11. Juli 2015 - Gravdal
Eigentlich wollte ich sehr früh an Deck sein und die Lofoten begrüßen. Von Anfang an. Aber nur eigentlich, denn der Stress der letzten Tage – ob mit oder ohne Neunerclan – hatte doch Spuren hinterlassen. Und als ich ca. 1 ½ Stunden vor der Ankunft in Gravdal auf Deck stand, erkannte ich zweierlei: Zum einen war es bereits hell (oder immer noch …), zum anderen benötigte ich den Tagesanfangskoffeinschub. Doch der musste noch ein wenig warten bei dem, was ich sah. Gigantisch, wie sich auf der Backbordseite die Berge aus dem Meer erhoben. Treffend: Berge treffen das Meer. Und zwar das Nordmeer.
Schroffe Berge. Schiefe Bergspitzen. Schneereste. Eine kleine Ortschaft – sich an die sich steil erhebenden, vereinzelt über 1.200 m hohen Berge schmiegend. Aufgrund der Höhe der Berge mehr graue als grüne Farben. Und noch immer kein Früher-Vogel-Kaffee. Ich konnte mich nicht trennen … Und der Himmel! Tiefblau. Na ja, ein wenig entfernt in Fahrrichtung eine dichtere Wolkendecke. Wurde vernachlässigt im Hochschwang der Gefühle. So, wie es Louis Armstrong vor fast 50 Jahren seinen Fans näher brachte: What a wonderful world … So, nun aber den Wachmacher geholt und inhaliert. Und den zweiten … und den … nein, den und folgende gab es später.
Das Lotsenboot näherte sich.
Oh – nicht mehr allzu weit vor uns verdichtete sich die Wolkendecke. Kurze Orientierung und dann kam die freudige Erkenntnis, dass uns die Wolken schnuppe sein konnten: Unser Tagesausflug sollte in die Richtung gehen, aus der wir kamen. In die Sonnengegend. Zum blauen Himmel!
So, noch ungefähr eine Stunde bis Gravdal. Und wer meldete sich? Der Magen. Also Zeit für das Frühstück. Aber das ging einfach nicht – wir konnten uns noch immer nicht von der uns begleitenden, weiterhin faszinierenden Landschaft trennen!
Minute um Minute zögerten wir, unter Deck zu gehen. Sollten wir die Schönheit der Natur verlassen? Ja, als die nächste Ortschaft in Sicht kam, sollten wir. Und hauten uns den Bauch voll. Schneller als bisher. Wir rüsteten uns für den langen Tag. Der Anker fiel – Tendern war angekündigt. Also rein und rüber an Land. Kreuzfahrergerds und Pingus nahmen am AIDA-Ausflug „Tagesfahrt ins Fischerdorf Å“ teil. Floppys und wir hatten im Vorfeld über einen örtlichen Anbieter und Mitglieder eines Parallelforums einen ähnlichen Ausflug gebucht – allerdings in einem Kleinbus für 16 Personen, in dem leider für den gesamten Neunerclan nicht mehr genug Platz vorhanden war (An dieser Stelle nochmals vielen Dank an Hannelore und Gunter, die diese Tour ganz prima organisiert hatten!). Nach dem Tendern schauten wir uns zunächst die Umgebung an. Und freuten uns über die unglaubliche Flora. Nicht vergessen: Wir befanden uns oberhalb des Polarkreises! Und wir wollten mehr. Mehr von der Blütenpracht. Wir bekamen sie – später …
Ein Blick über den Buknesfjord bescherte uns Gravdal. Ein kleiner Ort mit rd. 1.500 Einwohnern. Ohne besondere Sehenswürdigkeiten außer der 1905 aus Holz erbauten Buksnes-Kirche. Gut sah sie von weitem aus – für eine Besichtigung fehlte an diesem Tag leider die Zeit.
Nun aber hinein in den Bus. Und los ging´s Richtung Å – dorthin, wo die E 10 beginnt. Oder auch endet – wie man´s nimmt. Nach wenigen Minuten wechselten wir die Insel. Durch den Nappstraumentunnel. 1,8 km lang, 8 % Gefälle bzw. Steigung, bis zu 55 m unter dem Wasser – ein modernes Kunstwerk. Er verbindet die Inseln Vestvågøy und Flakstadøya, deren schönste Stellen wir an diesem Tag heimsuchten. Vorbei an grünen Weiden mit Schafen und Kühen. Vorbei an einem mit Grassoden bedachten Bauernhaus, auf dem Dachschafe ihre Pflicht taten.
Vorbei an sich neben uns aufbauenden hohen Felswänden. Vorbei an kleineren Fjorden, die wir zwangsläufig umfahren mussten. Immer wieder – bis wir am Strand von Ramberg ankamen.
Halbmondförmig. Lang geschwungen. Feinkörnig – fast wie in der Karibik. Klares, grünes Wasser. Aber kalt – wie auch die Luft. Niemand traute sich ins Wasser … Weicheier! Auch hier, direkt hinter dem Strand, begeisterte uns die sagenhafte Flora.
Und nach einem wie immer zu kurzen Fotostopp fuhren wir weiter. Mitten durch eine Landschaft voller Dramatik. Immer wieder Uferlinien vor überwältigender Bergkulisse.
Fjorde versperrten den direkten Weg. Lang geschwungene, in die Umgebung passende und nicht auffallende Brücken.
Ohne Halt nahmen wir die Richtung Å. Eine wunderschöne Fahrt, bei der wir nie lange Kontakt zum Nordmeer verloren. Einfach nur herrlich, die an uns vorbeiziehenden kleinen bunten Orte. Am Straßenrand unzählige Stockfischgestelle, die aber vorwiegend bereits „abgeerntet“ waren. Leise Proteste der Ausflügler erklangen, als wir den Meeresarm Gravdalsbukta mit Reine mit Hintergrund passierten. Unglaublich – diese atemberaubende Schönheit des Ortes. Nur kurz einsaugen – auf dem Rückweg sollten wir einen Fotostopp einlegen.
Weitere Buchten. Das Meer funkelte – wie konnte es auch anders sein bei diesem Sonnenschein, der nicht vorausgesagt war … Wir wollten bescheiden bleiben – wir hatten ihn verdient! Kein Widerspruch – er wird nicht akzeptiert!
Endlich oder auch nicht – die Landschaftsfahrt hätte weiter gehen können – erreichten wir Å. Am Ende der Welt? Weil hinter dem Ort die Straße beginnt? Okay – am Anfang der Welt. Und überwältigend schön. Ein kleiner Ort mit rd. 100 Einwohnern. Eher eine Häuseransammlung. Typische norwegische Rorbuer, ehemals saisonal genutzte Fischerhütten, die in den letzten Jahrzehnten zum größten Teil luxuriös ausgestattet wurden für gut betuchte Urlauber. Was macht man in Å? Man kann das Fischerei- oder das Stockfischmuseum besichtigen. Aber nicht in der Kürze der uns zur Verfügung stehenden Zeit. Denn wir wurden außerhalb des Ortes auf einem großen, schon gut belegten Parkplatz aus dem Bus „geworfen“, erhielten von unserem Fahrer Sticker als Zeichen, dass das Eintrittsgeld für dieses Museumsdorf gezahlt worden war und schlenderten Richtung Ortsmittelpunkt. Während dieses Spaziergangs erkannten wir, dass man im hohen Norden wohnen konnte. Gut wohnen mit herrlicher Aussicht. Und Schutz durch die Lofotenberge.
Aber uns interessierten mehr die älteren, renovierten Gebäude. Sie steuerten wir direkt an und erkannten, dass es nicht nur große, mittlere und kleinere Objekte sondern auch ganz kleine gab. So gesehen für die ganz Kleinen – Spielzeughäuser und –schiffe. Aber nicht zum Anfassen und Spielen!
Natürlich schauten wir uns auch das Innere der Hütten an. Nicht der Bewohnten sondern der quasi als Museum dienenden Rorbuers mit Relikten aus der Fischerei. Wir hätten uns stundenlang in Å aufhalten können – aber unser Zeitfenster reduzierte sich auf 60 Minuten. Beeindruckende Minuten, in der uns die nordische Schönheit unter tiefblauem Himmel angeboten wurde.
Schönheit auch in Form von farbenprächtigen Blumen. Nochmals – und der Hinweis wird bestimmt wiederholt – wir befanden uns oberhalb des nördlichen Polarkreises! Während unseres Aufenthaltes schnupperten wir in vielen Ecken und Winkeln herum. Aber nicht in allen – Wiederkommen war vorprogrammiert?! Grins ... Zum Abschluss unseres Å-Besuchs erfreuten wir uns an der Skulptur „Krake im Mahlstrom“ – eine Erinnerung an eine isländische Saga aus der Edda.
Dann wieder rein in den Bus – alle waren pünktlich! Zurück durch diese unvergleichliche Landschaft. Dieselbe Strecke, die nicht langweilig wurde. Und dann endlich der Fotostopp beim Postkartenmotiv. Gegenüber von Reine – so, wie von allen erwünscht. Ein Bilderbuchort, so wie er von weitem erscheint. Sich an steilen Felsklippen klammernd. Umrahmt von klarem blauen bis türkisblauen Wasser – ein Traum! Unter blauem Himmel. Ein noch größerer Traum! Ein Sehnsucht weckender Traum! Warum auch nicht …
Wir fuhren kurz durch diesen 300-Einwohner-Ort. Na ja, von weitem sah er viel, viel besser aus. So, wie er sich uns präsentierte. Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Der Anblick lohnte sich und wir hätten nichts gegen einen weiteren Besuch …
Doch zunächst mussten wir weiter. Weiter durch die Zauberlandschaft. Kleine Orte mit bunten Häusern hinter steilen Bergen bis wir die E 10 verließen und nach einigen Minuten das kleine Fischerdörfchen Sund erreichten. Nicht klein sondern klitzeklein mit ungefähr 100 Einwohnern. Bekannt ist in Sund das – natürliche auch kleine – Fischereimuseum,
in dem vornehmlich durcheinander fischereispezifische Gegenstände wie auch jede Menge alte Motoren zu besichtigen waren.
Interessanter war es, dem Schwarzschmied bei seiner Arbeit zuzusehen. Bekannt sind seine handgeschmiedeten Kormorane – er versuchte sich auch an Pinguinen, bei denen ein kräftiger Preisverfall festzustellen war. Warum eigentlich .... Nicht schlecht, nein, sehr gut machten sich die sonstigen Schmiedekunstwerke mit der grandiosen Lofotenwand im Hintergrund.
Trennen – vom Betrachten der unvergleichlichen Landschaft und weiter im Bus. Plötzlich tauchten vor uns einige Stockfischgestelle auf. Unser Wunsch, einen weiteren Fotostopp einzulegen, wurde sofort von unserem Fahrer erfüllt.
Sie wurden gerade „geerntet“. D.h. von den Stangen abgenommen, auf Paletten gestapelt, mit Folie fixiert und so für den Export vorbereitet. Nach ungefähr sechs Monaten Reifen an der frischen Luft. Für die Lofotenfischer sind die Monate Januar bis März die fünfte Jahreszeit. Sie holen den Dorsch aus dem Nordmeer. Ausgenommen wird er auf Gestelle gehängt. Wind und damit die salzhaltige Luft führen im Trocknungsprozess dazu, dass der Fisch bis zu 70 % der Körperflüssigkeit verliert und somit nahezu unbegrenzt haltbar wird. Exportiert wird er vorwiegend nach Südeuropa, wo er als Delikatesse gilt. Es ist erwiesen, dass schon die Wikinger Stockfisch als Handelswaren in den Süden mitgenommen hatten. Übrigens werden kleine Mengen eingeschweißter Stockfisch in den Touristenläden verkauft. Schlagt zu – probiert ihn – man kann ihn essen … Es ist nicht unbedingt ein kulinarisches Erlebnis. Aber eine Erfahrung. Nur ein Tipp: Öffnet die Packung nicht unbedingt im Auto – es könnte zu Protesten kommen wie während unserer Rückfahrt …
So, weg vom Stockfischausflug und weiter im Text, also mit unserem Ausflug. Unsere letzte Station war
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ein weiteres Lofoten-Kleinod. Es wurde in der heutigen Zeit zum Museumsdorf (Eintritt!) mit 30 Rorbuers,
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die man auch mieten kann. In ihnen nächtigten in den früheren harten Fangsaisons Hunderte von Fischern.
Es war für uns ein weiteres Erlebnis, dieses pittoreske Dorf zu besuchen, ja, zu erobern. Wir wussten nicht, was man zuerst fotografieren sollte – alles auf einmal ging nicht.
Um zu zeigen, wie man sich in früheren Zeiten versorgt hatte, wurde das damalige Einkaufszentrum liebevoll restauriert. Die Inneneinrichtung stammte aus der guten alten Zeit wie auch eine Vielzahl von Produkten in Originalverpackungen. Man sollte den Inhalt möglichst nicht mehr verwenden … Alte Reklameschilder setzten sich richtig gut ins Bild. In diesem Bericht bilde ich nur zwei von den vielen ab nach dem Motto: Gegensätze ziehen sich an … So interessant es im Landhandel auch war – wir mussten weiter durch Nusfjord stromern. Auf Wegen, über Wasser. Nein, über auf Stelzen fixierten Bohlen.
Auf einen Hügel, pardon, auf einen riesigen Felsbrocken, von dem aus wir den besten Ausblick hatten. So z.B. auf ein frisches Glück. Ein Hochzeitspaar in voller Montur. Es gab so viel zu bewundern. Im Grunde genommen war alles ähnlich. Und dann doch nicht. Der kleine, von Stegen eingefasste Hafen.
Nicht nur am Rande, sondern auch mitten im Dorf wieder Zeichen der unglaublichen Natur. Wunderschöne Blüten, die in dieser Umgebung nördlich des Polarkreises (schon wieder!) phantastisch zum Ausdruck kamen.
Wir nahmen sie auf – mit unseren Augen, mit unseren Kameras. Und nahmen alles mit – Richtung Gravdal, wo wir überpünktlich ankamen. Es war noch Zeit genug, ein wenig die nächste Umgebung des Schiffanlegers zu erkunden. So schnauften wir den nahen Hügel hinauf, der einen tollen Blick auf Bucht und Umgebung garantierte.
Und unten angekommen, lockten uns AIDAluna und das Tenderboot
Ja, es wurde Zeit, sich Richtung Schiff zu orientieren. Das Tenderboot wartete auf uns … ohne einen einzigen Passagier. Was machte man in einem solchen Fall? Richtig – wir nahmen den besten Platz mit der optimalen Sicht – Pole-Position …
… und nach kurzer Zeit standen wir wieder in unserem Zuhause. Oder saßen … endlich mal wieder …
Unser Abendprogramm begann mit dem Besuch des Theatriums. „AEON – jetzt und für alle Zeit“ wartete auf uns. „ … AEON verbindet Elemente aus Rock, Neoklassik und Weltmusik mit mittelalterlich anmutenden Kostümen und einer kunstvollen Inszenierung, die sich an das moderne Tanztheater anlehnt. Freuen Sie sich auf eine ebenso faszinierende wie skurrile Show,
die geheimnisvoll und poetisch das menschliche Leben mit seinen ewigen Fragen nachzeichnet. Erleben Sie die ewige Vorzeit oder die unbegrenzte Zukunft …“ (aus AIDA HEUTE)
Eine sehenswerte Show …
Wir lebten weiter in der Gegenwart und bekamen mit, wie sich unsere AIDAluna wieder auf den Weg machte. Vorsichtig verließ sie die Bucht und schob sich Richtung freies Meer. Nach einiger Zeit legte das Lotsenboot an, und holte den Herrn und Meister ab. Längere Zeit fuhr unser Schiff parallel zu den Lofoten.
Die hinter den Bergen verschwindende, aber nicht zum Untergehen neigende Sonne tauchte die ganze Umgebung in ein unheimliches, sphärenhaftes Licht – wunderschön. Eine Zeitlang beobachteten wir die sich langsam entfernende Lofotenwand bis sich unsere Mägen bemerkbar machten. Logisch – sie wurden gefüllt. Und später spülten wir in einer nicht unbekannten Bar nach …
12. Juli 2015 – Seetag
Dieser Tag stand ganz im Zeichen des Ausruhens. Sogar ich war lange nach 7 Uhr an Deck. Aber noch vor 8 Uhr … Ich war einfach neugierig, ob bei dem Traumwetter die netten Liegenbeschlagnahmer am Werk waren. Aber nein – sicher waren sie noch ein wenig müde … oder es war zu kalt … Weicheier!
Der Tag plätscherte so vor sich hin. Kein Stress – alles in Ruhe. Auch beim Essen. Also viel bei viel Zeit. Irgendwann kam der Abend und wir trafen uns auf Deck 12. Am Heck. Dort gab´s etwas Leckeres zum Trinken. Die Getränke animierten. Dunkle und komische Gestalten standen Schlange hinter dem Fernrohr. In seltsamer Haltung …
Aber sie standen nicht lange stocksteif. Denn wir bekamen endlich Futter. Erdnüsse, um die wir in den vergangenen Tagen nicht nur an diesem Ort oftmals kämpfen mussten. Und an diesem Abend erhielten wir sie ohne Aufforderung! Das musste gefeiert werden!
Dabei wurden wir ins rechte Licht gesetzt …
Und wir wurden darauf hingewiesen, dass wir uns nicht in und auf freier Natur befanden. Stimme des Disc-Jockeys aus der Anytime-Bar: „Kommen Sie ruhig auf die Tanzfläche! Sie ist kein Naturschutzgebiet!“ Wir glaubten ihm nicht …
Das war ein Abend. Und das war der Abend …
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