert geschützt durch eine Stadtmauer. Und Het Steen war dabei auch nur eines von drei in die Mauer eingelassenen Torgebäuden. Nur diese hier ist von alldem übriggeblieben. Der Komplex der Burg wurde nämlich frevelhafterweise im 19. Jahrhundert im Zuge der Begradigung der Schelde-Kais „geschleift“.
Heute ist in Het Steen eine Ausstellung über die Geschichte der Stadt und auch das „Visitor Center“ untergebracht. Ein bisschen der Geschichte wollen wir heute aber selbst erkunden. Im Zeitraffer, eng getaktet, geplant und selektiert vom Teddy. Da brauchen wir nicht gleich hier hängenbleiben und auch das Visitor Center wird uns nichts Neues bringen. Vor allem gibt es hier auch keine Fahrkarten für Bus und Bahn. Die besorgen wir gleich woanders. Die Fellbande fährt eh wieder „schwarz“ mit.
Kurz an den alten, nicht mehr genutzten blechernen Unterständen des Terminals vorbei, deren Dachkonstruktionen detailreiche versteckte Kunstwerke sind,
geht es über die Straße rüber zum Museum Vleeshuis, dem im 16. Jahrhundert gebauten Gildehaus der Schlachter.
Ja, ganz nett, aber auch als fleischfressende Rasse wollen wir nicht ins Museum. Unsere Leute meinen auch, dass da noch bessere Gebäude kommen.
Gemeinerweise waren die ja schon gestern Abend auf "Vortour".
Und jetzt stehen auch wir endlich auf dem Marktplatz Grote Markt. Wie gestern schon in Brüssel, nur diesmal die abgespeckte Light-Version. Prächtige Gildehäuser reicher Kaufleute. De „Oude Waag“, das Haus der Tuchmacher, das Haus der Gerber und das mit „De Mouwe“ bezeichnete Haus der Kupferschmiede fallen besonders auf.
Handwerk hatte wohl schon damals, zumindest für die Oberen dieser Nahrungskette, goldenen Boden und wurde deshalb hier mit prächtigen Bauten zur Schau gestellt.
Am meisten aber fallen hier 2 Dinge auf und die anderen bilden nur den Rahmen.
Das große Rathaus „Stadhuis“, wo ich jetzt bei 80 Flaggen durcheinander komme und aufhöre zu zählen
und der für uns viel interessantere, das Teil in der Mitte vom Platz, der Brabobrunnen.
Steht aber erst seit etwa 150 Jahren da und erinnert an Silvus Brabo. Ein in Teilen unglaubwürdiges und sicher auch ein wenig ausgeschmücktes Märchen, eine Legende, versucht der Fellbande da eine „Räuberpistole“ aufzutischen. Ein am Fluss Schelde hausender Riese hatte die boshafte Angewohnheit, von den Schelde-Schiffern Wegzoll zu verlangen. Erinnert mich übrigens an das Geschäftsmodell der Wikinger in Avaldsness. Nur hackte der Riese denjenigen Schiffern die nicht zahlen konnten, nicht gleich den Kopf, sondern regelmäßig (nur) die rechte Hand ab und warf sie in den Fluss.
Das lief so lange bis dann ein Held die Showbühne betrat, praktisch ein neuer Sheriff der Stadt. Dieser Silvus Brabo besiegte, warum er dabei offenbar nackt war weiß ich nicht, den Riesen und hackte ihm als Denkanstoß für seine Missetaten zur Abwechslung mal die eigene Hand ab. Der Brunnen zeigt den Helden Brabo, wie er mit schwungvoller Geste die Hand des Riesen in Richtung Schelde schleudert, um sie dem sich dort bereits auf türmenden Haufen der Hände der „Zollsünder“ hinzuzufügen. Dass nun gerade aus der abgeschlagenen Hand das Brunnenwasser spritzt finde ich dann aber doch etwas makaber.
Hätte man das Wasser ja gleich auch noch rot einfärben können…Tiger vergisst dabei die ganze Vorgeschichte und jammert: „Der arme Riese“.
Ty und ich sind uns einig, dass das hier offenbar nichts für den Kleinen ist und wollen schnell weiter.
Ein paar Schritte weiter und nun nennt sich das Handschoenmarkt. Handschuhe sehe ich keine und die braucht man auch nicht, wahrscheinlich auch so ein Begriff von früher. Aber in der Mitte finden wir so ein helles glattes Steingebilde am Boden, welches sich bei näherem Betrachten als Nello & Patrasche erweist. Da habe ich schon von gehört und bin froh, sie gefunden zu haben. Ist nämlich irgendwie noch recht leer hier auf diesem historischen Marktplatz. Das ist jetzt schon eher was für den kleinen Tiger. Ein Waisenjunge mit seinem Hund. Die liegen hier und die Bettdecke ist aus Pflastersteinen geformt.
Das ist so eine Story über die es sogar einen englischen Roman gibt. Ist aber dann doch nichts für den Tiger, denn es gibt nicht mal ansatzweise ein Happy End. Hund und Junge starben in der Kathedrale an den erlittenen Entbehrungen vom harten Leben auf der Straße. Aber das muss der Tiger ja nicht wissen.
Der freut sich doch gerade so…
-- Fortsetzung folgt --
Und in dieser Fortsetzung verschlägt es uns in die Kathedrale der lieben Frau
und am Eingang erweist es sich als günstig mit alten Leuten zu reisen, -es gibt Seniorenrabatt.
(Der Träger nimmt es ja mittlerweile scheinbar widerspruchslos hin,
dass die dafür nicht mal seinen Ausweis sehen wollen... )
Drinnen hängen die alten Schinken von diesem Rubens und unter dem Fußboden liegen wieder Leichen.
Nicht ganz uneigennützig besorge ich dann draußen Daytickets für die Straßenbahn und es geht in den Untergrund.
Mal sehen wo wir wieder auftauchen...
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