
Noch immer der 8. Juli 2017 - St. Petersburg
19.30 Uhr trafen sich 7/10 der Zehnerband vor dem Schiff. Der Abendausflug mit Olga und Igor begann. Zügig erreichten wir die Innenstadt und passierten den legendären Eisbrecher „Krassin“. 1917 lief er vom Stapel und wurde – passend zur Jahreszahl – nach dem Bolschewiken und Wirtschaftsexperten Leonid B. Krassin benannt. 1919 „sackten“ die Engländer in den Wirren des Bürgerkrieges das Schiff ein; bis zum Beginn seines Ruhestandes bahnte er mit seinen Bärenkräften den Weg durch ansonsten undurchdringliches Eis. Richtig bekannt wurde der Eisbrecher, nachdem er 1928 das Expeditionsteam des Italieners Nobile aus der Packeisnot bei Spitzbergen rettete.
Über die Blagoveshchenskij-Brücke kamen wir dorthin, wo das Leben spielte. Am English Embankment befand sich ein Haus, in dem für viele - nicht für alle -das Glück begann. Das Standesamt … zu dieser späten Stunde war allerdings nichts mehr los. Die an diesem Tage ihr Glück fanden, feierten …
Unser Bus hielt dort, wo man tagsüber eine unnatürlich lange Menschenschlange bedauern konnte. Als wir dort – an der Blutkirche ankamen – wartete niemand vor dem Eingangsportal.
Kein Wunder, denn wir kamen außerhalb der normalen Besichtigungszeiten an. Während unserer Ankunft wurde gerade eine Messe abgehalten. Kein Problem – auch von außen gab es genug zu fotografieren, während Olga die Eintrittskarten besorgte.
13. März 1881 – der im Gegensatz zu seinen Vorgängern reformfreudige Zar – Alexander II wollte zu seinem Winterpalast zurückkehren, als eine Bombe in seine Kutsche geschleudert wurde. Er wurde nur leicht verletzt und kümmerte sich um die Verletzten seiner Leibgarde. Doch eine zweite Bombe wurde ihm zum Verhängnis. Alexander II wurde schwer verletzt, in den Palast gebracht, wo er kurz darauf starb. Alexanders Sohn ließ an dem Ort des Attentats 1883 eine Kirche bauen. Genauer geschrieben eine Gedenkstätte mit unterschiedlichen Bezeichnungen: Sie ist auch als Erlöserkirche bzw. Auferstehungskirche bekannt. Stilistisch unterscheidet sie sich von den damals üblichen neuen Kirchenbauten. Man wandte sich dem Altrussischen zu – farbig, verspielt, viele Kuppeln.
Der russische Doppeladler durfte natürlich auch nicht fehlen. Nun aber rein – und o Wunder – es war für eine der Hauptattraktionen der Stadt relativ wenig los. Es gelangen sogar ab und zu Fotos ohne dass Personen im Bild standen! Auch der Rest der Bande hielt sich zurück.
Unglaublich, was in dieser Gedenkstätte geschaffen wurde! Ein Mosaik, das 7.000 m² im Inneren und z.T. im Außenbereich bedeckt. Eine Farbenpracht, die von oben auf uns herunterstrahlte.
Nicht, dass wir steife Halse bekamen – aber wir waren kurz davor. Wir mussten immer wieder die Kuppelmosaiken bewundern. Genauso prächtig war die Ikonostase, der in Orthodoxen Kirchen den Gemeinde- vom Altarraum trennt.
Die Beleuchtung wurde durch prächtige Kronleuchter gewährleistet.
Wir wussten teilweise nicht, was wir uns als Nächstes anschauen sollten. Eine Pracht, wie wir sie von unseren Kirchen nicht gewohnt waren.
Vollgestopft mit unermesslichen Eindrücken kamen wir an der Stelle vorbei, an der Alexander II dem Attentat zum Opfer fiel.
Wir hatten genügend Zeit, uns in der Blutkirche umzuschauen. Aber wir hatten noch mehr vor – wir fuhren zum Schlossplatz. Leider war der Jagd nach guten Fotografien Grenzen gesetzt: Am nächsten Tag fand in St. Petersburg der von einer deutschen Versicherungsgesellschaft gesponserten Marathonlauf statt. Aus diesem Grunde gab es auf dem Schlossplatz jede Menge Absperrungen, Bühnen und Versorgungsbuden, die den Blick auf die meisten Sehenswürdigkeiten versperrten. Nun gut – einige Schnappschüsse gelangten. Wie z.B. auf das Hauptquartier des Generalstabs.
Nach der Fertigstellung im Jahr 1823 waren in einem Flügel des insgesamt 580 m langen halbrunden Prachtbaus der russische Generalstab, im anderen das Außenministerium beheimatet. Aktuell sind in ihm das Hauptquartier der russischen Armee und ein Teil der Eremitage untergebracht.
Hinter dem rechten Flügel des Hauptquartiers schaute die Kuppel der Isaaks-Kathedrale auf uns herab. Wo der Generalstab untergebracht war, durfte die Admiralität nicht weit sein. Wir wurden anhand der goldenen, in den Himmel stechenden Nadel darauf aufmerksam gemacht.
Zu guter Letzt bannten wir die Alexander-Säule auf unsere Speicherchips. Mit ihr ehrte Nikolaus I seinen Vorgänger Alexander I für seinen Sieg über Napoleon. Die Höhe von 47,5 m mit einem massiven, rd. 600 t schweren Granitmonolith hatten eine immense Standfestigkeit als Voraussetzung. Kein Problem für die damaligen russischen Ingenieure – sie mischten bei dem als Unterbau dienenden Sockel Beton mit Wodka …
Es wurde Zeit, zu der Anlegestelle der Ausflugsboote zu fahren. Also auf ins Boot. Wir besetzten unsere Stammplätze in der Ohschän-Bar und da es frisch war, wickelten wir uns in wärmende Decken. Die Wärme von außen war also gewährleistet – für die innere wurde später gesorgt … Doch zunächst kam ein wenig Bewegung ins Spiel – die Seenotrettungsübung begann! Spitze – alle Mitreisende waren pünktlich zur Stelle – ich auch!
Dann ging´s los bei optimalem Lichtverhältnissen. Einfach nur schööööööööööön – das, was am gegenüberliegenden Ufer zu sehen war. Der Eingang zur Admiralität auf der Newa-Seite, daneben der Winterpalast.
Die Isaakskathedrale mit schamhaft (?) verhüllter Kuppelspitze.
Auf der anderen Seite der Newa die Kunstkammer, hinter deren Kuppel die untergehende Sonne Strahlen in unsere Richtung schickte. Noch recht weit vor uns die Peter-und-Paul-Kathedrale – die Grabkirche der russischen Zaren seit dem 18. Jahrhundert.
Dann wurde es richtig spektakulär. Mit der Sonne ging´s bergab – doch sie wehrte sich zu unserem Glück noch lange. Aber sie setzte die Rostral-Säulen und die Flutlichtanlagen des Petrovsky-Stadions ins rechte Licht.
Einige der nicht wenigen Kuppeln auf der Wassiljewski-Insel. Dann noch einmal die Peter-und-Paul-Kathedrale auf der Haseninsel. Die von der untergehenden Sonne vergoldeten Gebäudekomplexe am Palastdamm.
Inzwischen tat uns die Sonne den Gefallen, noch tiefer zu sinken und die Konturen der Türme auf der Haseninsel zu umhüllen. Segelschoner hatten während unseres Aufenthaltes St. Petersburg besucht und zwischen Hasen- und Wassiljewski-Insel angelegt. Welch ein Einblick …
Noch einmal lugte die Sonne zwischen den Bäumen hindurch – Konnte es schöner sein? Vor uns baute sich ein Hindernis auf. Die Troitskiy-Brücke. Auch herrlich von der Sonne angestrahlt. Köpfe einziehen? Nicht notwendig … Immer wieder staunten wir, wie auch nicht sehr prächtige Gebäude von der untergehenden Sonne stark verschönert wurden.
Unserem Kapitän wurde es anscheinend auf der Newa zu voll. Jede Menge gut besetzte Ausflugsboote mit fröhlichen Passagieren. Wir bogen ab in einen Seitenarm der Newa und fuhren eine kurze Zeit auf der Fotanka. In der vorsowjetischen Zeit war es eine bevorzugte Wohngegend des damaligen Adels. Man hatte ja sonst nichts … Der Adel feierte – natürlich nur unter sich. Auch an diesem Abend wurde in St. Petersburg gefeiert. Auch unter sich. Und über uns – auf einem Balkon:
So, wie es sich gehörte. In Abendgarderobe. Mit Schampus. In Gläsern aus echtem Glas. Wir feierten unten in der Ohschän-Bar mit. Nicht in Abendgarderobe. In Funktionskleidung und eingehüllt in Decken. Nicht mit Schampus. Sondern mit dem urrussischen Getränk – mit Wodka. Nicht in Gläsern aus echtem Glas. In durchsichtigen Bechern aus echtem Plastik. Machte aber nix - aber wir mussten erst einmal warten und lernen, wie der Russe Wodka trinkt. Zunächst muss der „Trinker“ einen rollenden Urschrei ausstoßen. Dann den Inhalt der Plastikbecher ohne abzusetzen über die Zunge Richtung Schlund fließen lassen. Auf ex! Und danach zur Neutralisierung einige Scheiben saure Gurken hinterherschieben. Das war schwierig! Wir lernten nicht sofort und mussten nachsitzen. D.h. wiederholen. Und die Becher unserer mitreisenden Antialkoholgegner, nein, Alkoholgegner, leeren. Bis wir es kapiert hatten! Man sollte es nicht glauben – nach kurzer Zeit gab es noch Wodka auf dem Schiff, aber keine saure Gurken mehr. Die Folge: Das Menue in zwei Gängen musste eingestellt werden. Ob die Alkoholgegner den Gurken zu sehr zusprachen? Na ja – immerhin hatten alle einen Lernerfolg: Gurken ohne Wodka geht nicht – oder umgekehrt.
So, nun musste ich beweisen, dass ich nur zu den Gurkenfressern gehörte. Fotos zeigen, die nicht verwackelt sind. Es klappte einigermaßen.
Keine Kritik! Es war schon recht dunkel! Und macht ´mal solche Fotos aus der Hand! So, zurück zum Thema. Wir fuhren am ruhmreichen Kreuzer Aurora vorbei.1900 erbaut, kam er im Gegensatz zu sonstigen russischen Kriegsschiffen unversehrt vom russisch-japanischen Krieg (1904/05) zurück. Während des Ersten Weltkriegs hatte er seinen Einsatz in der Ostsee bis der Kreuzer 1916 ins Reparaturdock in St. Petersburg geordert wurde. Am 25. Oktober wurde Aurora weltberühmt: Mit einem Platzpatronenschuss „läutete“ das Schiff den Sturm auf den Winterpalast ein. Merke: Nicht nur mit scharfen Schüssen kann die Weltgeschichte in andere Bahnen gelenkt werden!
Es wurde richtig spektakulär – die Himmelsfärbung wandelte sich ununterbrochen. Die Kathedralenspitze auf der Haseninsel wetteiferte mit den Masten eines Segelschiffes – und gewann! Vor rot-orangem Hintergrund … Dann ein Anblick aus einer anderen Perspektive. Mit geänderten Farben … bis der Himmel begann zu brennen. Die Peter-und-Paul-Kathedrale, wie sie nicht attraktiver ausschauen konnte …
Und dann der Winterpalast. Gut, dass er nach den verschiedenen Kriegswirren wieder vernünftig instandgesetzt wurde. Ansonsten hätten wir ihn nicht bewundern können!
Das war die Abendrundfahrt. Wie Ihr seht, hatten wir das optimale Wetter. Die die Newa begrenzenden Bauten bei Sonnenuntergang – ein Traum und damit ein Muss!
Natürlich wurden wir zum Schiff zurückgebracht. Deck 9 lockte und damit die Calypso-Bar für einen Absacker. Aber ganz so einfach war das nicht mit dem Trinken – es gab viel zu sehen und zu fotografieren. Wie das Stadion von FK Zenith St. Petersburg.
Die die hell erleuchtete AIDAdiva. Ach nee – die hatte sich stiekum auf die Reise begeben ohne sich bei uns abzumelden. Dafür freuten wir uns über den Anblick der im Bau befindlichen neuen Gazprom-Zentrale „Lachta Zentr“ – nach Fertigstellung mit 462 m das höchste Gebäude Europas.
Ganz hatte sich die Sonne noch nicht verzogen. 23.13 Uhr zeigte sie uns, dass wir noch einige Minuten mit ihr zu rechnen hatten. Bei unserem abschließenden Rundgang wollte wir die hinter uns liegenden Schiffe nicht vernachlässigen …
Tja, das war ein langer, ein ereignisreicher mit wahnsinnig viel Kultur gefüllter Tag. Bevor wir in die Koje fielen, kam noch ein Gedanke: „Die schönste Stadt auf dem Antlitz der Erde …“. Konnte ich Joseph Brodsky zustimmen? Bedingt – es gab sehr viele wunderschöne Stätten in St. Petersburg. Stätten, die von Touristen gestürmt wurden und die auch wir an diesem Tag gesehen hatten. Aber das allein ist nicht St. Petersburg. Bei unserer Fahrt zum Peterhof und zurück passierten wir Gegenden, die absolut nicht Josephs Bewertung entsprachen. Und wir hatten noch nicht einmal Stätten abseits der normalen Touristenwege besucht …
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