"Geteiltes Leid ist halbes Leid" heißt es doch so treffend. So spreche ich die Frau an. Wir blicken uns mit Tränen in den Augen an und müssen Beide etwas lächeln. Ich erzähle ihr, dass ich vorhin die gleichen Abschiedsworte an "meine" AIDAluna gerichtet hatte, die ich heute früh nach einer fantastischen Reise in mein Traumland Norwegen verlassen hatte.
Ja, es gibt da diesen Spruch … "Geteiltes Leid ist halbes Leid". Normalerweise stimmt der auch, doch das Leid, von dem mir die Frau kurz darauf erzählt, ist wesentlich größer als mein eigenes. Und es ist auch wirkliches Leid. Dagegen verblasst mein Abschiedsschmerz zur Lappalie … Die Aura war ihr erstes Schiff. Und zum ersten Kreuzfahrtschiff, das man jemals betreten hat, baut man irgendwie eine ganz besondere Beziehung auf. Das geht mir selbst nach sieben Jahren noch so, wenn ich an meine erste große Kussmundschiff-Liebe AIDAsol denke.
Ich kann gut zuhören und weiß auch, wann es besser ist, einfach mal nichts zu sagen. So bin ich still und die Dame beginnt zu erzählen, während AIDAaura sich langsam entfernt, um auch in die "Schlagsahne" einzutauchen.
Eine Reise nach Spitzbergen, eine absolute Traumreise für das Paar, erlebte sie mit ihrem Mann an Bord von AIDAaura. Etliche weitere Reisen folgten. Doch nunmehr soll es keine gemeinsamen Erlebnisse mehr geben, denn ihr Mann ist an dieser verdammten Krankheit Krebs gestorben. Seitdem kommt sie, so oft es, hierher, um wenigstens den AIDA-Schiffen hinterherwinken zu können. Sie wohnt nicht so weit weg, steigt an schönen Tagen in den Zug und fährt in die Landeshauptstadt, um hier von der Kiellinie aus ihren Gruß an die ablegenden Kussmundschiffe zu schicken. Sie vermisst diese schönen Zeiten mit ihrem Mann an Bord sehr. Doch niemals hätte sie den Mut, so wie ich allein ein Kussmundschiff zu betreten.
Als wäre mein Kloß im Hals nicht schon groß genug, erzählt sie mir daraufhin, dass auch sie mittlerweile an dieser Geißel der Menschheit - dieser Krankheit, für die es viel zu oft noch keine Heilung gibt - leidet. Ich weiß nicht, was ich sagen soll, bin derart betroffen. Die arme Frau. Am liebsten würde ich sie einfach mal in den Arm nehmen, diese für mich völlig fremde Frau, die mir ihr Herz geöffnet hat, doch ich traue mich nicht. Wenigstens nehme ich ihre Hand und drücke sie.
Gemeinsam und nunmehr schweigend schauen wir AIDAaura hinterher. So verschwindet auch sie langsam aus unserem Blickfeld, aber nicht aus unseren Herzen.
Es geht auf 19:30 Uhr. Sie fragt mich, ob wir noch ein Stück des Weges zurück in Richtung Bahnhof gemeinsam gehen. Gern willige ich ein. Nicht nur die Frau muss zu ihrem Zug. Auch ich möchte langsam zurück in mein Hotel. Der Tag war lang und ereignisreich. Ich glaube, es tut ihr gut, noch jemand zum Reden zu haben. Und ich würde sie nach ihrer traurigen Geschichte, die sie mir erzählt hat, jetzt ungern allein lassen.
Wir kommen am Aquarium GEOMAR vorbei und schauen kurz, ob sich die Seehunde heute Abend noch zeigen. Und tatsächlich: Wir sehen sie! Wie schön! Ich mag diese putzigen Tiere, bewundere die pfeilschnelle Geschwindigkeit, die sie in ihrem Element - dem Wasser - zurücklegen können.
"Big Robby is watching you …"
Als wir unsere Blicke von den kleinen Seehunden abwenden, bemerken wir, dass sich hinter uns mittlerweile etwas Großes in Bewegung gesetzt hat … Etwas ganz Großes … Und momentan auch noch relativ langsam: Der Kreuzfahrtkoloss "MSC Preziosa" schickt sich an, seinen doch etwas im Abseits befindlichen Liegeplatz am Ostuferkai wieder sich selbst zu überlassen. Und erstmals kann ich einen ungehinderten Blick auf die volle Größe dieses Potts werfen. Einfach nur: WOW! Zwar bin ich zwischenzeitlich auch schon mit AIDAprima gereist, aber diese "Insel der Glückseligen" ist abermals 33 Meter länger.
Ausparken möchte ich so ein großes Schiff nun wirklich nicht. Und dann auch noch rückwärts, so wie es der Kapitän dieses "Mediterranean Shipping Company"-Schiffes gerade tut. Ich frage mich nur gerade ganz besorgt, wo denn hier eigentlich so viel Platz sein soll, dass diese 333 Meter tatsächlich "auf dem Teller" gedreht werden sollen?!
Es scheint zu gelingen, was wir am kurz darauf beginnenden und sich einige Zeit hinziehenden Wendemanöver erkennen können. Gebannt beobachten wir und etliche andere Schaulustige, die teilweise scheinbar mitten im Flanieren erstarrt zu sein scheinen und wie wir ihren Blick nicht abwenden können, diese etwas bizarr wirkende Szenerie.
Die Proportionen scheinen irgendwie verschoben und nicht so ganz zu passen. Dieser Koloss, der sich scheinbar wie von Geisterhand direkt hinter den kleinen Bötchen samt gerade einmal streichholzgroß wirkenden Takelagen im Schneckentempo um seine Achse dreht …
Es ist so ein imposanter Anblick. Allein von der Größe her rangiert das "Sail Away" von "MSC Preziosa" bei mir persönlich an diesem Abend eindeutig auf Platz 1.
Wie auch schon ihre Vorgänger (oder eigentlich "Vorgängerinnen"?!) verschwindet auch dieses schöne Schiff nach und nach hinter den die Kiellinie säumenden Bäumen.
Noch ganz beeindruckt vom soeben Erlebten bummeln wir schließlich und endgültig in Richtung Bahnhof zurück. Die Traumschiffe dieses Tages haben Kiel verlassen. "Große Pötte" gibt es heute nicht mehr, nur noch die unzähligen - der "Sailing City" ihren Beinamen gebenden - kleinen Bötchen bleiben zurück. Die Takelagen singen ihr eigenes Lied im lauen Lüftchen dieses Kieler Sommerabends.
Sehr gern komme ich der Bitte meiner netten, vom Schicksal so schwer gebeutelten Begleiterin nach, ihr von meiner Norwegentour mit AIDAluna zu erzählen. Sie möchte so viel wissen. Welche Route ich gefahren bin … Wo ich generell mit AIDA schon überall war ... Mit welchen Schiffen ich bereits gereist bin ... Wie es jetzt auf den Schiffen ist …Man fühlt den Lebenshunger, den sie hat - garantiert immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass die ihr noch zur Verfügung stehende Zeit begrenzt ist. Wie grausam das Leben doch zuschlagen kann.
Wie mit einem Goldschleier überzogen präsentiert sich das Cruise Terminal am Ostseekai in der tiefstehenden Abendsonne. Ein Moment, den ich einfach festhalten muss:
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Während wir in gute Gespräche vertieft sind, aber auch über "Gott und die Welt" plaudern, kommen wir bereits am kleinen Museumshafen an, über den sich abendliche Ruhe und Friedlichkeit gelegt haben. Die ersten Angler packen ihr Equipment aus - in der Hoffnung auf den großen Fang an diesem Abend?! Aber bestimmt sind sie auch schon mit "kleinen Fischen" zufrieden. Die passen wenigstens in die Pfanne.
Auch über die Fenster der Gebäude am anderen Fördeufer scheint die Abendsonne eine Goldfolie gespannt zu haben …
An dieser Stelle zeige ich meiner Begleiterin, wo ich eine Woche zuvor übernachtet habe - mitten im Rotlichtviertel. Ich erzähle ihr meine Episoden aus "Schlaflos in Kiel".
Hinter einem hohen Zaun strahlen die getönten Scheiben des Abfertigungsgebäudes am Nowegenkai mit der sinkenden Sommersonne um die Wette. Ein toller Anblick.
Meine Begleiterin fragt mich, ob ich nicht darüber nachdenke, mein großes Hobby (von dem ich ihr erzählt habe) - die Fotografie - zum Beruf zu machen. Während unseres Bummels in Richtung Bahnhof staunt sie immer wieder, welche ungewöhnlichen Fotomotive und vielfältigen Stimmungen ich einfange. Das freut mich natürlich.
Und so halte ich dann auch diesen goldenen, elfbuchstabigen Schriftzug im Bild fest.
Schließlich erreichen wir den "Platz der Kieler Matrosen", einen dem aus dem Jahr 1910 stammenden historischen Bahnhofsgebäude vorgelagerten Platz. An diesem historischen Ort trennen sich unsere Wege, die der Zufall zusammenführte - wegen der Liebe zur Kreuzfahrt.
Ich wünsche der Frau, die mir so unglaublich Leid tut, alles Gute. Der Abschied stimmt mich wehmütig. Ich kenne ihren Namen nicht, doch ich kenne einen Teil ihrer Geschichte, einen traurigen Teil ihrer Geschichte, die mich an diesem Abend lange nicht loslässt. Es war eine jener vielen flüchtigen Begegnungen, die man im Laufe seines Lebens erlebt. Und dennoch hat mich die Geschichte dieser Frau tief erschüttert. Ich weiß, dass ich sie niemals wiedersehen werde. Auch wenn das ja bei vielen Zufallsbekanntschaften so ist, es gibt Menschen, die bleiben einem dennoch immer im Gedächtnis.
Ich kann noch nicht sofort in mein Hotel zurückkehren. Nach dem Erlebten muss ich erst einmal tief durchatmen und mich sammeln. So bummele ich nochmals in Richtung Bahnhofsbrücke oder vielmehr "Hörnbrücke". Jene Brücke, die in drei Glieder gefaltet werden kann, um größere Boote in den "Germaniahafen" oder aus Richtung desselbigen durchzulassen.
Letzte Sonnenstrahlen brechen sich in den Scheiben des Hochhauscenters und lassen es gleich viel freundlicher erscheinen.
Gegen 20:45 Uhr bin ich schließlich zurück auf meinem schönen Hotelzimmer mit dem fantastischen Ausblick auf Förde und Schiffe. Jeder Euro, den ich für diesen Ausblick zusätzlich zum Zimmerpreis bezahlt habe, ist es wert. Ich nehme mir ein Kissen, setze mich etwas auf eines der breiten Fensterbretter, lehne mich an den Rahmen und genieße die Szenerie. Nein, nein, keine Sorge, hierbei gehe ich kein Risiko ein. Schwindelfrei bin ich nicht, von daher halte ich respektvollen Abstand von der Tiefe unter meinem Fenster.
Der berühmte "kleine Hunger" erinnert mich daran, dass in den Tiefen meines Rucksacks ja noch mein maritimes Abendbrot wartet. Bismarckhering in Rotwein und Goldrauchmatjes warten darauf, im "Störtbeker"-Pils zu schwimmen, das ich etwas mische mit dem Mineralwasser aus meiner AIDA-Kabine. Dazu - wegen des schöneren Ambientes - zwei gelbe Rosenblüten, die ich mir aus meinem bis zum letzten Tag an Bord noch frischen Kabinenblumenstrauß aus dem "Blütenmeer" mitgenommen habe.
Dämmerung und Abendfrieden senken sich über Kiel. Satt und zufrieden bin ich, mit meinen Gedanken jedoch nach wie vor bei meiner Bekanntschaft von heute Abend und natürlich bei "meiner" AIDAluna, die sich mit jeder Seemeile erneut meinem geliebten Norwegen nähert (… ohne mich … Leider …)
Ich nehme wieder meinen Fensterplatz ein und beobachte, wie sich nach und nach das Lichtermeer über der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt ausbreitet.
Dem Germaniahafen und den kleinen blau-weiß-gelben Fördedampfern gilt einer meiner letzten Blicke des heutigen Abends.
Ich bin müde. Kein Wunder, es ist schon spät. Dankbar und froh darüber, morgen noch einen weiteren Tag am Meer erleben zu dürfen, schlafe ich schließlich ein, während durch das weit geöffnete Fenster die laue Nachtluft strömt.
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