3. Mai 2018, Visby/Gotland – wechselhaft, gruselig kalt: 8 Grad!
Mein Wecker hat mich zuverlässig geweckt, es ist halb sieben. Wieder erwartet uns Neuland auf dieser Reise. Meine zwei Damen im Nebenraum unterhalten sich leise. Ich höre die Schranktüren klappern und Mutti rutscht raus:“Wir sind kaum an Bord und schon müssen wir wieder den Koffer packen. Eine Kurztour geht immer so schnell zu Ende!“ Die Diva fährt auf die Insel Gotland zu und wird an einem neuen Steg anlegen. Ich glaube, früher wurde hier getendert. Na, das ist jetzt schon bequemer. Der Himmel ist grau verhangen und ich sehe die ersten Passagiere schon mit dem Schirm in Richtung Stadt laufen. Schade, dass es regnet – nicht nur für uns, sondern auch für diejenigen, die einen Ausflug gebucht haben. Wir frühstücken erst mal in aller Ruhe. Mutti mag die Hektik am frühen Morgen nicht und so kann sie es genießen, sich bedienen zu lassen und das bestellte Frühstücksei ist so, wie sie es mag – nicht zu fest gekocht.
Gotland ist in Deutschland immer dann präsent, wenn die Krimiserie „Der Kommissar und das Meer“ im Fernsehen läuft oder die Gotland-Krimis. Beide Serien kennen wir und so ist meine Spannung umso größer, ob ich was wiedererkennen werde. Ganz ehrlich meine Frage: Wer würde Gotland bzw. Visby kennen, wenn es die Fernsehserien nicht gäbe? Gut, Stockholm als Landeshauptstadt ist ja bekannt aber sonst irgend ein Ort Schwedens??
Es war schon gestern Abend ein Thema, was machen wir heute. Bei diesem Wetter ist die Entscheidung zugunsten des Schiffes ausgefallen. Sprich Mutti und Schwester bleiben an Bord, trinken später wahrscheinlich im Café Mare gemütlich einen Kaffee, lesen Zeitung und schauen aufs Meer. Ich „opfere“ mich und werde mit Schirm und Anorak ausgestattet auf Foto-Tour gehen. „... und komm ja pünktlich zurück, viel Zeit hast du nicht!“, klingt es hinter mir her. Um 12.30 Uhr heißt es alle Mann an Bord. Hoffentlich kommen alle pünktlich zurück. Ich hatte gelesen, dass über Gotland häufiger die Sonne scheinen soll, wie über anderen Orten Schwedens. Also für heute stimmt das schon mal nicht. Und ob ich mehr Schafe wie Menschen auf der größten Insel Schwedens sehen werde, wird sich auch noch zeigen.
Ich
überlege, wo ich lang gehen soll. Entlang des Wassers oder doch lieber durch
den Park? Der Park scheint reizvoller zu sein und so laufe ich mit der
Hafeninfo in der Tasche los. Denkt man, die Insel ist so platt wie ein Fisch, hat man sich geirrt. In dem Park, wo gerade die Frühlingsblumen blühen, gibt es einen Bach, der zwischen Steinen den Hügel hinunter plätschert. Schon
von Weiten ist die fast komplett erhaltene Stadtmauer mit den imposanten Türmen
zu sehen. Oh, die ersten Passagiere kommen ja schon zurück. Gibt es nicht viel
zu sehen in der Stadt oder treibt der Nieselregen sie wieder in Richtung Hafen?
Zwischen
dem 12. und 14. Jahrhundert war Visby eine sehr reiche Stadt, denn hier wurden
Unmengen von Warengüter der Hanse umgeschlagen. Im Stadtzentrum zeugen fast 200
Kaufmannshäuser und Speicher vom Reichtum der vergangenen Zeit. In Nordeuropa
zählt Visby heute zu der besterhaltenen mittelalterlichen Handelsstadt. 1995
wurde der Ort von der UNESCO in die Liste der Weltkulturerben aufgenommen.
Mir
kommen urig geschminkte junge Leute entgegen und strömen in Richtung einer Kirche.
Ich suche den Eingang und muss feststellen, dass es kein Gotteshaus mehr ist.
Es wird jetzt als Theater genutzt. Aha, Probe für eine Schulaufführung entnehme
ich dem Plakat neben der Tür.
Ich
laufe kreuz und quer durch die schmalen Straßen, am Stora Torget (Marktplatz)
entdecke ich einen schönen Brunnen.
Ja und dann sehe ich endlich einen Teil der angekündigten Schafe. Diese hier erscheinen mir fast versteinert, vor der Kälte.
Und fast durch jede Straßenschlucht öffnet sich der Blick auf historische Teile der Stadtmauer.
Nicht
weit entfernt stehen die Ruinen der Kirchen St. Katrin und St. Nikolaus sowie
der Dreifaltigkeitskirche.
Hoch
über mir sind die Reste der Bögen des ehemaligen Kirchenschiffes zu sehen,
filigrane Fragmente der Fenster und das Loch in der Decke, wo einmal der
Kirchturm gewesen sein soll.
Von den
14 Kirchen, die es früher in Visby gegeben hat, sind bis auf ein paar wenige
alle zerstört worden.
Ich treffe nicht auf viele Touristen. Diese Enten haben ein sichtliches Vergnügen hier auf dem Platz so alleine unterwegs zu sein.
Viel
Zeit bleibt mir nicht zum Verweilen. Die Gassen sind weit gehend leer, aber ich
vermute, dass in den Sommermonaten hier viel los ist. Man ist schnell mit einer
Fähre da ober kommt selbst mit einem Boot angefahren. Vom Park aus habe ich eine super Sicht auf das Panorama der Stadt mit der Stadtmauer und vielen Kirchtürmen.
Jetzt
muss ich aber einen Schritt zulegen, es nieselt leicht und die Uhr zeigt, dass
ich nicht mehr so viel Zeit habe.
Wieder an Bord mache ich mich auf die Suche nach meinen Lieben und treffe sie im Theatrium wieder. Ich erzähle, was ich gesehen habe und dass es ganz schön kalt war. Mutti ist froh, dass sie an Bord geblieben ist – sie mag es lieber warm. Zusammen geht es zurück auf die Kabine, denn wir wollen ja das Sail away nicht verpassen. Auch du lieber Himmel, da kommt eine Durchsage: „Frau X und Herr Y werden gebeten, sich umgehend bei der Rezeption zu melden!“ Unsere Mutter: „Na, die haben sich sicher verlaufen oder die Frau findet keine Ende mit dem Shoppen!“ Also warten wir mit dem Song aus der kleinen Box. Zweimal noch ertönt die Durchsage, menno wie peinlich, wenn man zu spät zurück kommt und das Schiff wartet. Dann geht ein leichtes vibrieren durch das Schiff und es geht endlich los, schade – das letzte Sail away auf dieser Reise.
Den Nachmittag verbringen wir sehr entspannt. Wir schauen uns im Bordshop um, ob uns irgendwas anmacht und bleiben im Café Mare hängen. Ich habe mein Tablett dabei und Mutti schaut sich die Fotos von Visby an. „Mensch, das ist ja wirklich schön dort. Mal sehen, ob ich beim nächsten Gotland-Krimi was wiedererkenne.“ Also ich werde auch drauf achten, jetzt wo ich schon mal hier war. Im Theatrium läuft die Präsentation von Urlaubstipps zu Nordeuropa. Ja, das könnte Mutti auch gefallen und wir bleiben hocken. Sie schwärmt gleich wieder von Norwegen und den Fjorden
Ich entschuldige mich kurz und komme bald darauf mit einem Blatt zurück. „Täräääää … Mutti und Schwesterherz … wir werden die Fjorde wiedersehen. Ich habe die nächste Reise gebucht.“ Und Mutti kriegt sich nicht mehr ein. Jedes Mal sagt sie, es sei ihre letzte Reise und wenn wir was gebucht haben, sagt sie immer „ich verspreche euch, ich halte durch und versuche gesund zu bleiben, damit wir wieder eine schöne Reise machen können!“ Dabei strahlen ihre Augen und wir wissen, die Vorfreude ist besser, als jede Pille. Nun hat sie wieder ein Ziel, auf das sie sich freuen kann.
Mutti
möchte gerne die Kunstauktion anschauen, denn sie findet manche Bilder wirklich
schön. „Es sind keine alten Schinken, die hier unter den Hammer kommen“ rutscht
ihr raus. Wir müssen grinsen, weil wir sofort an das schöne Hotel in Warnemünde
denken. Nach der Auktion hören wir noch ein wenig der Musik des Duos „Soul Train“ zu, denn Mutti gefällt die Musik auch und dann machen wir uns auf dem Weg zum Abendessen. Das ist doch nicht möglich, kurz nach 18 Uhr und schon ist die Torte angeschnitten.
Da muss aber jemand schon richtig Hunger drauf gehabt zu haben. Geschickt habe ich angeschnittene Ecke einfach beim Foto weggelassen.
Ich hole für uns ein paar von den Hummerteilen, etwas Kaviar und Salat und die Vorspeise ist perfekt. Mutti trinkt ein Schlückchen Rotwein und ist bester Laune. Natürlich gibt es auch für sie ein Stück der Torte und dann sehen wir uns von unserem Balkon aus den Sonnenuntergang an. Die Farewell-Party findet draußen auf dem Pooldeck statt und Mutti schüttelt den Kopf, wir sollen ruhig alleine gehen und frieren. Sie streckt sich aus und legt die Beine hoch, Fernseher läuft – alles prima. Meine Schwester hat sich irgendwohin verzogen und ich stehe vor den vielen gefüllten Gläsern des Farewell-Sekts.
Kein
Gedränge und das habe ich noch nie erlebt, mangels Wärme gab es noch viele
volle Gläser, die auf ein Anstoßen warten. In Wolldecken gehüllt stehen einige
Passagiere auf dem Pooldeck und versuchen sich ein wenig warm zu halten. Auch
das Showensemble ist heute Abend nicht so freizügig gekleidet.
Mir wird auch so langsam kalt und ich suche mir einen windgeschützten Platz neben der Bühne. Die Stunde der Wahrheit ist da: "Liebe Gäste, hier nun die Zahlen ... !" Die Finger sind steif und ich mache mir nur ein paar Notizen von dem, was getrunken und gegessen wurde. 850 Liter Eis – kann gut sein, die Schlangen waren an der Theke immer lang, 24.000 Geschirrteile wurde täglichen gespült, 3.800 Liter Bier, 2.800 L Weißwein und 2.500 L Rotwein, 900 AperolSprizzzz getrunken. Hossa – war doch eine durstige Gesellschaft an Bord. Bei einigen Positionen waren wir dabei und haben unseren Beitrag geleistet!!! Schnell noch kurzes AIDAsehen mit Thomas und Andi, der sich auch eibe warme Jacke angezogen hat und dann mache ich mich auf die Suche nach meine Schwester.
Ein Drink mit ihr noch in der AIDAbar, etwas tanzen und 22 Uhr ist Zapfenstreich für die Kinder. Rasch verabschieden wir uns noch von den 3 Schwestern und hoffen, wir sehen uns auf irgendeiner Reise mal wieder. War wieder schön ihnen und Mutti hat die drei ins Herz geschlossen. „So nette Schwestern, mit denen könnte ich nochmal verreisen“ ihre Meinung.
Mutti wartet auf uns – es gibt immer genug zu erzählen. Die letzten Utensilien wandern in die Koffer, Licht aus – wenn wir aufwachen, haben wir die deutsche Küste erreicht.
4. Mai 2018, Warnemünde
Wir trauen unseren Augen nicht, Schweden kalt und trüb und wir kommen in Warnemünde an, der Himmel blau und wolkenlos.
Ein letztes mal frühstücken wir im Buffalo. Mutti meint, morgen früh müsse sie wieder selbst den Tisch decken und hat niemanden, der kommt und ihr die Wohnung richtet. Aber sie meistert dies noch ganz gut und was sie nicht mehr kann, erledigt meine Schwester für sie.
Es ist noch etwas Zeit, bis unsere Taxe kommt und so genießt sie die warmen Sonnenstrahlen auf dem Balkon. Später stellen wir fest, sie hat sich einen kleinen Sonnenbrand im Gesicht geholt. Der nette Mann, der uns nach Rostock bringt ist pünktlich am Hafen und wir können die Rückreise antreten.Schnell kaufe ich vor dem Bahnhof in Rostock noch frischen Spargel und dann geht es in Richtung Berlin und nicht über Hamburg zurück. Nein, auf Schienenersatzverkehr haben wir keine Lust mehr.
Die zwei Stunden Aufenthalt in Berlin nutzen wir für ein gemütliches Mittagessen und Mutti ist erfreut, dass sie jetzt auch noch nach Berlin gekommen ist. Alle Anschlusszüge erreichen wir pünktlich. Das letzte Stück nehme wir eine Taxe, ist bequemer und wir müssen nicht am Bahnhof herumstehen. Es ist doch schon eine lange Rückreise gewesen.
"So, jetzt ziehe ich meinen Lieblingspullover an, packen den Koffer aus und dann trinken wir ein kleines Schlückchen auf die schöne Zeit, die wir hatten!" „Genau so machen wir das Mutti“, ist meine Antwort drauf und ich verspreche ihr, dass ich a) das Fotobuch sofort mache und b) auch ein Reisebericht geschrieben wird. Ach, zwei Pralinen vom Schiff habe ich auch noch und wie ich sie so lachen sehe, bin auch ich glücklich.
Meine Schwester ruft an, auch sie hat den Koffer ausgepackt. Meiner wird erst morgen Abend ausgepackt. Ich habe ja noch eine Bahnfahrt vor mir und hoffe mal, dass alles reibungslos über die Bühne geht. Wir zwei sitzen noch eine Weile im Wohnzimmer zusammen und schauen uns die Fotos an. Für Mutti ist es nicht so schlimm, dass sie die Ausflüge nicht mehr mitmachen kann - wir schauen einfach für sie und so ist sie auch in der weiten Welt gewesen. "Zuhause herumhocken kann ich, wenn ich mal alt bin" - einer ihrer Sprüche, die wir so lieben. Mutti sagt: "AIDAsehen … in Norwegen dann 2019"
Nachsatz: Das Fotobuch ist inzwischen bei ihr eingetroffen und sie hat es gleich mit zu ihrem Seniorenkreis genommen und musste ausführlich berichten, was sie alles erlebt hat.
Das war es dann mal bis jetzt ... 2019: bekannte Ziele warten auf uns mit Sonne oder Regen - die gute Laune kommt auf jeden Fall ins Gepäck.
Noch mehr Eindrücke der Reise findet ihr in meinem Film: https://youtu.be/Fw5OzVUZLWM
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