Nach einer Woche des Verwöhntwerdens und des Rundum-Sorglos-Paket-Genießens muss ich mich nunmehr wieder selbst um eine "Futterquelle" kümmern.
Ein wenig dauert es, bis sich das nächste Kreuzfahrtschiff anschickt, Kiel zu verlassen, so dass ich inzwischen zur "Fischbar" laufe, um mir dort zwei leckere Fischbrötchen zu kaufen - mein Abendbrot. Da Fisch ja bekanntlich schwimmen muss, werde ich dem Brötchenbelag nachher ein kleines "Störtebeker"-Pils gönnen. Das hat mir schon vor einer Woche geschmeckt.
Es geht letztlich doch schneller als gedacht. Während ich noch in der nicht unbeträchtlichen Schlange an der "Fischbar" stehe, kommt die MS "Astor" doch schon vorbei. Nun ja, da ich zu ihr jetzt nicht so eine "innige Beziehung" aufgebaut habe, ist es auch nicht weiter schlimm, sie nur aus der Ferne zu verabschieden.
Die gierigen Möwen, die sich schon wieder den Hals verrenken angesichts meiner inzwischen erstandenen und in eine Papiertüte verstauten Fischbrötchen, muss ich enttäuschen: Mein Abendbrot wandert in die Tiefen meines Rucksacks und ist damit für sie unerreichbar.
Auch die "Astor" verschwindet hinter den Bötchen, die man überall entlang der Kiellinie findet.
Es geht auf 19:00 Uhr zu und ich postiere mich wieder an der Kaikante der Kiellinie, denn bald ist es auch für "Costa Pacifica" an der Zeit, die Leinen loszumachen.
Ich weiß nicht, ob es anderen auch so geht, aber irgendwie fühle ich mich mit jedem den Hafen verlassenden Kreuzfahrtschiff ein wenig mehr - wie soll ich sagen?! - allein gelassen, mit weinendem Herzen und tränenden Augen. Im Sommer 2011 habe ich mich in die Kreuzfahrt verliebt. Unheilbar … Eigentlich hatte ich das damals überhaupt nicht vor. Einem Tipp des Reisebüros meines Vertrauens folgend probierte ich damals einfach mal eine neue Form des Reisens aus. Eine Reiseform, mit der ich mich im Vorfeld eigentlich nie groß beschäftigt hatte. Und das eigentlich, obwohl mich von Kind an große Schiffe immer fasziniert hatten. Doch bis zum frühen Erwachsenenalter waren sie ohnehin für mich immer unerreichbar, denn sie fuhren größtenteils in Länder, die für mich als "Kind der DDR" im wahrsten Sinne des Wortes genauso "tabu" waren wie das öffentliche Sprechen über die Programme westlicher Fernsehsender. Damals … Zu Zeiten, in denen man schon beinahe ein schlechtes Gewissen hatte, wenn man sich die Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre sehr populäre DDR-Serie "Zur See" angeschaut hatte. Und natürlich war "Das Traumschiff" des "Westsenders" ZDF von frühester Jugend an fester Bestandteil im Reisereportagen- und -filme-Repertoire. Quasi ein offiziell nicht spruchreifes "Must see". Vielleicht war es mir auch damals nur nicht bewusst, dass mit Filmen wie diesen meine Weichen für die Liebe zur Kreuzfahrt schon längst gestellt waren …
Wie auch immer: Seitdem genieße ich bei jedem Aufenthalt am Meer den Anblick großer Schiffe. Hier in Kiel komme ich heute wirklich voll auf meine Kosten. Auch wenn es mir lieber wäre, die Schiffe beim Einlaufen und nicht beim "Sail Away" beobachten zu können.
Während ich so meinen Gedanken nachhänge - hier an Kiellinie zwischen Blumenkübeln mit rötlichen Cannas und elfenbeinfarbenen Petunien - richtet sich mein Blick hinüber zur mächtigen "Costa Pacifica".
Auch wenn ich von meiner Position aus nicht sehen kann, ob die Leinensmänner schon ihre Arbeit verrichten, denn noch sind die Taue straff gespannt, so kann es nicht mehr lange dauern, bis das Schiff losgemacht wird, um Kurs auf die Kieler Förde zu nehmen. Die Zeiger meiner Armbanduhr signalisieren mir, dass der "Countdown" zum "Sail Away" abgelaufen ist …
Eine Möwe will mir einfach nicht von der Seite weichen. Hat sie mich vorhin etwa dabei beobachtet, wie ich die beiden leckeren Fischbrötchen in den Tiefen meines Rucksacks verschwinden lassen habe?! Kann schon sein. Ich lasse mich jedenfalls von ihrem Fiepen und ihrem scharfen Blick weder beeindrucken noch einschüchtern und tue so, als würde ich sie weder hören noch sehen.
Schließlich gibt sie auf und fliegt davon, knapp über der Wasseroberfläche der Förde, irgendwohin. Ich verfolge sie nicht weiter mit meinen Blicken, sondern wende diese wieder der großen Costa zu, die sich nun - kurz vor 19 Uhr - von ihrem Liegeplatz am Ostseekai 28 entfernt.
Was für ein majestätischer Anblick. So ein schönes Schiff. In der langsam sinkenden Sonne glänzt der Rumpf schneeweiß. Der blaue Himmel mit den weißen Wattewölkchen bietet einen perfekten Kontrast. Da ist das Blumenarrangement im Vordergrund noch das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem i.
Wohlklingend und volltönend ist der tiefe Typhonton sicher weithin in Kiel hörbar, als "Costa Pacifica" nach und nach immer mehr Fahrt aufnimmt und der Kapitän sie auf Kurs in Richtung offene Ostsee schickt.
Das nächste Traumschiff verlässt Kiel. Die Leere in meinem Herzen wird wieder ein Stückchen größer. Als würde die (neu)gierige Möwe mich etwas trösten wollen, hat sie mir anscheinend ihren wohlgenährt aussehenden Sprössling geschickt, der jetzt auf der Kaikante sitzt und herzerweichend piepsend zu mir herüberschaut. Als wolle sie sagen: "Hey, du bist nicht allein. Ich bin doch auch noch da - und mein Appetit auf Fischbrötchen ist enorm. ;-)" Okay, ich sehe schon, ich sollte das Ganze nicht SO persönlich nehmen. Sie will nur mein Bestes - in ihren Augen wahrscheinlich die beiden Fischbrötchen in meinem Rucksack.
Währenddessen taucht "Costa Pacifica" mit ihrem Bug gerade in einen dicken Klecks aus Schlagsahne ein …
So zieht sie dahin und lässt uns Sehnsuchtshungrige und Fernwehgeplagte zurück … Der Himmel trübt sich kurzzeitig etwas ein. Trüb, wie auch meine emotionale Stimmungslage gerade ist ... Gute Reise, C-Schiff! - Was mich in diesem Moment mehr begeistert, kann ich schwer sagen: das große Schiff hinter den kleinen Bötchen oder die eindrucksvolle Wolkenformation am Firmament. Schwer zu sagen … Ein Gesamtkunstwerk.
Da sich nun gerade kein Schiff vor meinem Blickfeld fotogen in Szene setzt, nutze ich eben Klein-Möwi als Fotomodell. Die lässt sich das auch bereitwillig gefallen. Wahrscheinlich hofft sie auf eine Belohnung in Form eines fischigen Snacks. Nun ja, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Zwei Schiffe liegen nun noch im abendlichen Kieler Hafen. Drüben am Ostuferkai "MSC Preziosa" …
… und rechts von mir und aus meiner Fotoposition heraus bisher unsichtbar, doch sich jetzt langsam schräg und darüber hinaus rückwärts von ihrer Parkposition entfernend, die kleine "AIDAaura".
Man könnte wirklich meinen, die einem immer ein Lächeln ins Gesicht zaubernden Kussmundschiffe der AIDA-Flotte sind in den deutschen Hafenstädten die heimlichen "Stars", die "Lieblinge" der "Sehleute" am Ufer. Immer, wenn eines der Schiffe mit den wachen Augen und dem leuchtendroten Kussmund sich anschickt, auf Reisen zu gehen, versammeln sich besonders viele Menschen am Ufer, um sie zu verabschieden. So auch an diesem Sommerabend in Kiel.
Hatte sich die Menge der Menschen um mich herum nach dem Ablegen von "AIDAluna" etwas reduziert, so wird es nunmehr wieder wuselig, während der Kapitän die Kleine rückwärts durchs Hafenbecken manövriert.
Langsam beginnt das Kussmündchen sich zu drehen, so dass auch endlich die den Schiffen so eigene Bemalung sichtbar wird und das Auge zu uns herüberblinzelt:
Und natürlich ist auch jetzt eine Möwe nicht weit, die durch ihren geschickt gewählten Landeplatz einmal mehr die Dimensionen verdeutlicht, während sich Aura und Möwe gegenseitig in die Augen sehen.
Direkt vor mir vollführt "AIDAaura" ihre "Schiffs-Pirouette".
Nunmehr in der richtigen Richtung für die Fahrt in die offene Ostsee nimmt das Kussmündchen Fahrt auf. Mit zunehmender Geschwindigkeit kriecht die Gänsehaut meinen Rücken hinauf und eine kalte Hand greift nach meinem Herzen: Wenn auch "AIDAaura" um die nächste Fördebiegung und somit aus meinem Blickfeld verschwunden ist, dann fühle ich mich gänzlich alleingelassen mit meiner Sehnsucht nach den Kussmundschiffen, die ich - kaum, dass ich unter gerade einmal rund 12 Stunden "AIDA-Abstinenz" leide - schon längst wieder hätte entern wollen, wenn ich es denn könnte.
Die Gänsehaut und die kalte Hand um mein Herz bewirken, dass sich mir wieder ein paar Tränen in die Augenwinkel stehlen.
In diesem Moment bemerke ich, wie eine neben mir stehende Frau ein Taschentuch zückt, während sie mit vielen Emotionen in der Stimme die Worte "Tschüss, meine Aura!" dem Kussmundschiff hinüberschickt. Ich kann sie so gut verstehen.
Fortsetzung folgt …
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