31. Juli 2019 – Isle of Portland
Hhm, als ich gegen 6.30 Uhr den Kaffeespender aufsuchte, überwog am Himmel das Grau. Nicht das Grauen, denn die Wolken behielten ihre Flüssigkeiten. Von Sturm konnte man bei einer Windgeschwindigkeit von 60 km/h nicht mehr reden. Aber es war frisch. Also: Kaffeepott füllen und eine windgeschützte Ecke suchen. Ich fand sie vor der Hemingway-Lounge. Leicht schaukelnd nahm ich gerne zur Kenntnis, dass sich die Sonne anschickte, die Wolken zu besiegen. 18° - das konnte DER Tag werden! Aber abwarten … Wo befanden wir uns? Irgendwo zwischen Bourne- und Plymouth. Natürlich auf See. Auf der Steuerbordseite erkannten wir das hügelige englische Festland. Felder und Weiden. Keine Wälder. Immer wieder unterbrochen von schroff in die Höhe steigenden Kalksteinfelsen. Nicht ganz so hell wie die von Dover. Aber auch beeindruckend. Schließlich erreichten wir die Weymouth Bay. Ein weit mit langgestreckten Molen eingefasster Naturhafen. Hunderte von Strafgefangenen waren mit und an ihnen beschäftigt. Sie waren schnell einsetzbar. Es gab zum einen genug von ihnen und zum anderen waren sie in dem oberhalb von Weymouth befindlichen Gefängnis untergebracht. Ganz schön praktisch für Merry Old England … und natürlich auch für die Marine, die in diesem Hafen bis zum Ende des kalten Krieges eine größere Basis hatte.
Während unseres Frühstücks – dieses Mal im Selection Restaurant –
liefen wir in den Hafen von Portland ein. Na ja, toll sah er nicht gerade aus. Kein Kreuzfahrthafen, wie wir ihn gerne gesehen hätten. Doch er erfüllte seinen Zweck …
Bis zum Beginn unseres Tagesausflugs „Salisbury und Stonehenge“ schauten wir uns die Hafenumgebung von ganz oben aus an. Das Weltnaturerbe, die grüne Isle of Portland, war mit dem Festland durch einen aus Kieseln natürlich angeschwemmten Damm verbunden. Ein wenig weiter das Städtchen Weymouth mit der riesigen Marina. Die einem russischen Oligarchen gehörende, nicht kleine Segelyacht, die rd. 200 Mio. gekostet haben sollte.
Egal, ob € oder engl. L. Er, der Russe, gab sich bestimmt nicht mit Kleinigkeiten ab. Was fiel mir hierzu ein? Donald mag Wladimir. Donald mag Boris. Also muss Wladimir auch Boris mögen. Gute Geschäftsaussichten für Merry New England … und von der einfachen mathematischen Logik bestimmt …
Dann mal los mit dem Ausflug und hinein in den Bus. Die Deutsche Andrea, die von einem Engländer auf die Insel gelockt worden war, als Reiseleiterin und der Fahrer Dave begleiteten uns den ganzen Tag. Portland lag hinter uns und wir fuhren an für die Segelwettbewerbe der olympischen Spiele 2012 errichtete Gebäude vorbei, die anschließend für andere Zwecke als Schulen und Appartements umfunktioniert worden waren. Bevor wir Weymouth erreichten, passierten wir das Naturschutzgebiet Radipole Lake mit den normalerweise großen Schwanenkolonien.
Versteckten sich an diesem Tag die Schwäne vor uns? Oder war Lizzy in der Gegend? Nee, die Vorlieben der früheren Könige/-innen für gefüllte und gebratene Schwäne gehören eindeutig der Vergangenheit an!
Die Hauptverkehrsachse von Weymouth durften wir länger genießen – es war auf der Straße einiges los. An einigen Fassaden erkannten wir,
dass König Georg III in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts seine Hände bzw. die seiner Untertanen im Spiel hatte. Seine Ärzte verordneten ihm Seeluft. Schorsch suchte sich Weymouth aus und so vergrößerte sich nach und nach dieses von ihm ausgesuchte Seebad. Denn wo Königs waren, befanden sich auch seine Schmarotzer. Nein, seine Höflinge … Zu Schorsch´ Ehren wurde ein pompöses Denkmal errichtet. Wir umrundeten es im Bus. Eine Pflichtübung?! Das Denkmal von Schorsch´ Enkelin Vikky ließen wir rechts liegen. Und schon waren wir am Ortsausgang. Im Vorbeifahren zog eine anlässlich der olympischen Spiele drapierte Denkmalskomposition unsere Blicke auf sich. Toll! Auf Edelstahlrohren ruhende Gesteinsbrocken, die man beim Olympia-Straßenbau ausgebuddelt hatte. Engl. L 400.000,-- sollte der ganze Spaß gekostet haben. Also hat auch Südengland seinen Berliner Flughafen bzw. Stuttgarter Hauptbahnhof bzw. die Elbphilharmonie. Allerdings finanziell im erheblich kleineren Umfang … Oder konnte der englische Steuerzahler nicht noch mehr geschröpft werden? Immerhin fühlten sich echte englische Enten auf den von der Sonne erwärmten Gesteinsbrocken wohl … Ach ja, im Gegensatz zu den deutschen Dauerbaustellen wurde das Gesteinsarrangement fristgerecht fertiggestellt …
Hey, zurück zu unserem Ausflug. Wir passierten Dorchester, fuhren durch Puddletown, das auf Wunsch eines britischen Monarchen, der diesen Ort besuchen sollte, von ehemals Piddletown umbenannt wurde (google einfach mal nach to piddle …), durch Martin Drove End bis nach Salisbury. Die Gegend erinnerte an deutsche Mittelgebirge. Hügel, teilweise abgeerntete Felder, Weiden. Wenig Wald. Wenn, dann eher Laub- als Nadelwald. Ab und zu sahen wir kleine Hügel, in denen vor Jahrhunderten - nein, es passierte vor viel, viel weiter zurückliegender Zeit – die Vorfahren der heutigen Engländer ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Die Ortschaften waren klein, aber fein. Sauber. Kleine und mittelgroße Häuser. Verputzt, verklinkert oder mit den für diese Gegend preiswerten Feuersteinen versehen. Nicht wenige Häuser mit Rietdächern. So gut wie keine Wohnblöcke. In jeder Ortschaft eine alte Natursteinkirche und mindestens ein Inn. Idyllisch. Eine Gegend, in der sich mit Sicherheit die Bewohner untereinander kannten und mehr oder weniger vertrugen.
Wir erreichten Salisbury …
Woran denkt man, wenn man Salisbury liest? An den 2018 mit Nervengift verübten Anschlag auf S.W. Skripal und dessen Tochter? Besser nicht! Oder an den mittelalterlichen Ort Old Sarum, in dessen Sichtweite Anfang des 13. Jahrhunderts mit dem Bau einer Kathedrale begonnen wurde? An die „Säulen der Erde“ von Ken Follett, der die Geschichte um die Errichtung der Kathedrale von Salisbury als eine Grundlage für seinen Erfolgsroman nahm (übrigens sehr empfehlenswert!)? Auch ohne die Geschichten um die Kathedrale ist ein Besuch dieser Stadt mit ca. 46.000 Einwohnern sinnvoll. Also los …
… und fuhren über eine den Avon querende Brücke. Schön, was Fluss und -ufer boten (Merkzettel: dort mussten wir später hin!). Das riesige klerikale Gelände – aufgrund der Umfriedung The Close genannt – mit der Cathedral Church to the Blessed Virgin im Mittelpunkt ließen wir auf der Beifahrerseite, also links, liegen. Zunächst. Und fuhren vorbei an typisch bunten englischen Geschäftslokalen und älteren Fachwerkhäusern zum am Rande der Altstadt liegenden Busparkplatz. Raus aus dem Bus und hinein in die zwei Stunden dauernde Freizeit. Anfangs führte uns Andrea Richtung Kathedrale. Vorbei an der Sarum St. Thomas and St. Edmonds Church machten wir am Rande des weiträumigen Marktplatzes Halt.
Schöne alte Häuser – nicht zu klein, denn man hatte als einstiges Zentrum der englischen Textilherstellung Pfunde für Größeres – begrenzten den zweiten Ortsmittelpunkt. Von hier aus waren es nur wenige Meter bis zum Poultry Cross,
das letzte von ehemals vier in Salisbury existierenden Marktkreuzen. Wie in jeder mittelalterlichen englischen Stadt mit Märkten war es der mit einem Steinkreuz versehene Mittelpunkt des Markttreibens. Was früher unter diesem Kreuz angeboten und gekauft wurde, steckt in der Bezeichnung: Flattermänner/-frauen mit und ohne Bewegungs- und Krähpotential …
Nun aber auf Richtung Kathedrale. Nicht nur deren Ausmaße beeindruckten – auch die mit Mauern in früheren Zeiten abgeschottete großflächige quadratische Rasenfläche um die Kirche herum mit harmonisch zueinander passenden Gebäuden aus 16., 17. und 18. Jahrhundert.
Gehen wir einige Jahrhunderte zurück. 1220 ließ Bischof Poore (nicht poor!) seine Untertanen die ersten Hände anlegen. Er und seine Nachfolger schafften es, in 45 Jahren dieses Prunkstück hochziehen zu lassen. Ein Meisterwerk der englischen Frühklassik oder auf gut deutsch: of the Early English Style. Aber zunächst noch ohne Turm. Ihn ging man ein halbes Jahrhundert später an und 1380 war dieses Prachtstück, die Säulen der Erde, fertiggestellt. Mit 123 m Höhe ist der in den Himmel stechende Turm (keine Blasphemie, da klerikal!) der höchste Kirchturm Englands.
Am besten konnten wir ihn vom lauschigen und in England ältesten, noch erhaltenen Kreuzgang bewundern.
Vom Kreuzgang aus machten wir einen Abstecher in die Bibliothek, in der eins der vier noch erhaltenen Originale der Magna Charta ausgestellt war. Auf einer Seite ist – allerdings mit klitzekleiner und für uns als Laien nicht leserlicher Schrift – niedergelegt, was 1215 der englische Adel dem danach noch weniger allmächtigen König abgerungen hatte.
Bei aller Faszination dieser uralten Urkunde erinnerten wir uns daran, dass wir noch den lauschigen Avon-Winkel aufsuchen wollten. Es lohnte sich …
Es wurde Zeit für den Rückweg. Vorbei an der Kathedrale Richtung Innenstadt. In einer typisch englischen Bäckerei bestückten wir uns mir Cornish pasties – ganz frisch aus dem Ofen gehüpfte, mit Hackfleisch und Gemüse gefüllte Blätterteigpasteten. Lecker … und das war ein weiterer Anteil an Selection, von uns ausgesucht … Mit der immer mehr abnehmenden Pastete in der Hand (dafür mit ausweitendem Bauchumfang) genossen wir den Rückzugsweg zum Bus. Vorbei an der alten Mühle,
die zum Wohle der Menschheit umfunktioniert worden war.
Alle Mitreisenden waren pünktlich (auch wir!) und nach einer halben Stunde Busfahrt standen wir am Rande des Weltkulturerbes Stonehenge. Wir erkannten es an den mit unzähligen Bussen und PKWs bestückten Parkplätzen. Am Rande eines abgemähten Kornfeldes.
Kein Bett im Kornfeld – aber dafür viele Strohrollen. Stonehenge muss eine unheimliche Anziehungskraft haben. Im Sommer bis zu 11.000 Besucher am Tag! Pro Jahr sollen ca. 1,1 Mio. Interessierte Stonehenge stürmen. Mit uns …
Sie und wir wollten das bestaunen, womit vor ca. 5.000 Jahren die seinerzeitigen Bewohner dieser Umgebung begonnen, in den Folgejahrhunderten/-tausenden ihre Nachfolger fortgeführt und in der Neuzeit Historiker und Archäologen entdeckt hatten. Und was in den heutigen Zeiten z.B. Esoteriker zu einem Hauptaugenmerk ihres Interesses machten.
Nun aber zurück zu den Bauphasen. Ungefähr 2800 v.Chr. beschäftigten sich die in dieser Gegend ansässigen Stämme damit, einen Ringgraben mit einem Durchmesser von ungefähr 100 m zu buddeln. Mit dem Aushub – in erster Linie weißes Kalkgestein – errichteten sie einen Innenwall und zwar direkt neben dem Graben. Im Nordosten gab es im Wall und im Graben einen Eingang, der von zwei nicht zu kleinen Steinen gekennzeichnet war. Einen gibt´s noch – dem Alter entsprechend hatte er sich irgendwann hingelegt.
Ca. 400 Jahre später während der Glockenbecherkultur: Der Eingangsbereich wurde erweitert. Aus den Steinbrüchen des 385 km entfernten Wales wurden bis zu 7 m hohe Monolithe herbeigerollt – eine unheimliche Meisterleistung in den damaligen Zeiten. In der Mitte des runden Walls wurden damit zwei Steinkreise gebildet.
2000 bis 1500 v.Chr. – Frühbronzezeit: Mächtige Gesteinsblöcke wurden aus 35 km entfernten Steinbrüchen nach Stonehenge verlagert. Es mussten insgesamt 90 gewesen sein, denn mit ihnen wurden als äußerer Ring 30 Tore – jeweils zwei senkrechte Steinblöcke mit per Nut und Feder (!) eingepasstem Querdach – aufgestellt. Vorher wurden im Mittelpunkt gigantische Brocken in Hufeisenform verankert. Die Mitte des Hufeisens bildete das Allerheiligste – der Altarstein, auf dem zur Sommersonnenwende der Sonnstrahl traf. Wozu das Ganze? Jede Menge Knochenarbeit, bei der bestimmt viele Arbeiter ihr Leben gelassen hatten. Diente das Gesamtgebilde nur als Heiligtum? Oder war es eine Begräbnisstätte für die Hüteren in den guten alten Zeiten? Oder galt es als astronomisches Forschungszentrum, quasi als Grundlage des Kalenders? Man weiß es nicht … Ob sich sämtliche Geheimnisse dieser mystischen Stätte irgendwann der Nachwelt offenbaren werden – abwarten …
Wir hatten unseren zweistündigen Forschungsbesuch – eher Fotografierbesuch - von Stonehenge nicht bereut und können diesen Ausflug wärmstens empfehlen. Bei uns spielte das Wetter mit. Die Sonne gab zunächst weiter ihr Bestes und schien beim Abschied von dem Steinrondell auf weiter entfernte, sich am Rande eines kleinen Waldes erhebende Hügel.
Sie dienten als Begräbnisstätte und hatten zum Glück nicht nur Jahrhunderte „überlebt“. Für den Aufenthalt im Besucherzentrum blieb keine Zeit; wir besichtigten lediglich die Außenanlagen mit nachgestellten Urzeithäusern.
Ja, das Wetter … je mehr wir uns während der Rückfahrt der Küste näherten, desto mehr trübte es sich ein. In Weymouth erlebten wir den Feierabendverkehr. Stop and go. Und so konnten wir das, was wir während der Hinfahrt gesehen hatten, nochmals ausgiebiger betrachten. Trotz der Blechhindernisse kamen wir mit unserem Bus pünktlich um 18 Uhr vor dem Schiff an und nutzten bis zum sail-away um 20 Uhr die Zeit, uns im Marktrestaurant mit skandinavischen Gerichten zu stärken. Leider wurde es beim mit Böllerschüssen versehenen Ablegen sehr diesig, so dass wir die Schönheit der von uns nicht besuchten Isle of Portland nicht genießen konnten. So widmeten wir uns ohne schlechtes Gewissen einer gewissen Bar am Heck von Deck 7. Mai Tai – Zeit …
und ein akzeptabler Sonnenuntergang …
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