2. April 2018 - Sortland/Vesterålen
Wir waren nach recht ausgiebigem Ausschlafen sehr früh auf den oberen Decks. Der übliche Blick zum Himmel: nordische Mystik zeigte sich. Die Wolken hingen ziemlich tief; die Sonne versuchte sich zu behaupten und einige blaue Flecken zeigten sich am Himmel.
Unsere AIDAcara suchte auf dem Hadselfjord ihren Weg zwischen den Vesterålen-Inseln Langøya und Hinnøya. Die Sonne beschien die mehr als 1.000 m hohen Gipfel; aber sie konnte die Wolken noch nicht vertreiben. Ganz weit vor uns tauchte die sonnenbeschienene Brücke von Sortland auf.
Das Wetter wusste nicht so richtig, wie es werden sollte. Es gab alles: dicke, Schnee androhende Wolken, aber dabei sollte es zunächst bleiben. Die Sonne wie auch blauer Himmel zeigten sich weniger als zuvor. An der Hinnøya-Uferlinie sahen wir ab und zu Häuseransammlungen. Nicht allzu viel – es waren Streusiedlungen.
Die Ankunft in Sortland verfolgten wir während des Frühstücks. Wir mussten uns beeilen, denn kurz nach dem pünktlichen Anlegen stand unser Treffen zur „Landschaftsfahrt nach Nyksund“ vor den Ausflugsbussen an. Und schon ging´s los – nach einigen Minuten lag Sortland hinter und eine Winterwunderwelt vor uns. So, wie wir sie noch nie gesehen hatten. Hügel, Wäldchen, norwegerrote Häuser – mitten in einer Schneelandschaft. Dann änderte sich das Bild. Die Hügel wurden zu steilen Bergen; die über alles liegende Schneedecke war geschlossen.
Hier konnte man leben – in Ruhe. Am besten, wenn das eigene Haus über genügend Platz verfügte. Weiß war der vorherrschende Farbton. Mit Schnee bepuderte Tannen wechselten sich mit Krüppel- und Laubwäldern ab.
Nachdem wir das Meer längere Zeit nicht mehr gesehen hatten, tauchte es endlich wieder auf. Einsame Hütten und dann auf der anderen Seite des Sunds eine kleine Ortschaft. Wir erreichten Myre. Eine mit etwas mehr als 2.000 Einwohnern für unsere Verhältnisse kleine Ortschaft, aber einer der größten Fischereistandorte Norwegens. Kein Wunder, dass Myre über einen kleinen, aber feinen Segelhafen verfügt. Und über Häuser unterschiedlicher Art, in denen man es bestimmt aushalten konnte.
Kurz hinter Myre fuhren wir nicht weiter geradeaus – in Richtung Klo. Nicht, dass ein Irrtum vorliegt – es handelte sich nicht um eine Bedürfnisanstalt sondern um einen Ort auf Langøya! Aber für uns uninteressant, denn wir verließen die Hauptstraße und stießen nach wenigen Minuten auf eine Einrichtung, bei der nach uraltem norwegischen Brauch Fische aufgehängt und gelüftet wurden. Sie hatten es auch nötig – das Lüften! Die noch nicht als Stockfische zu bezeichnende Wassertiere ging es nicht lange vor unserem Besuch noch ganz gut – bis die Fischer kamen und meinten, den Fischen frische Luft gönnen zu müssen. So gut wie alles wurde verwertet – auch die Fischköpfe, die nach Monaten an der gesunden frischen Luft nicht mehr streng riechen und als Stockfischköpfe z.B. nach Nigeria verschifft werden sollten. Sie gelten als Proteinbomben … Auch wenn die zukünftigen Stockfische es nicht mehr mitbekamen – sie wurden vor einer grandiosen Landschaft vom Wind geschaukelt …
Und vorwärts – auf einer Straße, deren Belag man nicht so richtig sah. Die dann folgenden letzten 11 km bis Nyksund waren spektakulär. Von der Landschaft und den Straßenverhältnissen her. Fjordzungen, steile Berge, Abgründe, an denen unsere Straße vorbeiführte. Die Straßenverhältnisse waren eine Steigerung der bisher befahrenen Überlandstraße. Richtig eng; zum Glück nicht zahlreich entgegenkommende Fahrzeuge wurden im Schritttempo passiert.
Zunächst fuhren wir auf einer vom Schnee mit Schneefräsen grob befreiten Asphaltstraße; das letzte Stück war eine mit fest gefahrener Schneedecke bedeckte Schotterpiste. Unser Fahrer schaffte die Schneedeckenfahrt mit Bravour – die ersten Vorboten von Nyksund tauchten auf. Wir erreichten das Ende der Welt. Nicht zum ersten Mal während dieser Kreuzfahrt. Die Straße endete in Nyksund. Wer hier Großstadtflair suchen sollte, wäre fehl am Platze. Einsamkeit war nicht nur im Winter Trumpf. Bei unserem Besuch gab es einen enormen Bevölkerungszuwachs. Recherchen ergaben, dass in diesem Fischerort zwischen 15 und 24 feste Einwohner lebten … Aber die Begrüßung durch die bunten Fischerhäuser – übrigens weit mehr als Einwohner - hatte schon ´was …
Die Holzbauten wurden in den letzten Jahren – wie in Norwegen üblich – liebevoll renoviert. Außerdem fielen einige Betonzweckbauten auf, die bereits bessere Zeiten gesehen hatten und in die noch viel Arbeit gesteckt werden musste. Auf einer Anhöhe überragte eine Holzkirche sämtliche Häuser des Dorfes. Das Gotteshaus war vor Jahrzehnten in das Eigentum der Kommune übergegangen. Es fehlte mit Sicherheit die nötige Anzahl von Schäfchen … Wie wir später feststellten, verfügte Nyksund außerdem über ein Café, einen bei unserem Besuch geschlossenen Landhandel und Touristenunterkünfte.
Nicht mehr … Aber in diesem Ort fanden wir einen Teil des ursprünglichen Norwegens. Auch wenn keine „Ureinwohner“ dort lebten. Die, die den Ort vor Jahrzehnten verlassen hatten, kamen nie zurück. Erst als Anfang der 80er Jahre ein Berliner – inzwischen aufgegebenes – sozialpädagogisches Projekt Leben in den Ort brachte und sich Aussteiger wie z.B. Künstler und auch Kinder der „Ureinwohner“ ansiedelten, gab es einen kleinen Aufschwung. Wenn der Tourismus nicht wäre, müssten sich die jetzigen Bewohner Gedanken machen, wie sie ihren Lebensunterhalt anderweitig finanzieren müssten. Viele Möglichkeiten waren nicht vorhanden … Aber es ist mehr der Sommertourismus, der die Kassen klingen lässt – im Winter herrscht hier tote Hose, wie es uns bestätigt wurde.
Unser Bus hielt vor dem Ort. Also raus, Beine vertreten und die ersten Fotos geschossen. Das optimale Fotoobjekt in Norwegen: Haus in einer windgeschützten Senke ohne Nachbarn in unmittelbarer Nähe.
Den Weg in die „City“ konnten wir nicht verfehlen. Es gab nur einen …
Alles war anders als gewohnt. Das Hinweisschild. Spielende Kinder – langsam! Der Ausguck am Rande der Straße mit Blick über die Fjordzunge. Das Auto meines Namensvetters Joachim. Ein Elektriker mit einem echt norwegischen Vornamen. Ein Aussteiger, der aus Deutschland flüchtete? Auf der anderen Hafenseite ein Fischer-U-Boot. Ob es auf den Sommer und damit bessere Zeiten wartete?
Das Foto machte ich nach einem Aufschrei: „Achim, ich will das nicht!“ Aber Achim wollte …
Unberührter Schnee zwischen den bunten Holzhäusern. Wir zeigten Flagge – unsere Spuren im Schnee …
Ein aufgehängter Anker vor den alten, z.T. renovierungsbedürftigen Fischerhäusern.
Weit hinter uns schneeweiße Berge und eine Wetterentwicklung, die nicht Gutes versprach. Auf der anderen Seite des Hafens neue, bunte Häuser. Der Weg
und die Fahrt über die enge und glatte Straße begann. Von Myre aus mit dem vor der Schule aufgebauten Walmodell genossen wir eine andere Strecke als auf der Hinfahrt. Zunächst fuhren wir quer über die Insel Richtung Alsvåg. Dort erreichten wir wieder das Nordmeer,
das wir für eine kurze Zeit wieder verließen. Wir fuhren durch ein Tal. So ganz am Rande erkannten wir, dass sich in dieser Gegend auch Leben zeigte … Schneeschafe …
Wir ließen sie in Ruhe und stießen wieder auf das Meer. Panoramen unter blauem Himmel tauchten vor uns auf …
… vom Allerfeinsten! Wir hätten noch stundenlang weiter fahren und die Landschaft genießen können … Aber alles Schöne hatte wie immer ein Ende und vor uns tauchte die Brücke von Sortland auf.
Nach einem wie üblich kargen Mittagessen verließen wir unsere AIDAcara, um uns in Sortland ein wenig umzuschauen. In der Gemeinde Sortland leben knapp über 10.000 Einwohner. Beschäftigung finden sie im Fischfang incl. Weiterverarbeitung; außerdem in der Landwirtschaft und im Tourismus. Lt. Tante Wicky verfügt der Ort über ganze vier Sehenswürdigkeiten. Sie waren unser Ziel! Wir begannen bei einem um die letzte Jahrtausendwende ins Leben gerufenen Kunstprojekt, nicht als die Sehenswürdigkeit bei Tante Wicky gewürdigt. Um mehr Aufmerksamkeit in der Weltöffentlichkeit zu erregen, plante man, die Häuser der Stadt in verschiedenen Blautönen anzustreichen: Sortland, die blaue Stadt. Das erste blaue Haus sahen wir in unmittelbarer Nähe der Hauptstraße; es färbte allerdings nicht voll auf die Nachbarhäuser ab.
Unbewusst wandelten und schlidderten wir auf der ersten Sehenswürdigkeit, der Einkaufsstraße von Sortland bzw. auf den dazugehörigen Bürgersteigen. Auf der Straße zu gehen war nicht angebracht. Zum einen aufgrund des immensen (?!) Autoverkehrs, zum anderen aufgrund der von der Schneeschmelze verursachten, teilweise 25 cm tiefen Überschwemmungen, da der Wasserablauf wegen der noch immer vorhandenen, zumindest nächtlichen Frostperioden nicht gewährleistet war. Und bei passierenden Autos spritzte es … je nach Geschwindigkeit nicht nur minimal … Ach ja, wir machten keine Fotos von der Einkaufsstraße. Mangels Attraktivität lohnte es sich nicht. Die AIDA-Passagiere brachten immerhin ein wenig Leben in die Ortschaft. Mit Einkaufen war´s aber nichts, denn an diesem Ostermontag hatte nur ein Geschäft geöffnet …
Kommen wir zur zweiten Attraktion – dem alten Kirchturm aus dem 14. Jahrhundert. Die Nordlandluft musste ihn unheimlich gut konserviert haben – so vollendet, wie er aussah. Er erhob sich neben einem nicht blau gestrichenen Gebäude aus dem hohen Schnee, der Marco zu eleganten Bewegungen inspirierte.
Unmittelbar neben dem alten Kirchturm stand ein blutrot gestrichenes Holzhaus mit blauer Tür (!). Bewacht wurde es von einem Schneemann und von aus dem Schnee ragenden Kreuzen des alten Friedhofs. Nicht weit war es bis zur dritten offiziellen Sehenswürdigkeit – der 1901 eingeweihten Kirche. Ich kämpfte mich durch den Schnee bis zu den Türen. Verschlossen! Ob die klerikalen Beschäftigten noch immer weiß gefärbte (?) Ostereier im Schnee suchten???
Nicht als Attraktion bewertet wurde eine Statue. Kjetil Paulsen wurde ein Denkmal gesetzt. Er hielt 20 Jahre lang die Straßen von Sortland sauber. Sachen gibt´s …
Das war´s an Auffälligkeiten in diesem Ort. Oh, eine habe ich unterschlagen. Das vierte Highlight, nämlich die den Hadselfjord querende Brücke.
In ihre Richtung stapften wir. Durch hohen Schnee. Und schauten auf Hinnøya. Ganz nett sah es auf der anderen Seite des Fjords aus.
Schneebedeckte Berge unter prächtigem Himmel, bunte Häuser, Wälder.
Nicht weit von unserem Schiff war eine Künstlerin tätig. Mit diesem Schneewuffi bedankte sich unsere Mitreisende aus Düsseldorf, dass sie die schöne Inselgruppe der Vesterålen besuchen durfte.
Das war´s dann von der Weltstadt Sortland. Und es reichte. Vor allen Dingen, da Kaffee und Kuchen lockten. Und das auf dem Außendeck des Calypso vor gigantischer Kulisse auf der einen Seite.
Die andere Seite vernachlässigten wir mehr oder weniger, da nur der Blick auf die Kirche attraktiv war. Wir blieben noch lange an Deck und saugten die unbeschreiblich schöne Landschaft ein. Wann würden wir sie wiedersehen? Wenn überhaupt? Wir wollten und wollen noch immer …
Am späteren Nachmittag wurde es schattiger.
Schade, dass das Öffnen der Restaurants und sail-away Sortland zusammenfielen. An diesem Tag war es nicht so schlimm, denn wir ergatterten einen Tisch direkt am Heck und konnten so das langsame Verlassen von Sortland verfolgen. Besonders schön war, dass wir lange zwischen den Inseln der Vesterålen-Gruppe dahinglitten – ein weiteres Naturschauspiel! Ab und zu liefen wir in die Kälte auf Deck 10, um einige Fotos zu schießen.
Nach dem Essen trafen wir uns dick eingemummelt an der Calypso-Bar. Es gab einen Grund zum Anstoßen!
Um uns herum war es besonders schön: Die Bergwände der Vesterålen begleiteten uns lange.
Auch als wir das offene Meer erreichten, ließen uns die Bergketten nicht alleine – allerdings nur noch auf der Backbordseite.
Und dann der Sonnenuntergang!
Die Sonnenscheibe fiel zwar nicht für uns sichtbar in das Nordmeer – aber sie bestrahlte die Bergketten und sorgte für ansprechende Farbtöne.
Vor dem Sprung in die Koje bewunderten wir die noch immer existente Eisbar auf dem Pooldeck
und wir versagten uns nicht der Pflicht, noch ein Getränk einzuverleiben. Natürlich eins für jeden … Heiße Schokolade, Glühwein und Mai Tai …
Und das war´s für diese Nacht! Oder auch nicht, denn ungefähr 23 Uhr kam eine Kapitänsdurchsage: Nordlichtalarm … Nordlichtalarm … Nordlichtalarm … Also schlaftrunken und mit dicken Augen raus aus dem Bett und hinein in die bereit liegenden dicken Klamotten gesprungen. Kamera und Stativ gekrallt. Und was sahen wir auf Deck 6? Jede Menge Mitreisende, die in den dunklen Nachthimmel starrten. Nordlichter? Nur ein Anflug und nicht mehr. Natürlich waren bei deren Auftreten unsere Kameras noch nicht bereit. Enttäuschung – da sich nichts mehr tat. Marco stiefelte auf Deck 11 – ich zurück in unsere Kabine. Und Marco hatte das Glück des Tüchtigen –
ein wunderschönes Grün am nordischen Himmel … aber das war´s dann endgültig für diese Nacht!
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