Doch wenigstens steht mir morgen noch etwas ganz Großartiges bevor - sozusagen der "Ausflug am Seetag": die Inside Tour inklusive Brückenbesichtigung. Vorausgesetzt, die stürmische "Oriana" macht uns keinen Strich durch die Rechnung.
Kurz vor 19:00 Uhr kehren wir ins graue Stavanger zurück. Angekommen in meiner Kabine rufe ich kurz zu Hause an, wo man sich angesichts der Meldungen in den Medien über das über Norddeutschland und Dänemark ziehende Sturmtief schon etwas sorgt. Na ja, was soll ich machen?! Ich habe nun mal eine Seereise gebucht und weiß ja schließlich schon, was Sturm zwischen Skagerrak und Kattegat bedeuten kann. Ich kann ja schlecht hierbleiben. Na ja, unser Kapitän wird das Schiff schon schaukeln und den Sturm schon irgendwie reiten. Da habe ich vollstes Vertrauen.
Jetzt mache ich mich erst einmal schick, da ich ja um 20:30 Uhr einen Tisch im "Buffalo Steak House" reserviert habe und ein leckeres 3-Gänge-Menü genießen werde. Der Preis für die Inside Tour in Höhe von 89,95 € beinhaltet dieses Menü - wahlweise im "Rossini" oder im Restaurant mit dem großen Büffelkopf neben dem Eingang. Da ich gern mal ein leckeres Steak esse, fiel mir die Wahl des Restaurants leicht.
Dennoch verhülle ich mich erst einmal nochmals mit Jacke und Mütze und wähle für das letzte "Sail Away" meiner Reise Deck 5. Es regnet nach wie vor und hier stehe ich einigermaßen geschützt.
Am Vågen ist eine Bühne aufgebaut und viele Menschen haben sich bereits eingefunden, um der Musik einer Band zu lauschen, die ich nicht kenne.
Kapitän Tidow meldet sich und gibt uns noch ein paar Informationen zur Ausfahrt - vom bevorstehenden Sturm kein Wort. Na, vielleicht will er uns ja den Abend nicht verderben?! Oder er als Seemann sieht den Sturm gar nicht als Sturm, sondern eher als "steife Brise"?! Typhonklang und Auslaufmusik gibt es etwas später. Rund ums Hafengelände gibt es etliche hochpreisige Wohnungen, deren Besitzer nicht gestört werden möchten.
Und schon legen wir gegen 20:00 Uhr ab. Der letzte Hafen unserer Reise … Das Wetter ist irgendwie passend …
Vorbei an der "Stavanger bybru" mit einem - ähm, ja was eigentlich?! - "Fender-Tender" - ?! im Vordergrund …
… umkreisen viele Möwen unser Schiff.
Und schließlich erklingen auch Typhon und "Sail Away"-Musik, während Stavangers Vororte vorbeiziehen. Ach, wie werde ich das wieder vermissen!
Nun aber schnell nochmal auf die Kabine, um die etwas verstrubbelten und "vom Winde verwehten" Haare zu richten. Immerhin gehe ich in ein À-la-carte-Restaurant, da ist mir gutes Aussehen wichtiger denn je.
Leider scheint das bei anderen Gästen jedoch nicht der Fall zu sein, wie ich kurz darauf mit Schrecken feststellen sollte.
Ich bekomme einen sehr schönen Tisch direkt am Fenster zugewiesen. So weit so gut. Am Nachbartisch sitzt ein Paar, bei dem ich denke, ich bin im falschen Film und frage mich sofort, warum die Restaurantleitung so etwas überhaupt duldet: Mein ungehinderter Blick fällt zwangsläufig auf einen Herren mit kurzer Hose, in der ein Paar behaarte, pickelige Beine stecken, dazu im wahrsten Sinne des Wortes "ausgelatschte" Sandalen. Ich spreche hier übrigens nicht von wenigstens schicken Bermuda-Shorts. Nein, ich spreche von einer richtig kurzen Hose, die sicher auch schon ihre besten Jahre hinter sich hat. Das kann doch wohl nicht wahr sein?! Mal davon abgesehen, dass seine Partnerin in die "Kleidungswahl" ihres "Göttergatten" bereits auf der Kabine hätte eingreifen müssen; spätestens am Eingang zum Restaurant hätte ihm in diesem Aufzug der Zutritt verweigert werden müssen.
Alle anderen - aktuell (noch) unbesetzten - Tische tragen ein "Reserviert-Schild", so dass es mir klar ist, dass ich gar nicht erst nach einem anderen Tisch fragen brauche.
Da muss ich jetzt wohl durch. Nach einer direkten Konfrontation mit dem "Corpus Delicti" steht mir nicht der Sinn. Dabei hatte ich mich auf einen Abend in besonderem Ambiente und mal fernab der leider immer mehr verfallenden Kleiderkultur gefreut. Dass er so "besonders" werden würde - daran hätte ich nicht einmal im Traum gedacht. Zum Glück scheinen die Beiden mit ihrem Essen schon ziemlich weit fortgeschritten zu sein, so dass ich vielleicht Glück habe und diesen absolut unappetitlichen und vollkommen unangebrachten Anblick nicht für den Rest des Abends ertragen muss.
Gut, dann bestelle ich mir mal etwas zu trinken. Ein leckerer Rotwein soll es auf jeden Fall sein, es wird ein leckerer südafrikanischer Shiraz, dazu eine Flasche Wasser.
Die Menüempfehlung liest sich lecker, das Ganze sieht sehr lecker aus und es schmeckt auch köstlich:
Vorspeise: Mais-Whiskeysüppchen mit Mango Pancetta Zigarillo
Okay, hier hatte das Geschirr allerdings schon seine besten Tage hinter sich ...
Hauptgang: Rinderfilet mit gegrilltem Gemüse & Kartoffelgratin
Dessert: Schokoladenkuchen mit flüssigem Kern, Sabayon & Pralineneis
Ich versuche, das Paar am Nebentisch weitestgehend zu ignorieren, genieße das ansonsten sehr angenehme Ambiente des Restaurants und natürlich mein Essen. Beim Hauptgang fasziniert mich das Dekor des Tellers, das ich ja schon auf Fotos anderer Reisender gesehen habe: dieser "Lonesome Cowboy" auf seinem Pferd irgendwo im Monument Valley.
Noch während ich mein zartes Steak genieße - "Medium rare" natürlich, so mag ich es am liebsten - wird am Nachbartisch die Rechnung verlangt. Ein Glück! Die Blicke der anderen Gäste, die das kleidungstechnische Dilemma ja noch nicht mitbekommen haben, sind den Beiden beim Verlassen des Restaurants jedenfalls sicher.
Ich nehme mir vor, die Restaurantleitung auf jeden Fall auf dieses absolute "No Go" anzusprechen, bevor ich gehe. Doch jetzt möchte ich erst einmal richtig genießen. Nach der Beendigung des Hauptgangs scheint der sich vor den Fenstern entwickelnde fulminante Sonnenuntergang, mit dem ich heute so gar nicht mehr gerechnet habe, auf seinen dramatischen Höhepunkt hinzusteuern, als er sich daran macht, hinter den letzten Schären dieser Reise in die Nordsee zu sinken:
Ich bitte die Kellnerin, mit dem Servieren des Desserts noch etwas zu warten und sage ihr, dass ich gleich wiederkomme, denn DIESEN Sonnenuntergang möchte ich an Deck erleben. Na klar, gar kein Problem sei das, erwidert sie. Das sehe ich auch so und denke für mich: "Wenn hier auch pickelige Beine in kurzen Hosen kein Problem sind, dann ist meine Sehnsucht nach dem Sonnenuntergang sicher erst rechts keins!"
Das Schauspiel, das sich mir an Deck bietet, ist es auf jeden Fall wert, das leckere Dessert noch einige Momente warten zu lassen.
Wer hätte sich solch ein großartiges Naturkino entgehen lassen?!
Kann es einen schöneren Abschied von meinem geliebten Norwegen geben als solch einen Sonnenuntergang?! Hin und wieder zieht am Horizont noch ein dünner Streifen Land vorbei. Doch mein norwegisches Erlebnis - meine fantastische Woche mit Gletscherzungen, Wasserfällen und atemberaubenden Fjorden - neigt sich unweigerlich seinem Ende entgegen. Ich bin traurig.
Der vorletzte Sonnenuntergang auf See … Stavanger liegt hinter uns. Norwegen liegt hinter uns, "My endless Love". Nun wird es wieder lange dauern, bis ich mich erneut von den "Armen des Meeres" umschlingen lassen kann. Was folgt, ist ein Seetag, bevor wir übermorgen nach Kiel zurückkehren.
Zunächst kehre ich jedoch ins "Buffalo Steak House" zurück, um mich meinem Dessert zu widmen. Etwas Süßes geht schließlich immer und Schokolade sowieso.
Schließlich beende ich meinen Abend im À-la-carte-Restaurant, den ich mir zumindest anfangs ganz anders vorgestellt hatte. Die für meinen Tisch zuständige Kellnerin spreche ich kurz darauf an. Sie nimmt sich der Sache an, denn einige Augenblicke später kommt die Restaurantleiterin und setzt sich zu mir an den Tisch. Ruhig und sachlich schildere ich ihr die Angelegenheit und äußere meinen Unmut darüber, warum nicht wenigstens in einem Restaurant wie diesem auf korrekten Dress Code geachtet wird (in den anderen Restaurants macht man ja schon genügend und immer häufiger auftretende leidvolle Erfahrungen hinsichtlich kleidungstechnischer Entgleisungen …).
Sie versteht mich voll und ganz, jedoch habe ich den Eindruck, dass auch sie möglicherweise angesichts der Dreistigkeit mancher Passagiere inzwischen resigniert hat. Es gab wohl vor ein paar Wochen bereits einen ziemlichen Eklat, als man einem Gast deshalb den Zutritt verwehren wollte. Der hat sich dann wohl total aufgespielt und ein Riesen-Fass aufgemacht. Das wollte sich die Restaurantleiterin nicht noch einmal antun …
Einerseits kann ich sie irgendwie verstehen - so von Frau zu Frau. Wie schwer es Frauen hinsichtlich ihrer ihnen eigentlich (!) obliegenden Befugnisse im Berufsleben nach wie vor haben - davon könnte ich auch so Einiges aus meiner langjährigen Berufserfahrung berichten.
Dennoch sage ich ihr, dass angesichts der mittlerweile steigenden Anzahl der Passagiere, deren Benehmen zum Teil leider immer mehr nachlässt, die anscheinend nur noch wenige oder gar keinen Grenzen mehr kennen, diejenigen darunter leiden müssen - Reisende wie ich, für die auch eine Kreuzfahrt mit AIDA nach wie vor eine Kreuzfahrt und damit etwas Besonderes ist. Und das finde ich nicht in Ordnung. Sie versteht auch mich. Tja, aber was will man machen …?! Als kleines "Trösterchen" bringt sie mir noch einen wirklich leckeren Haselnuss-Chili-Likör.
Jedenfalls habe ich mir vorgenommen, das Ganze nach der Reise noch einmal an AIDA Cruises zu adressieren. Ob etwas dabei herauskommt?! Keine Ahnung, zumindest kann ich mir dann sagen, dass ich es wenigstens versucht habe. (Anmerkung: Eine Antwort von AIDA kam damals. Das Resultat?! Drücken wir es mal so aus: "Viel geschrieben, wenig gesagt." Raus kam dabei leider gar nichts.)
Leider regnet es noch immer, so dass ich meine letzte Runde übers Schiff an diesem Tag auf Deck 5 absolviere. Ganz allein bin ich hier unterwegs, nirgendwo ist jemand zu sehen. Ich finde es immer ein wenig unheimlich, das Meer rauschen zu hören, es aber aufgrund der Dunkelheit nicht zu sehen. Die Außenstrahler beleuchten nur die direkt unser Schiff umgebende Gischt. Dann kommt das schwarze "Nichts".
Gegen 23:00 Uhr kehre ich auf meine Kabine zurück. Die letzte "AIDA heute" dieser Reise steckt an meiner Tür, dahinter versteckt die "Abreise-Informationen". Sehr rücksichtsvoll, denn wer liest schon gern diese immer irgendwie auch traurigen Informationen?!
Eine Weile setze ich mich noch dick eingemummelt auf meinen Balkon. Der Wind bläst ganz schön. Die in Stavanger frisch geputzten Balkonscheiben sind schon wieder salzwassergesprenkelt.
Zeit, schlafen zu gehen. Mal sehen, ob uns "Oriana", der wir uns Seemeile um Seemeile stetig nähern, das gestatten wird oder ob wir einmal mehr "das andere Gesicht" der Nordsee erleben werden?!
Bald werden wir es wissen …
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