Samstag, 11. August 2018
Die letzten und bis zu meiner Ankunft in meinem Kieler Hotelzimmer nicht mehr benötigten Sachen wandern in meinen Koffer. Den Griff versehe ich mit einem Papiertaschentuch (unbenutzt natürlich …!) und rolle ihn vor die Kabinentür, wo er sich zu seinen "Koffer-Kumpels" (und -"Kumpelinen" - wegen der Gleichberechtigung ) gesellt, die von anderen Gästen mitten in der Nacht auf einsamen Fluren vor den Kabinen bereits "ausgesetzt" wurden.
Wie vor einem Auszug wirkt meine Kabine nun wieder, irgendwie so steril und leer, verflogen die Gemütlichkeit der vergangenen Tage. Es ist ja auch ein Auszug aus meinem "Zuhause auf See", der mir in ein paar Stunden bevorsteht, wenn auch ein ungewollter, denn ich würde gern noch etwas bleiben. Ein bisschen neidisch bin ich schon auf die Gäste, die vereinzelt "Hier" riefen, als Thilo zum Farewell-Abend fragte, ob jemand diese Tour im Anschluss gleich noch einmal macht. Aber es sei ihnen von ganzem Herzen gegönnt.
Es geht schon auf 00:45 Uhr zu, als ich am Horizont irgendwo vor uns in der rabenschwarzen Nacht neben den weithin blinkenden Lichtern der Großen-Belt-Brücke auch ein großes Schiff sehe. Es wird unsere Luna auf der Backbordseite passieren. Also schnell nochmal runter auf Deck 5 um zu sehen, welcher "Weihnachtsbaum" uns da entgegenkommt.
Es ist ohnehin spät, der Koffer ist gepackt, die Kabine irgendwie ungemütlich durch diese "Leere" aufgrund des Fehlens persönlicher Gegenstände der letzten Tage. Erfahrungsgemäß kann ich in der letzten Nacht an Bord ohnehin immer nicht besonders gut schlafen. Daher versuche ich wieder einmal, die Abreise noch etwas "hinauszuzögern", indem ich in der letzten Nacht immer möglichst spät schlafen gehe.
Hell erleuchtet ist das Schiff schnell auf unserer Höhe, wenn auch unterwegs in die Gegenrichtung. Es ist die "Costa Favolosa". Und sie leuchtet in der Dunkelheit tatsächlich wie ein geschmückter Tannenbaum am Weihnachtsabend.
So gleiten unsere beiden Schiffe auf der schwarzen Ostsee aneinander vorbei. Wir mit "Kurs Heimat", das "Bling-Bling-Schiff" mit nördlichem Kurs.
Schon erhebt sich vor unserem Schiffe das nächste "Leuchtobjekt" über dem nachtschwarzen Meer. Wenn nun also die Große Belt-Brücke nun schon so nahe ist, dann kann ich sie mir dieses Mal ja auch von Deck aus ansehen.
Schnell auf die Kabine und die letzten verfügbaren Klamotten übergezogen, die ich mir für morgen (beziehungsweise ja schon heute …) bereitgelegt habe und gegen 01:05 Uhr nochmal hoch aufs Pooldeck.
Wer jetzt denkt, ich sei die einzige Verrückte, die zu dieser späten Stunde noch übers Schiff rennt, der irrt gewaltig. Ich biege um die Windschutzwände und bin überrascht: Wie auf eine Perlenkette aufgefädelt stehen am Bug etliche Leute, die meisten von ihnen mumienähnlich eingewickelt in die dicken gelben Decken. Ich geselle mich zu ihnen, wenn auch ohne gelbe Decke, dafür mit dicker Jacke.
Mensch, das ist aber aufmerksam. Da hat es jemand wirklich gut gemeint und extra eine lange blinkende Lichterkette für uns mitten übers Meer gespannt. Und damit sie nicht so durchhängt und wir mit unserer Luna womöglich noch anstoßen, hat man sie an einigen Stellen mit weithin leuchtenden Stangen aufgespießt.
"Lichterkette" und "Leuchtstäbe" werden schnell größer und imposanter. Trotz der Dunkelheit treten immer mehr Details hervor. Die "Große Belt-Brücke" begeistert mich genauso sehr wie vergangene Woche.
Um 01:10 Uhr ist es schließlich so weit: Allen legen die Köpfe in den Nacken und blicken staunend nach oben, als wir die gewaltige Brückenkonstruktion, die schon vielen Stürmen und hohen Wellen getrotzt hat, unterqueren. Für kurze Zeit wird es taghell in der ansonsten mondlosen Nacht. Helles weißes Licht in der Finsternis - ein überwältigendes Erlebnis, für das es sich gelohnt hat aufzubleiben. Ein imposanter und irgendwie auch ein wenig furchteinflößender Anblick. Nein, das Radar ist nicht abgebrochen. AIDAluna passte darunter hindurch, auch wenn es aus unserer Perspektive mehr als knapp wirkte. Doch es lagen letztlich noch etliche Meter dazwischen.
Schnell bleibt das leuchtende Bauwerk hinter uns zurück - in weiter See und einsamer dunkler Nacht. Das Highlight dieser Nacht ist vorüber. Schlagartig leert sich das Deck, bis ich schließlich noch ganz allein bin. Noch ein paar Minuten innehalten, noch ein paar Minuten die Einsamkeit genießen … Ein paar Minuten noch, in denen ich bereits beginne, Abschied von AIDAluna zu nehmen.
Gedankenverloren drehe ich noch eine Runde übers Pooldeck, während die immer größer werdende Entfernung dafür sorgt, dass eine der längsten Hängebrücken ganz schnell wieder zu einer einsamen "Lichterkette" irgendwo über dem Meer mutiert.
Kurz nach halb zwei Uhr morgens liege ich dann auch endlich in meinem Bett, letztmalig auf dieser Reise. Am westlichen Horizont leuchtet es immer mal wieder. Ein fernes Gewitter irgendwo über der Insel Fünen schickt immer wieder schwache Donnergeräusche durch meine weit geöffnete Balkontür. Noch einmal frische, klare Seeluft atmen, während AIDAluna unbarmherzig Kurs auf Kiel hält. Noch einmal bei leichtem Meeresrauschen einschlafen … Leise klappern die leeren Kleiderbügel in den leeren Schränken ...
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Ein paar mehr oder weniger schlaflose Stunden später …
Der Tag, den ich immer fürchte, ist angebrochen. In wenigen Stunden muss ich wieder einmal endgültig mein "Zuhause auf See" verlassen ... Und wieder einmal werde ich das schweren Herzens tun ... Und wieder einmal werde ich mir ein paar Tränen nicht verkneifen können …
Es ist irgendwann gegen 4 Uhr. Draußen ist es noch dunkel, leicht rauscht die See. Gegen 05:30 Uhr zeigt sich die Küste von Schleswig-Holstein schon relativ nahe. Zeit, den Federn zu entsagen, den Kopf vom Kissen zu heben und die Bettdecke zurückzuschlagen, denn wir sind bald zurück in der Landeshauptstadt Kiel. Und die Passage der Kieler Förde möchte ich von Deck aus verfolgen.
Meine Stimmung entspricht der Intensität des Sonnenaufgangs … So halbherzig, wie es heute nach und nach hell wird, so geht´s mir auch irgendwie. Ich bin irgendwie wach, stehe aber gleichzeitig auch irgendwie neben mir … So, wie auch die Sonne wohl etwas neben sich zu stehen scheint … Zumindest hat sie sich von einem dicken Wolkenschleier einwickeln lassen … Meine Euphorie der vergangenen Tage - wie weggeblasen … Die Glücksgefühle, wenn man morgens aufwacht und das Meer sieht … Dahinter die stellen Felsen, welche Norwegens Fjorde in schmale Bahnen lenken … Sie sind genauso verschwunden wie der traumhafte Naturfilm, der in den vergangenen Tagen vor meinem Kabinenbalkon in Endlosschliefe abgelaufen ist …
Wasser ist jetzt auch zu sehen und dahinter auch ein Streifen Land mit einem ganz dicken Strich dazwischen … Der schmale Streifen Wasser gehört zur Kieler Förde, der schmale Streifen Land entpuppt sich als das Ostseebad Laboe und der dicke schwarze Strich ist nichts anderes als das das Ostseebad weithin überragende Marine-Ehrenmal.
Schlagartig ist SIE da … Drängt sich in meine Gehirnwindungen und lässt mich sofort wieder traurig sein: SIE - die TATSACHE, dass meine Reise nachher zu Ende sein wird … Ob ich will oder nicht … Obwohl das gar nicht zur Wahl steht … Ich will definitiv NICHT. NICHT meine Kabine verlassen …NICHT mein geliebtes Kussmundschiff verlassen … NICHT "Auf AIDAsehen" sagen. Die Aussicht, noch diesen und den morgigen Tag und somit noch zwei Nächte in Kiel verbringen zu können, tröstet mich in diesem Moment überhaupt nicht.
Der Tag beginnt traurig und er wird traurig enden, das weiß ich schon jetzt. Denn ich werde ich heute Abend an der Kiellinie stehen und AIDAluna verabschieden - mit einem langen Schal, wie ich es Thilo und Stefan gestern Abend noch versprochen habe. Ich werde zurückbleiben … Allein … Ohne mein Kussmundschiff … Während AIDAluna zu neuen norwegischen Abenteuern aufbrechen wird.
Doch zurück zum Hier und Jetzt.
In meiner inzwischen leeren Kabine fühle ich mich irgendwie nicht mehr wohl. Einzig mein Blumenstrauß, bestehend aus Sonnenblumen, Rosen und Lilien in Sonnengelb, der sich die ganze Woche über so toll gehalten hat, ist ein kleiner Lichtblick in dieser Tristesse. Am liebsten würde ich ihn mitnehmen, doch das geht natürlich nicht. Ich würde ihn gar nicht mehr mit fortbringen und die weite Heimreise, die ich übermorgen in meine meeresferne Heimat antreten werde, würde er garantiert sowieso nicht überstehen.
Um 6 Uhr bin ich an Deck und habe leider Laboe knapp verpasst. Macht aber nichts, morgen bin ich sowieso nochmal dort. Dann, wenn ich mit einem der Fördedampfer gemütlich hierhin schippern und somit meinen Urlaub ausklingen lassen werde.
Die bereits aufgegangene Sonne setzt die markante Kulisse Laboes vor einen pastellfarbenen Himmel.
Ein Stück weiter östlich lugt sie noch etwas zwischen den Wolken hervor.
Doch der Schein trügt leider, denn Richtung Kiel sieht es nämlich gar nicht mehr so golden aus. Im Gegenteil …
… verdammt finster und verdächtig nach Regen …
Ich hatte es befürchtet: Nicht nur ich bin traurig, selbst Kiel scheint es zu sein, denn in diesem Moment fallen auch schon die ersten Tränen - pardón: Regentropfen - aus dem bleigrauen Fördehimmel.
Unbeirrt nimmt unsere Luna Kurs auf den Ostseekai, verfolgt von der "Costa Pacifica", während wir der kleinen Kussmund-Schwester AIDAaura folgen.
Auf Höhe von Kiel-Holtenau bietet sich den vorbeifahrenden Schiffen ein toller Blick in den Nord-Ostsee-Kanal, welcher in Brunsbüttel an der Nordsee beginnt und hier in der Kieler Förde die Schiffe nach rund 100 Kilometern in die Ostsee entlässt. Über 30.000 Schiffe passierten diese Wasserstraße im vergangenen Jahr. Erbaut wurde der "NOK", wie er auch kurz genannt wird, zwischen 1887 und 1895.
Auf der Backbordseite wird der immer schmaler werdende "Goldstreifen" am Horizont immer mehr verdrängt von einer Wolkendecke in einheitlichem Mausgrau …
Fortsetzung folgt …
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