14. Juni 1024 – ½ Seetag, Reykjavík
Wie immer war ich früh auf den Beinen; der Morgenkaffee lockte nicht nur mich. Einige Mitpassagiere warteten wie ich auf Island; die meisten von ihnen mit dem Kaffeepott in der Hand. Die Sonne mochte uns (hoffentlich: noch) nicht; bedeckt, ca. 10°, leichter Wind, Ententeich. Von Island war nichts zu sehen; man konnte das Land nur im Dunst erahnen. Weit konnte die Insel nicht sein, denn die Internetverbindung via Roaming klappte. Ca. 8.30 Uhr kam die Küste in Sicht. Die Halbinsel Reykjanes mit dem in den letzten Jahren arg gebeutelten Ort Grindavík.
Rote Lavaströme boten sich uns nicht – aber die gut erkennbaren Rauchschwaden zeigten, wo sich der Eingang zum Höllenschlund befand.
Frühstück und anschließend Walwache. War aber nix mit den kleinen possierlichen Tierchen. Immerhin wurden wir zeitweise von Delphinen und Papageientauchern begleitet.
Unser Schiff zog langsam an der in Nebelschwaden liegenden Küste vorbei. Die bisher ergebnislose Walwache wurde unterbrochen von einem Schmankerl der Küche: Auf dem Pooldeck wurden Waffeln mit heißen Kirschen und Schlagsahne angeboten. Nicht nur wir schlugen zu … lecker …
Allmählich schälten sich Schemen von Reykjavík aus dem Dunst. Hallgrímskirkja, Perlan, das Konzerthaus Harpa als Pendant zum Milliardengrab Hamburger Elbphilharmonie. Die AIDAsol bog in die Bucht von Reykjavík ein.
Walbeobachtungsboote waren unterwegs. Anscheinend hatten sie die Wale vertrieben. Uns zeigte sich nicht ein Einziger …
1 ½ Stunden früher als geplant legte das Schiff an. Bis zum Beginn unseres Ausflugs hatten wir noch ein wenig Zeit, unsere Beine zu vertreten. Runter vom Schiff und auf Richtung Innenstadt.
Nach ungefähr der Hälfte der Strecke zurück, zu Mittag gegessen und dann war es an der Zeit, uns zum historischen alten Hafen fahren zu lassen. Dort begann unser über „Meine Landausflüge“ gebuchter Ausflug „Papageientaucher hautnah erleben“. Auf einem kleinen Bötchen namens Skúlaskeið, übersetzt Schulzeit, einem speziell für Vogelbeobachtungen gebauten Schiffchen.
Los ging´s – gemächlich verließ die Schulzeit den alten Hafen und gönnte uns zunächst sehr gute Ausblicke auf eins der neuesten Wahrzeichen Reykjavíks. Harpa – übersetzt die Harfe.
Eine passende Bezeichnung für das Konzerthaus, das nach dem Motto „Auferstanden aus der Pleite“ 2011 fertiggestellt wurde. Der Beginn des Baus war einfach. Aber nicht lange, denn die 2008er Finanzkrise führte zur Insolvenz der Investorengruppe; die finanzierenden Banken waren hoch verschuldet, konnten und durften nicht mehr beim Weiterbau unterstützen – sie wurden verstaatlicht. Der Rohbau wurde von der öffentlichen Hand übernommen. Und nun? Abreißen? Zu teuer - € 90 Mio. zzgl. Abbruchkosten wären ins Vulkangestein gesetzt worden. Also nach einer Pause Weiterbau nach bisheriger Planung, bezahlt aus den Taschen der Steuerzahler. Immerhin ist ein Juwel entstanden. Allein die Außenfassade mit unzähligen (Ich nahm mir nicht die Freiheit zu zählen!) geometrisch gestalteten Farbeffektelementen führten zum Staunen. Je nach Tageslichtintensität und -einfall entstanden wechselnde Farbspiele. Gut, dass man das zunächst begonnene, dann still gelegte Architekturdenkmal nach der Pleite nicht verrotten ließ!
Unser Bötchen fuhr weiter in die sich vor Reykjavík ausbreitende Bucht. Wir schauten nicht nur nach vorne, sondern ließen uns auch von der Küstenlinie der Stadt faszinieren,
die wir immer weiter hinter uns ließen. Bis kurz vor der rd. 1.100 m von der Küste entfernten unbewohnten Insel Akurey; seit 1979 Naturschutzgebiet. Touristen dürfen die Insel nicht betreten, so dass sich die Vögel in ihrem natürlichen Lebensraum wohlfühlen.
Eine felsige flache Insel, oben mit Gras bewachsen. Der ideale Platz für die Papageientaucher zum Brüten. In den unteren steinigeren Regionen hielten sich Möwen auf. Jede Vogelart hatte ihr eigenes Revier und lebte friedlich miteinander. Bitte entschuldigt die Fotoqualität – das Schiffchen war zu weit weg von der Insel, um mit meinem 270er Objektiv vernünftige Fotos zu „schießen“.
Die auf dem Wasser schwimmenden Clowns der Lüfte fühlten sich durch das langsam näher kommende Boot gestört. Also nichts wie weg! Putzig, wie sie zunächst schwerfällig über das Wasser liefen
und anschließend elegant wegflogen.
Papageientaucher sind keine Vögel, die die Einsamkeit schätzen. Sie treten in mehr oder weniger großen Schwärmen auf. Auf den Inseln vor Reykjavík wurden ungefähr 30.000 dieser drolligen Vögel gezählt.
Die Skúlaskeið umrundete langsam die Insel. Leider konnten wir sie nicht „hautnah“ beobachten, wie Ausflugsbeschreibungen versprachen. Mit bloßem Auge (und kürzlich angepasster Brille) konnten wir nicht das erkennen, was wir erhofften. Und zu weit entfernt für mein Objektiv. Von Smattefohnaufnahmen ganz zu schweigen. Ich kann diesen Ausflug nicht mit gutem Gewissen empfehlen.
Nun aber zurück. 15 Minuten Fahrt und schon legten wir im alten Hafen an. Wir mussten uns entscheiden: Per im Ausflugsumfang enthaltenen Shuttle zurück zum Schiff oder zu Fuß durch Reykjavík zur AIDAsol. Wir entschieden uns für die Schweiß treibende Variante – wir wollten noch etwas von der Stadt sehen! Wir begannen mit einem alten Industriedenkmal.
Eine 1892 von der Jung & Staimer OHG in Kirchen/Sieg hergestellte Werkbahn, die zum Glück nicht auf dem Schrottplatz endete sondern am Rande der alten Wirkungsstätte den Passanten zeigte, dass gute alte deutsche Wertarbeit (grins) bei entsprechender Pflege schwer kaputt zu bekommen ist. Im Hintergrund sind Teile der Silver Wind zu erkennen, die als kleines, aber äußerst feines Kreuzfahrtschiff im privilegierten alten Hafen nahe der Innenstadt festmachen durfte.
In der Umgebung um den alten Hafen waren vor Jahrzehnten Industrieobjekte, insbes. Fischverarbeitungsindustrien, angesiedelt. Sie zogen dorthin um, wo unsere AIDAsol lag - zum neuen Hafen von Skarfabakki. Im alten Hafen schaukelten nunmehr vorwiegend Ausflugsboote auf dem Wasser; ab und zu sollen sich auch Fischkutter mit ihren Tagesfang nähern.
Die Ödfläche gammelten nach Abriss der alten Industriebrachen natürlich nicht einfach so vor sich hin. 1a-Architekten tummelten sich dort und hinterließen Prachtbauten wie Harpa oder das daneben hochgezogene Objekt:
Eine tolle Symbiose zwischen dicken Glasflächen und robustem Stein. In diesem Gebäude befinden sich der Hauptsitz der größten isländischen Bank Landsbankinn, diverse andere Unternehmen, Geschäfte und Restaurants. In diesem vormals eher verpönten Viertel zeigt sich außerdem das moderne Reykjavík – viele unterschiedliche Museen locken Interessenten.
Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass sich seit unserem 2015er Besuch in der Stadt unheimlich viel getan hat. Sie erinnerte uns mit den teilweise futuristischen Bauten an andere nördliche Metropolen wie z.B. Kopenhagen und Oslo.
Weiter, der Hügel vom Arnarholl Park mit der Statue von Ingólfur Arnarson, einen der ersten Siedler der Insel, musste bezwungen werden. In Richtung
Hallgrímskirkja mit dem davor stehenden Denkmal von Leifur Eiríksson,
der bereits ca. 1000 n.Chr. Amerika entdeckte. Die Außenfassade erinnert an geometrisch angeordnete Basaltsäulen; der hohe neugotische Innenraum ist ein Abgleich der kargen Weite des Landes und die weiße Inneneinrichtung ein Hinweis auf die Gletscher Islands – eine optimale Verbindung von Kirche zum Land. Die Kirche ist innen wie auch außen ein Muster der Schlichtheit, was aber auch sehr beeindruckt. Zu empfehlen ist auch die Fahrstuhlfahrt im Kirchturm bis nach ganz oben. Der Rundumblick über Reykjavík und das Meer sind einfach beeindruckend; aus Zeitgründen verzichteten wir dieses Mal darauf.
In der Innenstadt gab es so gut wie keine Gärten. So gut wie keine bedeutet, dass man einzelne doch finden kann. Wir hatten Erfolg:
Eine Blumenpracht! Endlich wieder Tulpen und das Mitte Juni.
Farbenpracht gabt es anderweitig. Im trostlosen dunklen Winter freuen sich Isländer, wenn zwischen tristen Häusern vielfarbige Bauten zu sehen sind.
Ins Auge fiel die Freyja Bar. Von außen sah sie einladend aus. Von innen mit Sicherheit auch. Leider nahmen wir uns nicht die Zeit, um sie in Gänze zu testen.
Denn wir entschlossen uns, zurück zum Schiff zu gehen. Und zwar auf der wunderschönen Promenade entlang der Wasserlinie. Ohne Fotostopp? Das gelang uns nicht. Der erste Halt fand vor dem Sólfar statt,
übersetzt Sonnenfahrt. An dem Ort, an dem Ingolfur Arnarson seinen Hof errichtet haben sollte. Die aus Edelstahl anlässlich des 200-jährigen Jubiläum von Reykjavík hergestellte Skulptur stellt ein stilisiertes Wikingerschiff dar, das in den Sonnenuntergang fährt. Bei unserem Besuch sahen wir allerdings zwei Schiffe. Ihr auch?
An einem ganz besonderen Gebäude konnten wir nicht so einfach vorbeigehen.
Höfði; dieses Holzhaus wurde vor sehr langer Zeit in Einzelteilen von Norwegen nach Island gebracht; diente 1908 als französisches Konsulat, später als Privathaus, anschließend als englische Botschaft und aktuell als Gästehaus der isländischen Regierung. Im Höfði kamen sich 1986 Ronald Reagan und Michail Gorbatschow näher und bekanntlich war dies der Startschuss für ein neues Weltbild, das sich leider in den letzten Jahren wieder zurück entwickelte.
Beeindruckt von diesem einfachen, aber sehr geschichtsträchtigem Haus kehrten wir auf den bei Isländern und Besuchern sehr beliebten Flanierweg zurück. Und blieben gleich wieder stehen.
Vor einem Aussichtspunkt mit einem neuen Leuchtturm. Dem Höfði Leuchtturm. Was sahen wir im Hintergrund? Unsere AIDAsol. Also hatten wir es nicht mehr sehr weit. Pustekuchen – die Sohlen mussten noch mehr qualmen … Ihnen, unseren Füßen und Beinen gönnten wir nach einer weiteren halben Stunde die nächste Möglichkeit zum Ausruhen.
Wir standen still und staunten: verschiedenfarbiger Fels, Küstenbefestigung, Leuchtturm, Insel mit Kirche und Haus, mächtiges Gebirge. Besonders ins Auge fiel die Insel – ein Panorama, das u.E. zu den besten Reykjavíks gehört. Die Insel Viðey mit dem Gutshaus Viðeyjarstofa. Es ist das erste ganz aus Stein gebaute Gebäude Islands, stammt aus 1755 und wurde von demselben dänischen Architekten erstellt, der auch Kopenhagens Schloss Amalienborg entwarf. Seit der Restaurierung in 1988 ist in diesem Gebäude ein Restaurant der gehobenen Klasse untergebracht.
Endlich war es nicht mehr weit bis zum Hafen. Auf dem Schiff angekommen, beeilten wir uns, einen Platz im Markt-Restaurant zu ergattern. Kein Problem – viele Mitreisende waren noch an Land. Die nach dem Motto Skandinavien gebotenen Speisen waren von Auswahl und Geschmack sehr delikat. Während unserer Essenszeit lief bereits das EM-Eröffnungsspiel Deutschland – Schottland. Die zweite Halbzeit verfolgten wir im Theatrium bei toller Stimmung. Ja, niemand von uns Deutschen konnte meckern: 6 deutsche Tore und trotzdem gewonnen …
Was fehlte an diesem Tag? Der Absacker in der in der Abendsonne liegenden Ohschän-Bar. Wir genossen ihn und sie und dabei auch den Blick auf die Insel Viðey.
Versteht Ihr, warum wir dieses Panorama so sehr lieben?! Wir wollen zurück!
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