Es ist schon ein imposanter Anblick, diese Brücke aus unserer Perspektive zu erleben. Klein wirken die die Brücke querenden Lastkraftwagen, mächtig dagegen die über 100 Meter hohen Pylone.
Links und rechts säumen anfangs noch kleine Ortschaften die Ufer, bald werden aber auch sie vor der Natur weichen und uns in die Einsamkeit des Lysefjords entlassen. Hier zu wohnen ist nicht ganz ungefährlich, wie man an diesem vor noch gar nicht langer Zeit stattgefundenen Felssturz sieht … Wohin will man hier so schnell flüchten?! Die Möglichkeiten sind mehr als begrenzt …
Die mystische Landschaft des Lysefjords … Eine eigenartige Stimmung umfängt einen, wenn man auf diesem von sehr steilen, hellen Felswänden umgebenen Fjord unterwegs ist. Eine Stimmung, die ich schwer beschreiben kann, jedenfalls eine, die ich in den anderen "Armen des Meeres" so nicht empfunden habe.
Mit unserem kleinen Ausflugsboot werden wir zeitweise ganz dicht an die teils senkrecht in dunkle Tiefen abfallenden Felsen heranfahren. Einmal mehr fühlt man sich hier als Mensch angesichts dieser gewaltigen Natur so unbedeutend.
Es ist so beeindruckend und überwältigend und irgendwie auch ein ganz klein wenig beklemmend, vis a vis von mehreren hundert Meter hohen in einen sehr tiefen Fjord in so einer "Nussschale" wie unserer zu "dümpeln". Doch genau das macht auch den besonderen Reiz dieser Fjordtour aus. Nur ein einziger großer abbrechender Felsbrocken "zur falschen Zeit am falschen Ort" würde genügen, um alles Umliegende unter einer gewaltigen Flutwelle zu begraben …
Die erste besondere Sehenswürdigkeit bietet sich uns in dieser kleinen, engen Bucht: "Fantehola", die sogenannte "Vagabunden-Grotte". Langsam pirscht sich unser Bötchen heran. Die Natur und die Formation des Gesteins spielen einem hier schnell einen Streich. Immer wieder glaubt man, in den vielen Spalten und Felsvorsprüngen die Gesichter von zu Stein erstarrten Trollen zu entdecken, die nicht rechtzeitig vor dem Sonnenlicht in ihre dunklen Höhlen geflohen sind.
Ganz tief hinein zwischen die senkrechten Felswände fährt unser kleines Boot. Es ist atemberaubend und ein leichtes Kribbeln in der Magengegend macht sich bemerkbar.
Vor uns Fels, neben uns Fels und hebt man den Kopf und legt ihn in den Nacken: Fels! Es ist so, als wolle die Natur uns sagen: "Hey, ihr Menschen, ihr seid umzingelt! Der wahre Herrscher bin ich! Und diese Felsen sind meine Wächter! Nehmt euch in Acht und geht sorgsam mit mir um. Ihr seid hier nur geduldet!"
Norwegen, das Land der Sagen, der Märchen und der Legenden, die hier in Europas Norden existieren, seitdem die Menschen die zum Teil karge Natur besiedelt haben. Es inspiriert immer wieder zu Gedankenspielen. Es spielt einem manchmal einen Streich, täuscht auch mal die Sinne. Und es lässt einen manchmal Dinge glauben, denen man sonst vielleicht keine Bedeutung geschenkt hätte. Es ist diese unglaubliche Mystik, das Geheimnisvolle, das mich immer wieder vom ersten Moment an in seinen magischen Bann zieht.
Tja, die "Vagabunden-Grotte" … Auch zu diesem Ort - wie könnte es anders sein - gibt es eine Legende, die besagt, dass sich früher hier die Ganoven, welche ihre Steuern an die Landvögte nicht zahlen wollten, versteckt haben. Von ihrem Zufluchtsort aus bewarfen sie die verfolgenden Polizisten mit Steinen. "Wurfmaterial" liegt ja hier genügend herum.
Langsam gleitet unser kleines Bötchen rückwärts aus der schmalen Grotte heraus. Es geht weiter, immer am linken Fjordufer entlang. Erst beschaulich langsam und immer sehr nah an den wirklich eigentümlich hellen Felsen, zwischen denen sich Gräser, Flechten und auch immer wieder Laub- und Nadelbäume auf dem kargen Fels ein kleines Fleckchen suchen, an welchem sie vor sich hin vegetieren können.
Schließlich gibt der Kapitän wieder etwas mehr Gas, um uns zur nächsten zwischenstoppwürdigen Sehenswürdigkeit zu bringen. Die Paddelbootausflügler werden jetzt wohl gleich ein wenig "Seegang" abbekommen …
Hinter einer kleinen Biegung warten sie geduldig … die "Freundinnen der Kapitäne", wie die kleine, auf wenigen Quadratmetern Wiese auf steilem Fels lebende Ziegenherde liebevoll angekündigt wird. Sehnsüchtig stehen die gehörnten Meckertiere schon am Ufersaum und schauen erwartungsvoll herüber. Ein paar Möwen lauern uns auch schon auf …
Irgendwie werde ich den Gedanken nicht los, dass es in Wahrheit gar nicht die große, aus tiefstem Herzen kommende Liebe zu "ihrem" Kapitän ist, der sie bei jedem sich nähernden Boot ganz nah an die Wasserkante zieht, sondern die pure Fleisches-, Pardon: Fresslust.
Zwischen Mai und Oktober warten die drei Tiere auf ihrer "Mini-Ziegenalm" auf edle Spender. Auch wenn das Füttern der Ziegen im Lysefjord durch die Kapitäne der Fjordboote mittlerweile Tradition ist - wählerisch scheinen sie nicht unbedingt zu sein, die Ziegen, denn auch eine schwungvoll hinübergeworfene Bananenschale wird von ihnen nicht verschmäht. Hoffentlich war´s wenigstens ´ne Bio-Banane …
Doch auch die Reaktionsfähigkeit der auf der Lauer liegenden Möwen ist nicht zu unterschätzen … Da wird der Kampf ums trockene Brötchen schon mal mit aufgerissenen Schnäbeln und schlagenden Flügeln ausgetragen …
Wir lassen sie wieder allein auf ihrem ja schon beinahe lebensfeindlichen Terrain zwischen steilem Fels und tiefem Fjord. Eine Weile laufen die Ziegen noch am Ufer neben unserem Boot her, dann bleiben sie zurück. Fast scheinen sie ein wenig traurig zu schauen. Lange wird´s aber bestimmt nicht dauern, bis der nächste "Seemann" seine "Freundinnen" wieder zum Essen einlädt …
Schließlich ist es soweit: Wir erreichen jenen Ort, wegen dem viele diese Tour überhaupt machen. Bei feierlicher Musik werden wir eingestimmt auf die "Kanzel" oder den "Predigtstuhl" oder - ganz einfach auf Norwegisch gesagt - den "Preikestolen". 604 Meter über dem Lysefjord schwebt über einem senkrecht in die Tiefe fallenden Abgrund ein 25 x 25 Meter großes Felsplateau. Klein wirkt der Preikestolen aus unserer Perspektive …
Klein und unscheinbar und manch einer muss erstmal suchen, welche der vielen Felsformationen eigentlich DIE Felsformation ist. Dank des guten Zooms meiner treuen Kamera gelingt es mir, dieses Plateau in wenigen Sekunden in meine Richtung zu bewegen, und erscheint es ziemlich groß:
Durch Frostsprengungen vor rund 10.000 Jahren entstanden, ist die Lebenszeit des meist besuchten Felsplateaus Südnorwegens begrenzt. Ein aktuell rund 50 Zentimeter breiter Riss wird eines Tages wahrscheinlich dafür sorgen, dass der Preikestolen abstürzt. Wann das genau sein wird, weiß niemand. Der Riss wird jedenfalls akribisch vermessen. Auch hier gibt es eine Legende, die auch hoffentlich auf ewig nur eine Legende bleiben wird: "Wenn der Preikestolen in den Lysefjord stürzt, versinkt Stavanger im Meer" heißt es …
Gemächlich ziehen wir unsere Bahn und können so das Felsquadrat gut bestaunen.
Was ich mit bloßem Auge mehr erahnen als erkennen konnte, macht erneut meine Kamera möglich: die Menschen an der Kante. Jene, die wahrscheinlich das Angst-Gen nicht in sich tragen oder nicht hundert-, sondern tausendprozentig schwindelfrei sind. Menschen, die winkend an der Kante in luftiger Höhe von über 600 Metern stehen - "ohne Netz und doppelten Boden"! Wahnsinn! Für mich wäre das nichts!
Fortsetzung folgt ...
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