4. August 2019 – Fort William
AIDAheute versprach für diesen Tag landesübliches Wetter. AIDA hielt das Versprechen. So blieb uns nichts anderes übrig als den Plaid überzuwerfen und unseren Kaffee unter einer Bedachung zu schlürfen. Es regnete. Petrus wollte uns bestimmt zeigen, dass es in Schottland auch Wasser von oben gab. Wir akzeptierten es und verzogen uns trotzdem vorerst nicht in die Innereien des Schiffes. Wir wollten betrachten, was Schottlands Natur bot. Außer Regen. Ja, wir befanden uns am Anfang des Loch Linnhe. Also ein See und kein Firth, wie es ihn in Schottland oft gibt. Aber bestimmte Ähnlichkeiten zum Fjord waren vorhanden. Eine recht schmale Wasserrinne, begrenzt von ansteigenden Ufern. Aber so spektakulär wie in Norwegen war diese „Fjordfahrt“ nicht. Irgendwie beruhigend. Geschwungene Hügel. Alles grün. Wälder. Weiden. Keine gewachsenen Ortschaften. Ab und zu Unterbrechungen des nicht sehr nuancenreichen Grüns durch weiße Häuser.
Viele klein; ab und an schlossähnliche Gebilde. Campingplätze, die gut belegt waren. Industrie? So gut wie nicht erkennbar. Bewegung an Land? Fehlanzeige – es war doch Sonntag und niemand hatte Interesse, uns und der AIDAaura zuzuwinken. Halt – so gegen 7.30 Uhr kam doch so etwas wie eine Ortschaft in unser Visier. Kein Haufen- sondern ein Straßendorf. Für Gebäudezusammenballungen war zu wenig Platz zwischen Hügeln und Fjord. Und dann wieder grün. Und nach wenigen Minuten empfing uns die Zivilisation und damit unser Tagesziel, die mit 6.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt der Highlands, Fort William.
Das heutige Industriestädtchen entwickelte sich um die 1650 von Oliver Cromwell gegründete Festung, die Ende des 17. Jahrhunderts zu Ehren Wilhelms III. von Oranien-Nassau, ab 1689 König von England und Schottland sowie Statthalter der Niederlande, in Fort William umbenannt wurde. Am Fuße des höchsten Berges der britischen Insel, Ben Nevis, gelegen, gilt der Ort als Touristenhochburg Schottlands, da von hier aus die wichtigsten Naturwunder der Highlands gut erreicht werden können.
So richtig freundlich empfing uns Fort William nicht. Die Wolken befanden sich nicht nur dort, wo sie sein sollten,
nämlich hoch oben am Himmel. Sie gehorchten uns einfach nicht, denn sie hielten die Flüssigkeit nicht in ihrem Revier. Es regnete weiterhin … also auf zum Frühstück und anschließend per Tender an Land. Ob es immer noch regnete? Ja … Direkt nach Betreten festen Bodens flüchteten wir durch den leichten Wasserfall in den Ausflugsbus. Da uns AIDA trotz anfänglicher Zusage die Fahrt mit dem Harry Potter – Express/The Jacobite leider im Nachhinein gestrichen und an diesem Sonntag keine Mietwagenstation geöffnet hatte, nahmen wir mit dem Ausflug „Loch Ness und das schottische Hochland“ vorlieb. Für den Weg zu den Ausflugszielen waren unser Fahrer Willy und unser Reiseleiter George zuständig. Schorsch, ein Schotte mit niederländischer Mutter, empfing uns im Kilt. Ein waschechter Schotte also … Und los ging die anfängliche Regenfahrt. Direkt nach Verlassen Fort Williams sahen wir links und rechts der Straße die von uns gerne gesehene Natur pur. Von Hecken eingeschlossene Weiden. Bäume und Sträucher. Zunächst fast nur Mischwald. Später kamen reine Nadelwälder dazu. Prima, dass die Schotten nach dem für den Schiffsbau erfolgten Kahlschlag durch die Engländer eine umfassende Aufforstung mit großem Erfolg angegangen hatten. Bodenerosion wurde eingeschränkt und die Natur – auch die Tierwelt – dankte. Beim Fahren durch lang gestreckte Täler unterschied sich der Bewuchs auf beiden Seiten des Tales. Auf der einen Seite dunkle Wälder, auf der anderen Seite eher Weiden und maximal Sträucher. Unseren ersten Halt machten wir beim Glengarry Viewpoint oberhalb des Loch Garry.
So richtig viel Fotografierwertes gab es nicht. Tief liegende Wolken verhinderten, die Schönheit dieser sonst so attraktiven Natur zu offenbaren. Und so gab es keinen Protest, als wir nach einer nur kurzen Pause weiterfuhren und erst mitten in unserem Tagesziel Fort Augustus anhielten. Hinter uns lag eine „Lochfahrt“ – wir starteten am Loch Linnhe, passierten Loch Lochy, Loch Oich, Loch Garry sowie Loch Loyne und wurden mit Fort Augustus am Loch Ness erlöst.
Auch bei der Gründung dieses Ortes hatte Oliver Cromwell seine Finger im Spiel. Er ließ am Ende (oder auch Anfang – je nachdem, wie man es sieht) des Loch Ness zur Befriedigung der westlichen Highlands ein Fort anlegen, das später – unpassend für die Schotten – nach William August, Duke of Cumberland, der Schlächter von Culloden, genannt wurde. Immerhin wurde das Fort Ende des 19. Jahrhunderts in ein Kloster umfunktioniert. Wovon profitiert Fort Augustus? In erster Linie vom Tourismus, denn nicht nur Nessie locken Neugierige wie uns sondern dieses Örtchen mit seinen Schleusen hält den kaledonischen Kanal
durchquerende Wassersportler unweigerlich fest. Fort Augustus hat rd. 600 Einwohner; an Tagen wie diesen trieben sich mehr als 1.500 Personen im Ort herum.
Und das trotz des nicht hervorragenden Wetters. Aber immerhin gewährte uns der schottische Petrus (Geiz?!) auf dem Weg zwischen Bus und Ausflugsboot eine Regenpause. Was lag vor uns? Eine Fahrt über Loch Ness, in dem das sagenumwobene Ungeheuer leben soll. Ob es sich uns zeigen wollte?
Loch Ness ist ein See der Superlative und nach Loch Lomond der zweitgrößte See Schottlands; 35 km lang, durchschnittlich 1,5 km breit bzw. 230 m tief. Das Loch beinhaltet mehr Wasser als alle Seen, Stauseen und Flüsse Englands und Wales´.
Damit würde es schwierig werden, die legendäre Nessie zu erspähen. Wir wollten es zumindest versuchen und gönnten uns direkt nach dem Entern des Ausflugsbootes den ersten Whiskey. Da man bekanntlich nicht auf einem Bein stehen konnte … der zweite Whiskey …
Nach dem Whiskey suchten wir uns Plätze mit gutem Aussichtspotential. Wir fanden Außenplätze und trockneten sie mit meiner Mütze ab. Und los ging die rasante Fahrt
auf dem torfbraunen Wasser. Und was geschah? Nein, Nessie tauchte nicht auf … Petrus öffnete für kurze Zeit seine Schleusen. Flucht in die überdachte Mitte des Ausflugsbootes. Mütze nass, Außensitz nass. Na und … darauf den dritten Whiskey … Im Stehen bewunderten wir die an uns vorüberziehende Natur.
Die im Dunst lag. Der aber die bewaldeten Höhen ein wenig frei gab. Auf einmal war der Nadelwald unterbrochen. Horseshoe Scree – die Hufeisen Schuttwalde wurde erreicht. An dieser Stelle dringt das Wasser in Felsritzen, friert in kalten Wintern und sprengt das Gestein, das Richtung Wasser rutscht. Jahr für Jahr. Etwa 100 m hinter dieser Halde drehte unser Boot
und wir fuhren in Reichweite des gegenüberliegenden Ufers. Es war Zeit für den vierten Whiskey – schließlich mussten wir eine Aufgabe erfüllen! Unser Augenmerk fiel auf eine im See, nicht weit vom Ufer liegende Baumgruppe „Cherry Island“. Es handelte sich um ein Crannóg, eine vermutlich zu Beginn unserer Zeitrechnung angelegte künstliche Insel, die über einen Steg mit dem „Festland“ verbunden war. Die Crannógs waren Wohnstätten; aufgrund der schmalen Stege waren sie leicht vor Angreifern zu verteidigen. Der Zugang konnte im äußersten Gefahrenfall mit Feuerlegen zerstört werden.
Dieses alles wurde uns von George erklärt. Ein Grund, dass wir uns dem fünften Whiskey widmeten. Warum mussten fünf sein? Ganz einfach (s.a. Eingangsfrage… ) – nach jahrelangen Forschungen renommierter schottischer Wissenschaftler kam die die Welt befreiende Erkenntnis, dass Nessie in der Vergangenheit gewöhnlich nach 5 Scotch auftauchte. Nessie hatte den Draht zu den Gelehrten … und … da war auf einmal Nessie,
verschwand aber leider nach kurzer Zeit. Immerhin schafften wir es, das überhaupt nicht wie ein Ungeheuer aussehende Monster zu fotografieren. Nein, wir feierten den Erfolg nicht mit einem sechsten Whiskey …
Kurze Zeit später legte unser Boot wieder in Fort Augustus an und wir hatten eine ¾ Stunde Zeit, den Ort zu erkunden.
Wir schauten uns die typisch schottischen Häuserzeilen an
und hielten uns länger vor dem „Canalside Rambos Takeaway“ auf. Warum? Dort vertilgten wir leckere Fish and Chips. Ein einfacher und trotzdem schmackhafter Genuss!
Wer Fort Augustus besucht, kommt nicht an der Besichtigung der Schleusen vorbei.
Schleusen? Ja, zwischen 1803 und 1822 schufteten Arbeiter zwischen Anfangs- und Endpunkt Fort William und Inverness. Sie buddelten den insgesamt 95 km langen Kaledonischen Kanal, der Nord- und Irische See verbindet. Man machte es sich so einfach wie möglich und verknüpfte die zwischen den Meeren liegenden Seen wie Loch Ness, Loch Oich und Loch Lochy, die insgesamt 2/3 der Kanallänge ausmachten. Dabei wurden 39 Schleusen, 10 Brücken und 4 Aquädukte angelegt. Der Kanal erleichterte den Schiffsverkehr zwischen Ost- und Westschottland, verlor aber nach Eröffnung schnell an Bedeutung, da die neu entwickelten leistungsstarken Dampfschiffe für diesen Wasserweg zu groß waren. Zum Glück wurde er nicht einfach stillgelegt; inzwischen steht er unter Denkmalschutz und wird bevorzugt von Ausflugsbooten und Wassersportlern genutzt.
Ach ja, es regnete nicht mehr – rechtzeitig vor Beginn der Rückfahrt. So erschien uns die Landschaft um die von uns passierten Seen bei zeitweiligem Sonnenschein viel attraktiver. So auch bei einem kurzen außerplanmäßigen Fotostopp an der Gedenkstätte „Commando Memorial“. In dieser Gegend wurden im Zweiten Weltkrieg schottische Kommandotruppen ausgebildet. Eine wunderschöne Landschaft,
die vor ca. 80 Jahren von den Soldaten mit Sicherheit nicht als solche gewürdigt werden konnte.
Lange dauerte es nicht bis wir Fort William wieder erreichten. Ein ca. einstündiger Ortdurchgang reichte, um einige „Highlights“ kennenzulernen. Etliche typisch schottische Bauten, mehrere Denkmäler wie das für den müden Wandersmann „The Sore Feet Statue“, die das Ende des 96 Meilen langen West Highland Way markierte. Die eine Grünanlage begrenzende Duncansburgh MacIntosh Parish Church.
Das war´s dann schon. Aber nicht die Sehenswürdigkeiten dieses Ortes locken Besucher an – eher die Natur und der sich hinter dem Städtchen erhebende Ben Nevis, der von hier aus problemlos erreicht werden kann.
Rechtzeitig zum Ende von Kaffee und Kuchen waren wir zurück auf der AIDAaura. Der in der Ohschän-Bar gereichte Cappuccino war sowieso besser als der Kaffee in den Buffetrestaurants. Der Höhepunkt bis zum Ablegen war ein weiteres kulinarisches Angebot: Looooord Patrick schnitt auf dem Pooldeck Haggis an.
Uns schmeckte dieses schottische Nationalgericht, das eine Vorspeise für den Themenabend „Schottland“ im Calypso war. Doch vorher mussten wir das für kurze Zeit von der Sonne beehrte Fort William bewundern.
Die Tenderboote fuhren ca. drei Stunden vor dem Ablegen weiter hin und her. Auch auf der anderen Seite des Loch Linnhe sah es für diesen Tag hervorragend aus. Allerdings nicht Richtung Meer – dort braute sich etwas zusammen … Immerhin wurde das nasse Dunkel farbig aufgehübscht …
Unsere pünktlich eingenommene Mahlzeit wurde auf einmal unterbrochen: Looooord Patrick kündigte Dudelsackklänge eines kurzfristig eingetenderten Schotten an. Dort mussten wir selbstverständlich hin und waren anschließend enttäuscht über lediglich drei Stücke in langen 15 Minuten … ein Grund, umgehend mit der schottischen Völlerei fortzufahren … Eigentlich wollten wir nach dem uns vom Schottischen Fremdenverkehrsamt präsentierten Regenbogen
den Abend in der Ohschän-Bar verbringen. Die Ausfahrt durch das fjordähnliche Loch Linnhe bei einem guten schottischen Whiskey wäre etwas Besonderes gewesen. Doch der hiesige Petrus hatte etwas dagegen. It was raining cats and dogs! Zumindest zeitweise. Die Folge: Wir schlürften unseren Aberfeldy unter der Überdachung vor dem Pool-Grill. Ganz allein, ganz in Ruhe.
Und schauten auf das leider meist nur schemenhaft hinter uns bleibende Schottland
incl. Insel Mull of Kintyre …
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