Leider haben wir das schöne Wetter aus Dublin nicht mitbringen können. Es ist ziemlich zugezogen und so wird die Tristesse des Industriehafens von Belfast durch den bedeckten Himmel eher noch verstärkt. Im Hafengebiet befindet sich die Werft „Harland & Wolff“. Sie wurde 1862 gegründet und war zwischen 1900 und 1930 mit bis zu 30.000 Werftarbeitern der größte Arbeitgeber der Stadt. Zu dieser Zeit war Belfast führend im Schiffbau, besaß das weltgrößte Trockendock und fertigte für die „White Star Line“ über 70 Schiffe. So lief hier am 31. Mai 1911 die „RMS Titanic“ vom Stapel.
Als die wohl bekanntesten Wahrzeichen Belfasts ragen die beiden höchsten freistehenden Portalkräne mit 106 m bzw. 96 m in den Himmel: „Samson“ & „Goliath“. Die beiden Kräne wurden 1969 und 1974 von Krupp gebaut, also erst als der Schiffbau schon kränkelte und subventioniert werden musste. Das letzte Schiff wurde 2003 in Belfast gebaut.
Ein weiteres Wahrzeichen neueren Datums ist der „Iceberg“, das Titanic Museum, wo man in neun Ausstellungen etwas über die Geschichte des berühmten Passagierschiffs erfährt. Man kann hier leicht mehrere Stunden verbringen.
Wir haben heute aber ein anderes Ziel. Gemeinsam mit A&O nehmen wir nach dem Frühstück den Shuttle, der uns in der Innenstadt am Donegall Square absetzt. Das markanteste Gebäude ist hier das mächtige Rathaus aus dem Jahre 1906. Belfast ist Nordirlands Hauptstadt und ist mit 342.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt der irischen Insel.
Im Reiseführer wird ein Besuch des „St. George’s Market“ unbedingt empfohlen. Da die historische Markthalle aus dem 19. Jh. ein klein wenig abseits der Besichtigungspfade durch die Innenstadt liegt, machen wir uns als erstes in ihre Richtung auf. 2014 wurde sie von der „National Association of British Market Authorities“ zur besten Markthalle des vereinigten Königreiches gekürt. Sie ist am Freitag, Samstag und Sonntag geöffnet.
Es ist Freitag, so um die frühe Mittagszeit, und der gemischte Markt ist recht gut besucht. Man findet Stände mit Obst und Gemüse aus der Region, mit frischem Fisch, Muscheln und anderem Getier, mit eingelegten Leckereien, mit verführerisch gut riechenden Backwaren, mit selbstgemachten Marmeladen und Chutneys, mit bunter Kleinkindermode und mit Büchern, Antiquitäten und anderer Kunst. Außerdem macht ein Barde mit seiner Klampfe ganz nette und unaufgeregte Musik. Eine Erholung für meine Ohren, wenn ich so an unseren DJ an Bord denke.
Und natürlich mit jeder Menge an Essensständen, wo die einladenden Gerüche mich fast überwältigen. Fast. Da wir im Prinzip gerade vom Frühstück kommen, werden alle meine kulinarischen Gelüste von meiner Mitreisenden im Keim erstickt. Aber nach einem anderen Prinzip, hätte man doch wenigstens probieren können. Ist schon nicht einfach so ein Leben, wenn die Kalorien an jeder Ecke lauern und einen verführen wollen.
Nachdem wir den Markt verlassen haben, laufen wir auf der Victoria Street nordwärts, vorbei an den „Royal Courts of Justice“, die zwischen 1928 und 1933 bewusst in einem traditionellen Architekturstil erbaut wurden, um die Würde des Gesetzes widerzuspiegeln. Ein Stückchen weiter am Victoria Square, erreichen wir die „Bittles Bar“, eine urige Kneipe mit dreieckigen Barraum. Aber auch für ein Bier ist es noch zu früh.
Davor steht der Trinkbrunnen „Jaffe Memorial Fountain“, der an den 1809 in Schwerin geborenen jüdischen Geschäftsmann, Politiker und Philanthropen erinnert. Daniel Joseph Jaffe gründete die Firma Gebrüder Jaffe, die in Hamburg, Dundee, Belfast, Leipzig und Paris Geschäftssitze unterhielt und die hier in Ulster den Leinenhandel, einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor der Region, förderte. Die Leinenindustrie war im 17. Jh. von den aus Frankreich vertriebenen Hugenotten aufgebaut worden.
In einer Seitenstraße sehen wir ein Graffiti von einem Hund, dem ich nicht unbedingt in natura begegnen möchte.
Wir folgen der Victoria Street bis zur Ecke High Street, wo auf der anderen Seite am Queen’s Square die „Albert Memorial Clock“ steht, Belfasts Antwort auf den „Schiefen Turm von Pisa“. Die Turmuhr wurde 1865 zu Ehren von Prinz Albert, dem verstorbenen Prinzgemahl der damaligen englischen König Victoria, errichtet, leider aber auf trockengelegtem Marschland, so dass sich der Turm auf dem wenig stabilen Untergrund immer mehr neigte und schließlich um mehr als einen Meter von der Lotrechten abwich. 2002 wurde die Uhr renoviert und die Neigung gestoppt.
Wir biegen ab in die High Street, die in den Castle Place übergeht, wo an der Ecke zum Donegall Place das imposante Gebäude „The Bank Buildings“ steht. Leider ist mein Bild vom 12. Mai 2017 ein historisches Foto, da das Gebäude am 28. August 2018 im Rahmen von Renovierungsarbeiten ziemlich stark zerstört werden wird. Die Wiederaufbauarbeiten werden noch bis mindestens 2022 andauern.
Nebenan am Donegall Place befindet sich ein Schuhladen von Clarks. Nun sind die beiden weiblichen Mitglieder unserer Truppe nicht mehr zu halten. Am Ende der Straße sehen wir wieder das Rathaus, so dass sich der erste Kreis hier schließt.
Aber etwas fehlt noch: Kultur. Erst einmal die Oper von Belfast, das „Grand Opera House“. Es wurde 1895 von dem Architekten Frank Matcham entworfen und ist heute Nordirlands wichtigstes Theater. Sogar der amerikanische Präsident Eisenhower war hier zum Ende des 2. Weltkrieges zu Gast. Nachdem es von 1961 bis 1972 als Kino diente und fast abgerissen werden sollte, wurde es 1974 unter Denkmalschutz gestellt und 2006 grundrenoviert, so dass es heute in seinem vollen Glanz erstrahlt.
Und dann ist da noch die Pubkultur. Der „Crown Liquor Saloon“, der 1826 in einem luxuriösen Barockstil erbaut wurde, ist der älteste Pub Nordirlands und befindet sich auf der anderen Straßenseite in unmittelbarer Nähe. Er verdankt seine kunstvollen Fliesen, Glasmalereien und geschnitzten Holzvertäfelungen italienischen Handwerkern, die zum Kirchenbau nach Belfast geholt worden waren. Der „Crown Liquor Saloon“ war einer der schönsten viktorianischen Gin-Paläste seiner Zeit. Also ist es kein Wunder, dass wir als ausgewiesene Kunstkenner ins Schwärmen geraten. Leider gibt es in den mit buntem Glas verzierten Séparées, den „Snugs“, die durch halbhohe Wände voneinander getrennt sind und auf weichen Ledersitzen dem unerkannten Verzehr dienen, keinen Platz für uns.
Aber auf der gegenüberliegenden Seite liegt die Rettung so nah und wir bekommen in der „Brennans‘ Bar“ unser nach so viel Kultur wohl verdientes Pint of 13 Hop House Lager direkt aus dem Zapfhahn.
Nach einem zweiten Pint beschließen wir, dass es für heute reicht und so kehren wir mit dem Shuttle zu unserem Schiff zurück, in dem Wissen, dass wir beim nächsten Besuch Belfasts noch viel mehr zu entdecken haben.
Heute Nacht überqueren wir die irische See und legen am Morgen bei ganz fürchterlichem Wetter im Containerhafen von Greenock an. Die Stadt hat ca. 45.000 Einwohner und liegt in der traditionellen schottischen Grafschaft Renfrewshire südlich der Mündung des Clyde in den Firth of Clyde, etwa 40 Kilometer westlich von Glasgow. James Watt, den wir alle im Zusammenhang mit der Steigerung des Wirkungsgrades der Dampfmaschine kennen, wurde hier 1736 geboren.
Zum Glück haben wir schon im Vorfeld unsere individuellen Ausflugsmöglichkeiten mit dem Zug nach Glasgow und/oder weiter sogar bis nach Edinburgh aufgrund eines sehr knappen Zeitplans verworfen gehabt. So schauen wir erst einmal sehr vorwurfsvoll in Richtung Petrus und gehen dann in Ruhe zum Frühstück.
Am späten Vormittag verlassen wir die AIDAvita, um die „Highlights“ von Greenock zu erkunden: ein kleines Shoppingcenter „The Oak Mall“ und regennasse Straßen.
In einer Unterführung finden wir ein nettes Mosaik mit der Skyline von dem Ort. Da die oberen Kacheln hellblau sind, scheint es hier auch manchmal schöneres Wetter zu geben. Heute nicht, also durchnässt zurück aufs Schiff. Müßiggang kann auch ganz nett sein, zumal uns heute Abend das Selection Restaurant noch zu einem sechsgängigen Whisky-Menü erwartet.
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