Donnerstag, 9. August 2018
Gegen 06:00 Uhr: Die Sonne geht heute auf der Backbordseite auf, wenn sie durch die vielen Wolken überhaupt zu sehen ist. Der Horizont mit den rosé-orange angestrahlten "Schlagsahnewolken" sieht ja noch vielversprechend aus.
Auf der anderen Seite unserer Luna scheint sich aber etwas zusammenzubrauen. Etwas Größeres … Graues … In seiner von meinem Balkon aus sichtbaren Form ein wenig an eines der Raumschiffe aus "Independence Day" erinnernd … Nun ist heute nicht der 4. Juli, aber immerhin wird der 9. August auch als "Tag des Milchreis" (was für ein Unsinn!) oder als "Tag der Buchliebhaber" gefeiert. Zweites gefällt mir wesentlich besser, immerhin bin ich eine richtige "Leseratte". Doch ich schweife ab (okay, "künstlerische Freiheit" . Zurück zum "Raumschiff" über der Nordsee …
Okay, ich lege mich noch einmal hin. Ich werde sicherlich irgendwie mitkriegen, wenn es seine "Schleuse" öffnet, um die "kleinen grünen Männchen" auf die Erde zu entlassen …
Gegen 06:45 Uhr: Moment mal … Muss man mich eigentlich so wörtlich nehmen, wenn ich vom "Schleusen öffnen" schreibe?! Kaum 45 Minuten später wurden die Schleusen anscheinend tatsächlich geöffnet. Heraus kommen aber keine Außerirdischen, sondern - viel schlimmer - REGEN! Das nächste Kapitel der "Fifty Shades of Grey" wurde bereits aufgeschlagen. Es ist grau in grau in grau in grau … - Seeehr grau also. Und nass. Wieder einmal … Und wieder einmal, während ich mich auf dem Weg nach Stavanger befinde. Habe ich diese Stadt je bei Sonnenschein gesehen?! Mal überlegen … Ich erinnere mich - vage … Damals - vor einer gefühlten Ewigkeit. Damals, die Jahrtausendwende war noch jung, als ich tatsächlich die Stadt schon einmal erlebt hatte, als sie in Sonnenlicht getaucht war.
Heute zieht eine dunkelgrau getünchte Schärenkulisse vor einem hellgrau gefärbten Horizont unter einem sich malerisch in mausgrau ausbreitenden Himmel vorbei. Selbst das vorbeiziehende, knapp 80 Meter lange und auf den Namen "Stril Mermaid" hörende Versorgungsschiff mit Heimathafen Brønnøysund in Norwegen scheint alles für die perfekte Tarnung in diesen Grau-Nuancen zu geben: dunkelblau mit grau.
Gegen 08:00 Uhr frühstücke ich im "Bella Vista", wobei der hinter den regenbetröpfelten Panoramascheiben vorbeiziehende "Vista" leider so gar nicht "Bella" ist. Aber was soll´s. Mit einer gewissen Portion Galgenhumor versuche ich mir das Ganze einigermaßen schön zu reden.
Dennoch kann man der sich rings um unser Schiff ausbreitenden Landschaft mit diesen buckelwaligen Schäreninseln eine gewisse Faszination nicht absprechen.
Vielleicht sind die - wenn auch bisher nur wenigen - Wolkenlücken ein gutes Omen dafür, dass ich Stavanger endlich mal wieder bei Sonnenschein genießen kann?!
Viel Gelegenheit, meinen Gedanken nachzuhängen, habe ich während des Frühstücks nicht. Zwar ist es noch relativ leer im Restaurant, selbst die schönen Tische in der Nähe des Außenbereiches, auf den man mal schnell schlüpfen kann, um auch während des Essens die pittoreske Landschaft auf den Speicherchip zu bannen, sind bisher eher spärlich als zahlreich besetzt.
Doch ich habe sehr viel Abwechslung in Form eines äußerst aufgeweckten Jungen und seiner anscheinend auch noch sehr agilen Großmutter, welche fragt, ob sie sich mit ihrem Enkel zu mir setzen darf. Klar, darf sie. Wahrscheinlich freut sie sich mal wieder auf etwas "erwachsenere Unterhaltung" .
Es ist echt lustig, die Beiden zu beobachten. Schickt der Enkel seine Oma noch eben ganz gönnerhaft erstmal zum Büffet, damit sie sich in Ruhe etwas aussuchen kann, wendet er sich - kaum, dass sie aus Hörweite verschwunden ist - mit einem schelmischen Lächeln an mich: "So, jetzt habe ich wenigstens mal paar Minuten Zeit für mein Spiel. Das darf ich sonst nicht." Und schon wandert sein Blick aufs Smartphone. Genauso schnell lässt er es wieder verschwinden, kaum, dass sich die großmütterliche Autorität nähert. "Naaa, hast du wieder gespielt?!" - "… Nööö …" Der Wortwechsel ist so erfrischend: "Ach komm, du flunkerst mich doch schon wieder an!" (mit einem Zwinkern in meine Richtung). "Oma, würd´ ich nie machen!"
Ich halte mich am besten raus und tue so, als wüsste ich von nichts. Auch bei der Diskussion darüber, ob das wirklich genug ist für den ihr anvertrauten Jungen, was sich da so übersichtlich auf seinem Frühstücksteller tummelt. Er meint, es reicht. Sie sieht das anders. Und in alles werde auch ich ganz genau mit einbezogen. "Wissen Sie, seine Eltern haben ihn mir doch anvertraut, da muss ich gut auf ihn aufpassen. Ist nicht immer leicht, er ist ja soooo aufgeweckt!" Oh ja, das glaube ich ihr aufs Wort. Ich nicke leicht und schenke ihr ein wissendes (oder ist es eher ein mitleidiges?!) Lächeln. Klasse - dieses Oma-Enkel-Gespann. Hinter dem Engelsgesicht steckt mit Sicherheit ein ganz schön ausgefuchstes Teufelchen.
Einerseits liebe ich solche herzlichen Begegnungen, andererseits bin ich auch ein wenig froh, als ich mich dann verabschiede, den Beiden einen erlebnisreichen Tag wünsche und in Richtung meiner Kabine von dannen ziehe. Puh, ganz schön aufgeweckt! Was für ein quirliger Tagesstart. Die Oma lässt es nicht nehmen, mir noch auf den Weg mitzugeben, dass ich gut auf mich aufpassen solle - so ganz allein in der Stadt. Auch irgendwie rührend. Und auch irgendwie eine der Begegnungen, die das Leben bereichern. Der ewige - wenn in diesem Fall aber sehr liebenswürdige - Konflikt zwischen Alt und Jung …
Nochmal kurz zum Außenbereich des "Bella Vista", vor dem gerade in Reichweite in bewohnte Mini-Schäre mit Mini-Leuchtturm auftaucht:
Ich freue mich, dass es mittlerweile aufgehört hat zu regnen. In unserer Fahrtrichtung sieht es wirklich vielversprechend aus. Weit ist es nicht mehr bis Stavanger; wir sind quasi schon fast da. Also heißt es sich sputen, eine Jacke überziehen, die Kamera natürlich nicht vergessen und ab an Deck.
Eine Landschaft, wie ich sie zum Beispiel auch aus Schottland kenne, zieht an uns vorbei und mit ihr ein Spiel aus Licht und Schatten. Obwohl: Wir ziehen ja eigentlich an der Landschaft vorbei. Ooookeeeeh, wir "ziehen" nicht vorbei - wir fahren vorbei. Jetzt isses richtig.
Es ist immer so ein im wahrsten Sinne des Wortes "erhebendes" Gefühl, von so hoch oben die Ankunft und das Anlegemanöver in einem Hafen zu erleben.
So lieblich und so einsam - die Landschaft, die wir gerade erleben. Und das nur wenige Kilometer vor den Toren von Stavanger, der viertgrößten Stadt Norwegens.
Die liebliche landschaftliche Einsamkeit ändert sich schnell. Sanfte Hänge mit schmucken kleinen Häuschen, im "Vorgarten" - nämlich an der "Waterfront" - jede Menge Schiffe oder - mal nicht so pittoresk - Werftgelände, auf denen Teile für Ölplattformen hergestellt werden. Dazwischen auch immer mal zweckmäßige aber eher unansehnliche mehrstöckige Wohngebäude. Dann schon lieber ein Foto von den Schiffen im "Vorgarten".
Inzwischen hat unsere AIDAluna ihren heutigen Liegeplatz schon fast erreicht. Wir befinden uns schon fast am Ende des Byfjords und es ist ein Gefühl der Vertrautheit, wenn ich die sich vor mir ausbreitende Kulisse überblicke. Rechts der Blick in Richtung der historischen Häuser von Gamle Stavanger, geradeaus liegt meist - so auch heute - schon irgendein Kreuzfahrtschiff, daneben schemenhaft der futuristische Bau des Ölmuseums und links lugt bereits ein Teil der ersten Schrägseilbrücke Norwegens - der "Stavanger bybru" hervor. Jeder, der vom Stadtzentrum aus per Boot in Richtung Lysefjord aufbricht, unterquert diese Brücke, so auch ich nachher. Doch es dauert noch ein wenig, bis die rasante Fahrt zum "Fjord des Lichts" beginnt.
Fast ist es ein bisschen wie "nach Hause kommen", denn in Stavanger war ich im Laufe der Jahre bereits mehrfach - überwiegend bei Regen oder zumindest bedecktem Himmel. Schön ist es hier und weit ist der Blick über die die Ölmetropole Südnorwegens umgebende Landschaft. Und dennoch ist es hier so ganz anders. Wer hier hohe, gezackte Felsen mit teils schneebedeckten Bergen zu finden glaubt, von deren Spitze der eine oder andere Gletscher "züngelt", der wird vergeblich suchen.
Der Byfjord, der hier im wahrsten Sinne des Wortes an die Kaimauern von Stavangers Innenstadt schwappt, ist die Lebensader der Stadt. Knapp 11 Kilometer ist diese "Lebenslinie" zur Nordsee lang und verbindet Stavanger mit der offenen Nordsee. Der äußerste "Zipfel" des Fjords ist bekannt als das Hafenbecken Vågen, um das sich Stavangers Zentrum ausbreitet und in fußläufiger Entfernung so einige Sehenswürdigkeiten wie das Öl- und Schifffahrtsmuseum, die Domkirche, Gamle Stavanger oder die Øvre Holmegate mit ihren kunterbunten Häuschen bietet.
Majestätisch nähert sich unser schönes Schiff seinem Liegeplatz - in Stavangers "Pole Position" mitten im Zentrum und damit als höchstes "Gebäude" der Umgebung.
Die Sonne blinzelt noch etwas verhalten zwischen einer überschaubaren Anzahl an Wolkenlücken hervor. Im Gegenlicht breitet sich über silbern glitzerndem Wasser die "Stavanger bybru" vor einer dunklen Wolkenfront aus.
Eine "alte Bekannte" hat schon festgemacht: die "Zenith" von Pullmantur, der wir freundlicherweise am Anleger von Flåm den Vortritt gelassen haben. Kapitän Tidow legte vorhin mit unserer Luna wieder ein perfektes Tänzchen im Hafenbecken hin, so dass sie sich mit ihrem Hinterteil zuerst an unseren Liegeplatz "Skagenkaien" heranpirscht, während wir einen ungehinderten Blick auf ein Meer ganz anderer Art haben … Auf ein Häusermeer. Und zwar das von Gamle Stavanger: jede Menge weißer Holzhäuschen mit roten oder rotbraunen Ziegeldächern:
Einladend sieht es hier überall aus. Aus unserer erhöhten Perspektive von der Reling des Pooldecks mutiert man automatisch zum "Voyeur", wenn man in die kleinen liebevoll bepflanzten und mit norwegischen Flaggen geschmückten Gärtchen schauen kann.
"Welcome to Port of Stavanger" - Begrüßungen wie diese hier am Hafengebäude zaubern mir immer wieder ein zusätzliches Lächeln in mein Gesicht. Mittlerweile ist es so, dass ich in einer Hafenstadt am liebsten weder mit Auto, Bus oder Flugzeug ankomme, sondern stilvoll mit einem Schiff. Und wenn ich dann nur diese vier Buchstaben - "PORT" - lese, dann ist das einfach nur toll und vermittelt mir ein irgendwie erhebendes Gefühl.
Während ich noch so stehe und staune, hat sich unser Schiff so butterweich an die Fender geschmiegt, dass ich es gar nicht mitbekommen habe: Wir sind angekommen. Angekommen an unserem Liegeplatz. Morgens um 10 in Norwegen … Na, da werden sich die Gäste des "Clarion Collection Hotel Skagen Brygge" aber "freuen", dass es erst mit einem Mal immer dunkler wurde und sie schließlich noch bis zum Abend einen ungehinderten Blick auf AIDAlunas "Mittelteil" haben. Sozusagen auf ihren Bauch (oder auf die Taille?!) Egal, weit gucken können die Gäste der "Waterfront-Zimmer" jedenfalls in den nächsten Stunden nicht mehr …
Während ich von meinem Steuerbord-Kabinenbalkon wiederum zum Hotel hinüberschaue, haben die Backbord-Balkonkabinen-Bewohner (ups, jetzt hätte ich mir bei diesem Wort fast einen Knoten in die Zunge gemacht ) aber auch keinen schlechten "Griff gemacht":
Und dann … - Als wolle die Stadt Einiges wieder gutmachen - dafür, dass sie mich schon so oft mit Regenwetter und bedecktem Himmel empfangen hat, schickt der launische norwegische Wettergott doch tatsächlich einen Regenbogen! - Einen Regenbogen über den schneeweißen Häuschen von Stavangers Altstadt! Wie wunderschön! Wie traumhaft! "Somewhere over the Rainbow" … Dieser Titel fällt mir hierzu ganz spontan ein. "Der Zauberer von Oz" hätte es nicht besser machen können.
Und während ich die meiner Seele irgendwie guttuende und auch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Romantik verloren habende Filmmusik vor mich hin summe, genieße ich einfach, träume vor mich hin und beobachte, wie schnell das bunte Naturphänomen leider wieder vergeht. Als sei er niemals dagewesen … Ein Dank an den norwegischen Wettergott, der uns dieses Schauspiel bescherte.
Es wird Zeit, meinen Rucksack aus der Kabine zu holen, denn schon um 10:15 Uhr treffen wir uns auf der Pier zum Ausflug "STA01A: Bootsfahrt auf dem Lysefjord". Der morgendlichen Begrüßung durch unseren Kapitän lausche ich von meinem Balkon, auf dem es durch den Sonnenschein sommerlich warm ist. Nachdem uns Kapitän Tidow so Einiges Wissenswertes über Stavanger erzählt und vor allem einen Besuch des Ölmuseums empfohlen hat, wünscht er uns einen schönen Tag. Den werde ich bestimmt haben, denn in wenigen Minuten steige ich um vom Schiff aufs Boot.
Auf diesen Ausflug freue ich mich sehr. Bereits zweimal habe ich ihn im Laufe der Jahre gemacht - bei nicht unbedingt optimalem Wetter, kenne also bereits das bevorstehende "Fjord-Programm", dennoch freue ich mich so darauf, als würde ich ihn zum ersten Mal befahren. Fünf Jahre ist es her, dass ich diesen sich so ganz anders als "die Arme des Meeres" der vergangenen Tage präsentierenden Fjord zum letzten Mal besucht habe. Zeit also, wieder einmal "Hallo" zu sagen.
Unser Ausflugsboot liegt direkt neben AIDAluna, die "Fjordlys".
Wir entern ihre Planken. Da ich gut ausgerüstet bin mit einem weiteren dicken Pullover, einer Weste sowie - ganz wichtig! - einer Mütze, kommt für mich nur ein Platz an Deck in Frage, auch wenn sich die Sonne gerade mal wieder etwas verzogen hat und drohend wirkende Wolken sich über unserem Kussmundschiff ausbreiten. Na ja, ich bin ja in Stavanger leidvoll schon so Einiges gewöhnt.
Einige Gäste beobachten mich etwas verwundert, als ich an Deck erst einmal meine Jacke ausziehe, meinen Rucksack öffne, die wärmenden "Zwiebelschalen" hervorhole und mir die Mütze tief in die Stirn ziehe. Okay, vielleicht hätte ich genauso komisch geguckt, wenn ich diesen Ausflug zum ersten Mal machen würde. Es ist so friedlich und windstill an Deck, während wir noch vertäut an der Kaikante liegen. Doch das soll sich bald ändern - das mit der Windstille …
Fortsetzung folgt …
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