Fortsetzung Tokio
Und jetzt stehen wir vor dem Eingangstor, aber noch lange nicht vor der Tempelanlage. Dieses 1960 wiedererrichtete Tor, heißt eigentlich „Kaminarimon“, was mir aber relativ egal ist, denn ich durchschreite das „Wahrzeichen Asakusas“, den Haupteingang zum buddhistischen Tempel Sensō-ji, lieber unter dem Spitznamen „Donnertor“.
Über 11 m hoch, wird es links und rechts von den mächtigen Gottheiten des Windes (fūjin) und des Donners (raijin) bewacht.
Zu denen betete man früher, vielleicht auch noch heute, um vor Stürmen und Überflutungen beschützt zu werden. In der Mitte hängt eine über 700 kg schwere, knallrote und blaubemalte Papierlaterne (chōchin), auf der das japanische Schriftzeichen für Donner prangt. Und als wir darunter durchgehen, sehen wir an der hölzernen Unterseite der Laterne auch den eingeschnitzten Drachen.
Doch schnell den Blick voraus, nach dem Tor jetzt der Anfang einer der ältesten und bekanntesten Einkaufsstraßen in Tempelumgebung, der Nakamis-dori. Bestimmt so etwa 200 überdachte Holzbuden, die oben mit blühenden Kirschzweigen geschmückt sind.
Da hat man der Natur ein wenig auf die Sprünge geholfen, denn eigentlich erst etwa Anfang April öffnen sich in Tokio die Kirschblüten (sakura no hana). Sie symbolisieren Schönheit, Perfektion, aber auch Vergänglichkeit auf der Höhe des Ruhmes. Die Menschen in Japan verehren die blassrosa Pracht deshalb als Sinnbild für ein kurzes, aber erfülltes Leben. Und die Kirschblüte ist auch die offizielle Pflanze von Tokio.
An zwei der Verkaufsständen leisten wir jetzt unseren Beitrag zur Wirtschaftshilfe und so gehen endlich unsere ersten „Yen“ über den Tisch. Eine nickende weiße Plastikkatze wird wohl zukünftig genau gegenüber unserer häuslichen Lagerstätte platziert werden und uns schon bald mit ihrer solarbetriebenen aufgesetzten Freundlichkeit den Tag versauen.
Der Schlüsselanhänger stört uns da weniger. Der kommt später an den Lanyard von dieser Reise. Das einzig für uns Sinnvolle aber finden wir, wie auch schon zuvor in China, hier nicht. Diesen Windsack in Form eines Koi-Karpfens, damals gekauft in Chinatown/Singapur und mittlerweile vom Ruhrpottwetter ziemlich mitgenommen. Und dafür fliege ich extra hier hin, um diesbezüglich bisher mit leeren Händen dazustehen.
Sind wohl so 250m die wir uns entlang dieser Hüttenallee durch die Menschenmenge quälen, bis wir am Ende wieder vor einem riesigen Tor, dem Hōzō-mon,
sozusagen dem Zugang zum Hauptgebäude der Tempelanlage stehen.
Es ist halt Samstag und da mischen sich doch tatsächlich auch noch die Einheimischen und sonstigen Japaner unter die neugierigen ungläubigen Touristen. Da möchte man gar nicht erst am Sonntag hier sein. Es ist so voll, dass der Rucksack mit uns besser mal vor dem Bauch getragen wird. Ehe noch einer dem Glauben erliegt, dass ein geklautes Mitglied der Fellbande, sogenannte „Plagegeister“, besonderes Glück verheißen würde…
Das mit dem Aberglauben und den Geistern spielt ja hier im östlichen Asien eine schier unüberschaubare und oftmals sehr durchmischte große Rolle.
Immer schon haben nicht nur in Japan mehrere Glaubensformen nebeneinander bestanden. Die wichtigsten sind hier der Shintō(ismus), der sich von der japanischen Urreligion herleitet, und der Buddhismus. 80 % der Einwohner gehören heute beiden Hauptreligionen gleichzeitig an.
Shintō (dt.: Weg der „Kami“, also der verehrten Geister/Götter), oft auch „Shintoismus“ genannt, hier mal ein kleiner Shinto-Schrein,
ist der Glaube an die einheimischen Götter und Geister, welche die Naturkräfte, aber auch vergöttlichte Ahnen verkörpern können. Die Shintō-Religion hat keinen Gründer, hat keine festgelegten Lehren und Regeln, denn es gibt auch kein festgeschriebenes Konzept in Form einer Schrift wie z. B. der Bibel oder dem Koran. Lediglich gibt es einen gemeinsamen „rituellen Kern“, aber darüber hinausgehend ist vieles offen. Jenseits- und Moralvorstellungen, lokale Traditionen, Althergebrachtes, Überliefertes, Geisterglaube, Mythen des Altertums, vieles vom Buddhismus und chinesische Verhaltensweisen, beim „Shintō“ ist vieles offen, dehnbar, auslegungsflexibel, hat sich entwickelt.
Selbst wenn der Ty jetzt schon wieder grinst und von manch untergejubelter „Räuberpistole“ spricht, ich hab nichts davon erfunden.
Auch beim Buddhismus gibt es ganz viele Richtungen, regionale Unterschiede und Auslegungen. Chinesische Einflüsse vom Daoismus und Konfuzianismus mit ihren Lebensweisheiten, Anleitungen zum richtigen Leben, Weltanschauungen und Moralvorstellungen stecken auch hier mal mehr und mal weniger mit drin. Es gibt einen Urvater, den Religionsgründer, „Siddhartha Gautama“ der bei seiner Suche nach dem wahren Sinn erleuchtet, also zum Buddha (Erwachter/Erleuchteter) wurde. Seine nun klaren Sichtweisen gab er an Schüler weiter, die Lehren und Regeln verbreiteten sich, wurden ausgeformt.
Buddhisten sind eigentlich auch Vegetarier: Keine Milch, keine Eier, keinen Alkohol. Aber manche sehen nur im Töten von Tieren eine Sünde, nicht aber im Essen von deren Fleisch. Und wie kommt das dann auf den Teller? Vielleicht reden die sich das schön wie beim Fisch, denn der wird angeblich nicht „getötet“, sondern „nur aus dem Wasser entnommen“.
Das der Ty jetzt schon wieder „zusammengebastelt, schöngeredet bis es passt“ vor sich hin murmelt, überhöre ich jetzt mal. Ich finde es gut und es ist ja auch egal an was man glaubt, Hauptsache man glaubt es, es hilft, gibt Kraft und erfreut den derart Gläubigen.
Ich glaube ja auch an die nächsten Reisen, das macht mir Vorfreude und wenn ich mich damit beschäftige gibt es mir Kraft und verkürzt die Wartezeit. Oh Mann, ich habe eine eigene Religion für mich erfunden! Aber auch die hat einen Kern wo alles von ausgeht, wo alles wieder zusammenläuft. Für meinen Glauben sind es unsere Sponsoren, die müssen nämlich alles bezahlen…
Und mit "Neuen Religionen" liege ich gar nicht mal so falsch, sondern eher im Trend. Die haben sich nämlich hier schon seit fast 200 Jahren immer mehr ausgebreitet, sind Mischungen aus manchmal so ungefähr allen Weltreligionen, mit etwas eigenem dabei und mittlerweile gibt es hier in Japan rund 300 solcher amtlich gelisteten Glaubensgemeinschaften. Religiös ist man hier mittlerweile sehr tolerant und offen. Hier sind wir also richtig.
Richtig angekommen sind wir nun auch am Tempel.
Da werden wir uns jetzt auch mal in aller touristischen Offenheit was Passendes an Göttern, Geistern und Moral raussuchen. Bei dem ganzen Wirrwarr mit dem Glauben können wir auch nicht viel verkehrt machen, Hauptsache wir verhalten uns ruhig und gesittet. Für einen kurzen Moment wird das wohl mal gehen...
Mitten drin sind wir, in der Tempelanlage, eingebettet in die hohen modernen Bauten, die uns daran erinnern, wir sind auch mittendrin in der „Megacity Tokio“.
Am Tempeleingang kann man sich wie üblich seinen Mund mit Wasser ausspülen und den Körper mit Rauch „reinigen“, bevor man die Haupthalle des Tempels der Gnadengottheit erreicht. Unberäuchert und mit weiterhin trockenem Mund schleppen wir uns die Stufen zum Tempel hoch.
Ob es da oben schon wieder brennt? Jedenfalls sehe ich Rauch. Aber es zeigt sich, es sind zum Glück nur wieder diese Räucherstäbchen. Und da werden wir uns die nächsten Tage wohl dran gewöhnen müssen.
Senso-ji ist Tokios ältester und bedeutendster Tempel. Der Legende nach sollen drei Fischer im Jahre 628 statt Fischen eine 5 cm große goldene "Kannon"-Statue der buddhistischen Gottheit der Barmherzigkeit in ihrem Netz gefunden haben. Erst wussten die gar nicht was das ist, entsorgten sie wieder im Wasser, wurden sie aber nicht los, sie lag immer wieder im Netz. Erst ein Freund erkannte dann das Besondere und fortan wurde der Fund verehrt. Die drei Männer errichteten einen Tempel zu Ehren “Kannons“ und nannten ihn „Sensō-ji“.
Wie so vieles was wir bei dieser Tour vorfinden, wurde auch dieser Tempel im Laufe der Zeit mehrfach zerstört. Ein Brand 1624, das große „Kanto-Erdbeben“, der 2. WK, wurde er nun zuletzt 1959 unter Verwendung von Stahlbeton wiedererrichtet.
Und so kam es, das wir nun da rein gehen können. Und das machen hier außer uns noch sehr viele. Und so wird es schwierig, auch mal ein Blick auf die Statuen zu werfen.
Ganz vorne klickert es irgendwie dauernd und als wir, nach vorne durchgereicht, endlich mal an der Geräuschquelle stehen, sehen wir, wie andere Besucher des Tempels dauernd die schönen Yen-Münzen nach vorne werfen. Ist wie am Trevi-Brunnen in Rom, macht nur mehr Lärm, wenn die nicht ins Wasser, sondern wie hier durch so Schlitze fallen. Schade, kommt man nicht mehr dran, hätte man draußen so viel nutzlosen Klimbim für kaufen können...
Von den hier drinnen gelagerten kostbaren Schätzen und den zwei Statuen, die die Beschützer des Buddha (Niō) darstellen sollen, sehen wir jetzt nicht so viel. Besser mal raus hier, bevor in dem Gequetsche noch einer meiner Schätze, ein Button wegkommt.
Auch hier draußen klickert es irgendwie aus allen Ecken, weil Leute so Kästen schütteln. Das ist wohl wie beim Sparschwein, irgendwann fällt durch einen Schlitz was raus. Hier ist es ein Papierchen mit einem Horoskop. Eigentlich ein Neujahrsbrauch, also sozusagen Bleigießen auf Japanisch, wird das gegen geringe Gebühr hier aber nicht so eng gesehen.
Auf den Horoskop-Papierchen steht dann geschrieben, ob die Hoffnungen und Wünsche einer Person in Sachen Geld, Liebe, Gesundheit und so in Erfüllung gehen werden, oder man eher vom Pech geplagt wird. In japanischer Sprache, mittlerweile international angepasst meist auch auf Englisch, wird dann „sehr großes Glück“ bis hin zu „sehr großem Pech“ bescheinigt. Wenn einem letzteres widerfährt, so soll man den Zettel an einem auf dem Gelände befindlichen Baum oder Zaun anbinden statt ihn mitzunehmen, damit das Unglück nicht an der eigenen Person hängen bleibt. Nicht verkehrt ist es, nach dem Ziehen einer solchen „Niete“, schnell wieder in den Tempel zu marschieren und für sein Glück zu beten.
Auch aus unserem Bus hat wohl einer so einen Kasten geschüttelt, braucht aber nicht wieder in den Tempel, denn der Reiseleiter übersetzt ihm „Großes Glück“. Der sollte dann aber auch „viel lesen und für sein Rennpferd sorgen!“ Na ja, vielleicht hat der ja zuhause wenigstens einen Hund, dann gilt das sicher auch.
Links neben dem Tempel steht eine 5-stöckige Pagode. Die ist zwar eigentlich aus dem 10. Jahrhundert, aber ihre heutige Form bekam sie erst im Jahre 1973. Mit 53 m zählt sie zu den höchsten Pagoden Japans, darf man aber als normal Sterblicher leider nicht rein.
Auch andere Gebäude bleiben uns verschlossen, insbesondere die bei dem kleinen Park mit Wasserlauf. Und warum dort das Wasser irgendwie blau eingefärbt ist und selbst die Fische farblich ein bisschen blau sind, hat sicher irgendeine Bedeutung, kenne ich aber nicht.
Die kleinen Fische die man an einem Stand kaufen kann, sind jedenfalls (noch) nicht blau.
Warum aber Steinfiguren, kleine Buddhas und so, hier und auch bei der weiteren Reise oftmals teilweise bestrickt sind, Wollmützen oder auch so Lappen wie Lätzchen tragen,
da habe ich mich hinter geklemmt und es herausgefunden. Es ist wohl Jizo,
der Gott der Reisenden und Kinder, also dann ja wohl der zuständige Gott für die "Fellbande". Die Strickwaren, Sachen die sonst von Kindern getragen werden, sind ein Geschenk, eine Art Ersatzgebet, Sachen die auch im nächsten Leben beschützen sollen. Von uns kriegen die aber jetzt nichts. Der Tiger rückt seinen Pullover nicht raus, trotz dieser Hitze. Muss auch so gehen mit dem Beschützen. Wir haben ja die Träger.
Manchmal hängen da auch noch Ketten mit zig in Origami-Technik gefalteten Kranichen rum.
Natürlich wieder ein Symbol für Stärke, Widerstandskraft, Frieden, lein langes Leben, Unsterblichkeit. Also kurz gesagt, für das Glück.
Wollte ich nachfalten, aber eine zerknüllte Papierkugel zählt wohl nicht als Kranich…
--- Fortsetzung folgt ---
Und da sind wir erstmal noch hier bei den Asakusa-Tempeln,
werden optisch nicht von allen kulinarischen Angeboten überzeugt
und setzen lieber auf Herkömmliches,
eine fehlenden Einbauküche sorgt vereinzelt für Entsetzen,
fahren hoch auf den Godzilla-Turm,
suchen den Fujiama,
entdecken einen Skywalk,
genießen die abendliche Ausfahrt
und am nächsten Tag bereitet uns eine defekte Klospülung kurzzeitig Sorgen...