Schanghai – 2. Tag
Gestern erst übernächtigt angekommen, abends schon auf Achse gewesen und heute Morgen geht es trotzdem früh raus. Gib Müdigkeit und Jetlag erst gar keine Chance lautet das Motto.
Tradition trifft auf Moderne (SHA02)
Man spricht Deutsch. Zumindest die Reiseleiterin. Kurze Fahrt und wir stehen vor der 1908 gebauten Waibaidu Brücke, die einzige noch bestehende historische Fachwerkbrücke.
Sie führt über den Suzhou Fluss. Mag man gar nicht glauben, aber mit den vielen Haupt- und Seitenkanälen mit einer Breite von 10 bis 50 Metern, gibt es hier das weltweit wohl größte künstliche städtische Kanalsystem. Da es sich aber über eine Riesenfläche erstreckt, fällt es anders als in Venedig nicht sonderlich auf. Auch mit seinen mehreren tausend Brücken darüber nimmt Schanghai stillschweigend so einen Spitzenplatz ein.
Zu Fuß über diese historische Brücke und direkt fällt ein offensichtliches Anzeichen für hiesige Vollbeschäftigung auf. Posten hier und Posten da, eine vermutlich noch größere Zahl bleibt uns sicher verborgen und wir stehen jetzt an der Promenade „The Bund“, gar nicht so weit weg von unserer Exkursionsbasis, dem Schiff, welches da hinten im Frühdunst liegt.
Und was jetzt direkt vor uns steht, das ist das Denkmal für die Helden des Volkes.
Diese drei nach oben zusammenlaufenden Teile sollen für Demokratie, Freiheit und Sozialismus stehen. Jetzt weiß ich auch was da gestern Abend bei der Skyline vom Bund als Dreieck so rot geleuchtet hat. In einem Graben am Boden sind an der umlaufend ringförmigen Wand Reliefs von Kampf- und Befreiungsszenen dargestellt.
Vor uns jetzt, heute mal im Tageslicht, diese riesige Promenade „The Bund“,
damals nur ein Deich, aber heute könnte man da scheinbar endlos langlaufen. Könnte man, aber so viel Zeit die jeweils 2,6 km hin und wieder zurück zu latschen, haben wir bei unserer „Freizeit“ nun auch wieder nicht. Außerdem muss die Fellbande sich jetzt erstmal dieses Grüppchen von Feng Shui Jüngern ansehen, die gerade „Kranich“ und „Sterbender Schwan“ praktizieren. Nun gut, ist ja hier nicht so unüblich, diese Übung.
Diese Weite hier, die großzügige Promenade, täuscht im Moment darüber hinweg, dass wir uns tatsächlich in einer Millionenstadt befinden, mit eigentlich drangvoller Enge.
Allein schon die Innenstadt (Puxi) und die inneren Vororte zählen etwa 15 Millionen Einwohner. Rechnet man noch die zahlreichen umliegenden, bis zu 50 km entfernten Stadtbezirke hinzu, leben in Schanghai derzeit etwa 26 Millionen Menschen zuzüglich ihrer geliebten Stofftiere. Okay, 50 km Entferntes dazuzuzählen wirkt ja schon ein bisschen künstlich aufgeblasen, aber bei den vielen Millionen macht das auch nichts mehr. Und bis 2035 werden sogar 34 Millionen erwartet. Nun, in der Innenstadt haben die jedenfalls keinen Platz mehr. So hoch kann man gar nicht bauen, um die dann alle unterzubringen.
Schon jetzt herrschen hier immer noch sehr beengte Wohnverhältnisse. Die Bevölkerungsdichte beträgt 7226 Einwohner/km² und in Puxi sogar 22.562 Einwohner pro Quadratkilometer!!! Zum Vergleich sind es in Berlin „nur“ 3800.
Wenigstens die Netto-Wohnfläche pro Kopf hat sich in der Zeit zwischen 1957 (3 m²) und heute (9 m²) schon mal verdreifacht. Ähnliche Verhältnisse also wie in unserer Kabine, den Platzbedarf der Fellbande mal nicht einberechnet. Auch der Anteil von Haushalten in akuter Wohnungsnot, das heißt mit weniger als vier Quadratmetern Wohnfläche pro Kopf, sank bis heute auf nur noch knapp unter zehn Prozent aller Haushalte. Vor allem aber in den Altstadtvierteln wird diese großzügige Weite noch nicht erreicht, weil die auch noch von zahlreichen Industriebetrieben, also keinem potentiellen Wohnraum durchsetzt sind.
Wir aber schauen erstmal fasziniert rüber auf das gegenüberliegende Ufer des Huangpu-Flusses, der die Stadt teilt.
Von diesem Blickwinkel wirkt es wie eine Insel, dieses Finanzviertel Luangzou, wo die 4 markanten Türme im smogdurchtränkten Frühdunst stehen.
Davor reihen sich die Lastkähne auf ihrem Weg zum Jangtsekiang-Delta.
Moderne Uferpromenade und dahinter, getrennt durch einen mal mehr und mal weniger breiten Grünstreifen, dem Huangpu-Park,
jede Menge über 100 Jahre alte historische Gebäude im europäischen Stil.
Bis zum berühmten Art Deco Peace Hotel schaffen wir es nicht, aber wenigstens bis zum Haus vom Seezoll.
Das ist auch bekannt und war mal eines der höchsten Gebäude hier in China. (Damals vor dem 2. Weltkrieg als man hier in Shanghai noch die höchsten Häuser außerhalb der USA hatte.) Und so schaue ich noch mal rüber zu den X-mal so hohen Riesentürmen und kann es mir kaum vorstellen, wie schnell sich die Zeiten ändern können.
Und das mit dem „Schauen“ ist hier sowieso so eine Sache. Okay, wie an vielen anderen Stellen der Welt steht da eine Art „mobile Wache“, darin scheinbar gelangweilte Polizisten die teilnahmslos auf ihrem Handy rumdaddeln. Aber Teddy fühlt sich trotzdem beobachtet. Überall sind hier Kameras in sämtliche Richtungen installiert, stehen Posten rum.
Doch die Fellbande hat nichts zu verbergen und ist eh gleich wieder weg. Wollen nur schauen, nichts anfassen. Könnt ihr noch so sehr überwachen. Ty sieht das eh gelassener und grinst ironisch: „Mann sind wir prominent, dieser Personenschutz. Hier wird man als „Made in China“- Bürger noch wertgeschätzt. Alles meine Leute.“
Ja, deine Leute. Die sind total gut drauf. Da unten im Park spielt ein Polizist in Uniform gerade fröhlich mit Mama und Papa Ball und später werden wir noch an einer Stelle vorbeikommen, wo ein älteres Paar, umringt von glücklichen Müttern mit Kinderwagen, just bei unserem Erscheinen einen raumgreifend schwungvollen Paartanz zu fröhlicher Musik auf den Asphalt bringt. Das ist doch etwas…, sagen wir mal „ungewöhnlich“… ein Hauch von Nordkorea. Andererseits ist der Chinesenbär Ty ja auch so eine Frohnatur und grinst schon seit ich ihn kenne. Insgesamt aber wirkt manches hier doch ein wenig inszeniert.
An verschiedenen Stellen werden mir noch ganz eigentümliche Teile auffallen. Es sind so durchsichtige Plexiglaskästen in Telefonzellengröße, darin „Waffen to go“. Schlagstöcke, Schutzschilde, Helme.
Damit können sich dann im Bedarfsfall, was auch immer das sein mag, die vielen sichtbaren und unsichtbaren Wachleute schnell ausrüsten. Allzeit bereit, ob an Sehenswürdigkeiten wie mitten im Yu-Garden, an Tempeln, an Plätzen. Hinter und neben der westlichen Fassade verbirgt sich eben doch die eine oder andere mal mehr, mal weniger sichtbare „Besonderheit“.
Wie lange der für alle sichtbare brisante Inhalt in den Plexiglaskästen wohl daheim so unbeschädigt stehen würde?
Mit der „Kuomingtan“, der nationalen Gründungspartei von vor 100 Jahren, haben die es hier ja eigentlich nicht mehr so, aber der damalige erste Staatspräsident von China, Sun Yat-Sen wird, losgelöst von seiner Parteizugehörigkeit, in der heutigen Volksrepublik genauso wie auch in Taiwan, wegen seiner Verdienste verehrt. Und so hat man die Straße da, unterhalb der Promenade, Zhong-Shan-Straße genannt. Das ist der Name unter dem der wichtige Typ bei den Chinesen bekannter ist. Und seinen Geburtsort hat man übrigens auch auf diesen Namen umgetauft.
Unten im Grünstreifen, dem heutigen Rest vom Huangpu-Park, steht eine Bronzestatue die ich den anderen, stolz auf meine Entdeckung, jetzt als „Mao“ verkaufen will. Und bei dem ist aber Schluss mit den taiwanesisch-chinesischen Gemeinsamkeiten. Den finden zumindest die meisten Taiwanesen geschichtsbedingt nicht so toll. Aber der heimatbelesene Ty klugscheißert ohnehin rum und fährt mir in die Parade. Der Typ von der Statue ist wohl doch nur ein ehemaliger Bürgermeister von Schanghai. Der sieht aber so ähnlich aus und die anderen würden es mir noch heute glauben. So gesehen völlig unnötig diese Korrektur vom Ty…
Und wenigstens von weitem blickt die neugierige Fellbande nun in die von der Hauptstraße abgehenden Querstraßen, in die altehrwürdige und heute berühmte Geschäftsstraße Nanjing Lu, damals zu Konzessionszeiten so eine Art „Broadway“ -das altehrwürdige Hotel bei der Waibidu-Brücke trägt es sogar noch im Namen-,
und heute noch belebte Einkaufsstraße nahezu aller Luxusmarken.
Doch für die Sponsoren besteht keine Gefahr, dass sie etwa für Folgen eines luxusorientierten fellbandlichen Konsumrausches aufkommen müssen. Wir müssen nämlich zurück über die Waibaidu-Brücke und ab in den Bus.
Gut das die Verbotsschilder und Verkehrszeichen hier international sind. Ehe du nämlich fertig gelesen hast, biste sonst schon falsch abgebogen.
Und wieder bringt man uns jetzt zu einer wichtigen Stelle, wo ich mit meinem angelesenen Wissen vor den Unwissenden glänzen kann. Es sei denn, der Chinesenbär geht mir wieder mit seiner Besserwisserei auf die Nerven.
Es ist eine Premiere auf dieser Reise, der erste Tempel von den gefühlten Hundert die uns noch erwarten werden. Hilft nichts, irgendwann müssen wir ja mit der „Tempeltour“ anfangen. Es ist der Jadebuddha-Tempel (Yufo Si) und zum Auftakt klotze ich mal direkt mit einer der wichtigsten religiösen Stätten Shanghais.
Wurde 1882 eigens für zwei kostbare Buddha-Statuen aus Myanmar errichtet.
Und super Auftakt, direkt mal ist der 190 cm hohe sitzende Buddha anscheinend fotoscheu, ziert sich und darf nicht fotografiert werden. Und der Ty nimmt das ernst und hält sich dran. Na toll. Wenigstens aber der kleine liegende Buddha posiert lasziv für uns und präsentiert stolz, dass er aus einem einzigen Block weißer Jade geschnitzt ist.
Nach der kommunistischen Machtübernahme war der Tempel erstmal lange Zeit geschlossen, passte wohl nicht in die neuen revolutionären Kulturvorstellungen, aber seit 1980 wird er wieder genutzt. Heute bewohnen ungefähr 100 Mönche den Tempel und bilden Schüler dafür aus, die überall im Land wieder eröffnenden Klöster zu beleben.
Immer zu Beginn eines neuen Jahres, im Moment ist es ja das „Jahr des Drachen“,
wird genauso wie bei uns ordentlich Radau gemacht. Aber das Ganze hat mit Silvester jetzt eher nichts zu tun. Und ehe mir wieder der emigrierte Chinesenbär dazwischenfunkt, erzähle ich den anderen mal schnell, dass es das „Chinesische Neujahr“ ist und eben nicht am 1. Januar stattfindet. Und auch mit dem Radau machen ist das hier anders. Aber Lärm macht man trotzdem, wenn genau 108 mal auf eine Glocke oder so eingeschlagen wird, um genau „108 menschliche Sorgen“ zu vertreiben.
Woher wollen die eigentlich wissen, dass ich so viele Sorgen habe? Für mich würden 3 Schläge reichen.
Einen für: Das ich etwa mal nicht mehr reisen kann;
den zweiten für: das ich etwa selbst laufen muss und nicht mehr rumgeschleppt werde;
und den letzten für diesen nervigen Hase zuhause;
- das sind meine 3 einzigen Sorgen.
Ty macht es schon wieder und korrigiert mich: „Menschliche Sorgen Kaufhof…, die Menschen, nicht Du altes Plüschhirn!“
Okay, doch 4 mal schlagen. Ist eine Sorge dazugekommen, der alte Besserwissser Ty.
--- Fortsetzung folgt ---
Und da überlisten wir diese hohe Türschwelle gegen "böse Geister",
schauen uns nach dieser List mal im Haupttempel um,
werden vom Glück beseelt
und begeben uns danach an einen "Ort der Freude", den Yu Garden,
dessen ehemaligen Besitzer man mittlerweile die Fernsicht verbaut hat...
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