Ein paar Worte in eigener Sache …
Mehrere Monate hat es gedauert, bis ich meinen Reisebericht fortgesetzt habe, um nunmehr das nächste Kapitel hochladen zu können. Zu Beginn der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen war ich noch davon ausgegangen, dass ich diese Zeit sicher gut auch dafür nutzen kann, um meinem Hobby – dem Schreiben – viel öfter nachgehen zu können.
Dem war leider nicht so. Diese nunmehr bald ein Jahr andauernde Pandemie hat mir mehr zugesetzt – und tut es nach wie vor – als ich das jemals vermutet hatte. Die anfängliche Hoffnung darauf, nunmehr wenigstens mehr Zeit für solche Dinge zu haben, wich schnell einer gewissen Lethargie und Traurigkeit. Muße und Inspirationen blieben aus. Ich hatte einfach keinen Antrieb, mich hinzusetzen, um den Faden zu meiner Norwegen-Reise 2018 wieder aufzunehmen.
Schon oft hatte ich mich hingesetzt, ein paar Sätze geschrieben, die mir letztlich nicht gefielen. Irgendetwas gab nunmehr jedoch den Auslöser dafür, mich doch wieder hinzusetzen und das Schreiben, das mir in all den Jahren schon über manche schwere Stunde hinweggeholfen hat, wieder aufzunehmen. So ist nun heute Nachmittag und Abend der größte Teil dieses Kapitels entstanden. Ich habe das ganze traurige Drumherum ausgeblendet, mich an mein neu erworbenes Notebook gesetzt, bin in Gedanken zu meiner tollen Reise im Sommer 2018 zurückgekehrt und die Gedanken haben meine Finger über die Tasten geführt.
Ich würde mich freuen, wenn ihr mich noch bei meinen letzten Erlebnissen vor meiner Rückkehr in die Heimat im August 2018 begleitet und ich vielleicht auch dem einen oder anderen von euch helfen kann, beim Lesen dieser Zeilen dieses Virus wenigstens kurzzeitig ausblenden zu können.
Somit kehre ich nunmehr nach Laboe zurück, wo ich mich inzwischen mit meiner frisch erworbenen Eintrittskarte auf den Weg zum Marine-Ehrenmal mache …
Das Gelände ist umzäunt. Um es betreten zu können, muss man eine der beiden Münzen in ein an der Eingangspforte befindliches Gerät einwerfen. Nur so lässt sich das Drehkreuz bewegen. Der Weg steigt leicht an, den Blick richtet man automatisch immer wieder zum hohen Turm. Fahnenmasten stehen heute etwas verloren an der linken Seite. Doch zu besonderen Anlässen wird hier Beflaggung aufgezogen.
Der Weg zum Eingang ist gesäumt von einem Schraubenmodell, einer Seemine, einem Modell des Schweren Kreuzers „Prinz Eugen“ (einem Kriegsschiff der Deutschen Kriegsmarine) und einer Kanone sowie diversen Gedenk- und Schautafeln.
Der Eingang zum hohen Turm befindet sich nunmehr direkt vor mir. Meinen Kopf muss ich tief in den Nacken legen, um hinaufblicken zu können. Aus dieser Perspektive wirkt die Form des Turms wie eine überdimensionale steinerne Sprungschanze, was nicht zuletzt an der der Landseite zugewandten kühn geschwungenen Linie liegt.
Die Optik spielt einem hier einmal mehr einen Streich. Schaut man eine Weile in den Himmel, könnte man meinen, der Turm würde sich bewegen. Das Einzige, was sich hier jedoch bewegt, das sind die vorbeiziehenden Wolken.
Eine inmitten Zehntausender Backsteine einsam und fast ein wenig verloren wirkende Glocke direkt über dem Eingang – die Schiffsglocke der „S.M.S. Seydlitz", eines Frachtkreuzers der Deutschen Kaiserlichen Marine – glänzt in der Sommersonne.
Etwas beklommen erklimme ich ein paar Stufen, bevor ich ins Innere trete.
Dieser Ort, diese Symbolträchtigkeit … Sofort empfindet man eine unglaubliche Ehrfurcht, die einen ganz still werden lässt, sobald man in die Kühle der dicken Mauern eingetaucht ist. „Gedenkstätte für die auf See Gebliebenen aller Nationen – Mahnmal für eine friedliche Seefahrt auf freien Meeren“ steht im Eingangsbereich zu lesen.
Ursprünglich war das Ende der 1920er Jahre errichtete Ehrenmal eine Gedenkstätte für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Mitglieder der Kaiserlichen Marine. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm es der Deutsche Marinebund und widmete diesen Ort allen auf See ums Leben Gekommenen beider Kriege. Kamen im Ersten Weltkrieg fast 35.000 Seeleute ums Leben, so waren es im Zweiten Weltkrieg 120.000.
Das ganze Ausmaß dieser unglaublichen Tragödien auf See wird den Besuchern zwar mit ganz schlichten Darstellungen, dennoch mehr als deutlich bewusst vor Augen geführt. Jeder, der das Marine-Ehrenmal Laboe schon einmal besucht hat, weiß wahrscheinlich sofort, was ich damit meine: Nachhaltig. Einprägsam. Und irgendwie auch Gänsehaut verursachend: Jede Menge stilisierte Schiffe verschiedener Klassen. Klein. Und eines neben dem anderen. Jedes dargestellte Schiff für ein gesunkenes Schiff. Einfach dargestellte schwarze Schiffe auf steinernem Untergrund.
Starker Tobak, der mich nachher erwarten wird. Dennoch nicht unerwartet. Denn, wie ich schon schrieb, habe ich in den 1990er Jahren dieses Ehrenmal schon einmal besucht und weiß also, wie deutlich mir die Grausamkeiten vor Augen geführt werden, die die vergangenen Kriege nicht nur an Land, sondern auch auf See gebracht haben.
Doch zunächst einmal möchte ich in luftige Höhen aufsteigen. Aufsteigen?! Ähm, nun ja … Ein Blick ins zwar einerseits wirklich massiv, andererseits aber eben durch den hohen Schacht auch sehr „übersichtlich“ wirkende Gemäuer, das sich über mir erhebt, nimmt mir schnell die Entscheidung zwischen Lift und Treppe ab. Nein, nein, dieser permanente Blick in die Tiefe beim Erklimmen des massigen Turms ist nichts für mich. Da entscheide ich mich doch spontan für den geschlossenen Lift. In kurzer Zeit bringt mich das Gefährt hinauf auf 57 Meter. Vorsichtig wage ich von hier oben einen Blick in die Tiefe des nunmehr unter mir liegenden Schachts. Und sofort kribbelt es mir im Magen. Schnell wieder von der Brüstung zurückgetreten.
Um auf die vergitterte Aussichtsplattform zu gelangen, steige ich noch ein paar Stufen hinauf und befinde mich nunmehr in 65 Metern Höhe und damit quasi im Himmel über der Kieler Förde.
Windig ist es hier oben. Sommerwind. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass mir auch bereits ein erster leichter Hauch von Frühherbst um die Nase weht. Es ist August, Hochsommerzeit und somit aber auch der Herbst nicht mehr weit.
Mein Blick schweift in die weit überblickbare Ferne jenseits der vergitterten Plattform. Was für eine herrliche Aussicht! Die Häuser von Laboe wirken wie hingestreut am durch den ablandigen Wind heute irgendwie „ausgefranst“ wirkenden Strand. Der gemächlich gewundene Fördeverlauf, bis schließlich am Horizont und ganz links im Bild Häuser und Hafen von Kiel sichtbar werden. Sogar die Kreuzfahrtschiffe und die Norwegenfähre sind zu erkennen, wenn auch winzig klein.
Da hole ich sie doch mal ganz schnell ein bisschen näher heran …
Schon ein schöner Anblick – dieser Schiffsreigen. Und AIDAbellas Kussmund lächelt sogar bis hierher.
Nunmehr widme ich mich dem Ausblick gen Norden. Nur noch wenige hundert Meter trennen die Förde von ihrer Vereinigung mit der weiten Ostsee. Mit ein wenig Fantasie erinnern die Farben – wenn auch entfernt, wie ich zugeben muss – an einen karibischen Strand. Andererseits könnte man sich auch an einem Ort irgendwo an der Nordsee wähnen, so wie sich hier das Wasser zurückgezogen hat, da zum Spielball des Windes geworden. Und somit ein Paradies für Segler und Surfer.
Ein Stück weiter in Richtung Osten erstreckt sich der Campingplatz „Fördeblick“. Ob das nun romantisch und erholsam ist, auf engstem Raum und nahezu ohne Privatsphäre sardinenbüchsengleich die schönsten Wochen des Jahres zu verbringen, kann jeder für sich entscheiden. Für mich wäre es nichts, doch ich kenne auch so manchen, der auf diese Urlaubsform seit Jahren schwört.
Von meinem hohen Standort aus versuche ich, irgendwo im ziemlich flachen Landesinneren eine Erhebung auszumachen. Es ist der Bungsberg, mit 167,4 Metern die höchste Erhebung Schleswig-Holsteins. Viele haben diese Namen sicherlich noch nie gehört. Es ginge mir genauso, hätte nicht meine aus diesem nördlichen Bundesland stammende Omi vor vielen Jahren immer mal wieder davon erzählt. Von Kind an war sie immer mal wieder dort und es kam ihr damals so vor, als sei es der höchste Berg der Welt. So denke ich an sie, während mein Blick über Felder und Wälder und Windräder schweift.
Entdeckt habe ich ihn nicht, den Bungsberg, vielleicht habe ich ihn auch einfach übersehen. Doch in diesen Momenten bin ich meiner vor ein paar Jahren verstorbenen Omi einmal mehr ganz nah und ich bin ihr wieder einmal so dankbar, dass sie mir ihre Liebe zur Ostsee schon als Kind vermacht hat. Wer einmal immer auch ein wenig „Salzwasser in den Adern“ hat, den treibt die Sehnsucht immer wieder ans weite Meer.
Die Farben der Fotos und das zunehmende Spiel von Licht und Schatten zeigen, dass am blass-blauen Sommerhimmel immer mehr Wolken aufziehen. Ein Containerschiff ist in die Förde eingebogen und bietet mit seiner Farbvielfalt und Größe einen tollen Kontrast zu den vielen kleinen weißen Segelbooten.
Und wenn ich nun schon mal meinen im Uhrzeigersinn geplanten Rundblick aus der Vogelperspektive für dieses Schiff unterbreche, die Uhr quasi um „zwei Viertel zurückdrehe“, beobachte ich gleich noch ein wenig die Surfer im seichten Wasser. Sieht irgendwie lustig aus mit den bunten Segeln – ein wenig wie willkürlich hingestreute Blütenblätter.
Nun aber wieder zurück zum „Uhrzeigersinn“. Ins Landesinnere verloren sich vorhin mein Blick und meine Gedanken. Irgendwo hinter dem nicht von mir entdeckten Bungsberg liegt sie, die Holsteinische Schweiz – mit ihren vielen Seen und romantischen kleinen Orten. Auch wenn ich diese Region von hier aus nicht ausmachen kann, so kehren meine Gedanken zu meiner Omi zurück. Dort, in der Holsteinischen Schweiz, lernte sie im Zweiten Weltkrieg meinen Opa kennen, als Krankenschwester in einem Lazarett in Malente.
Vielleicht ist es dieser Ort, an dem ich mich gerade befinde, der mich indirekt beeinflusst, dieses Mahnmal, welches symbolisch für das Nichtvergessen der Sinnlosigkeit der Kriege steht. Es fröstelt mich, als ich an einige Geschichten meiner Großeltern denke, die sie immer erzählt und immer wieder mit dieser Gegend in Verbindung gebracht haben. So oft ich sie damals, vor vielen Jahren, gehört habe – hier gehen sie mir irgendwie ganz besonders nahe. Vielleicht mischt sich in diese Reise in die Erinnerung auch bereits die sich langsam einstellende Traurigkeit darüber, dass ich morgen um diese Zeit schon wieder im Zug in Richtung meiner Hunderte Kilometer entfernten Heimat sitze.
Vom fernen Horizont des flachen, waldreichen Landes kehrt mein Blick zurück. Und ich fühle mich, als würde ich von der Vergangenheit in die Gegenwart zurückkehren. Körperlich ist man zwar da, aber gedanklich irgendwie noch nicht wieder.
Meine Augen werden von einem goldfarbenen abgeernteten Getreidefeld in einiger Entfernung angezogen. Ein massiger grün-roter Traktor zieht gemächlich seine Bahnen, ackert das Feld, permanent von einem Schwarm kreischender Möwen begleitet. Was für eine Idylle. Auch wenn bei diesem Anblick SIE sofort wieder da sind: meine Gedanken an den nahenden Herbst und die bevorstehende Heimreise.
Dem landwirtschaftlichen Treiben schaue ich eine ganze Weile zu. Diese Szenerie wirkt total entspannend auf mich.
Mein Rundumblick aus 65 Metern Höhe ist beendet, denn ich bin wieder am „Ausgangspunkt“ angelangt:
… dem Blick aufs Ostseebad Laboe mit seiner schnurgeraden „Kugel-Baum-Allee“ und der geschwungenen Förde.
Dann widme ich mich doch mal dem, was ich nach der Besichtigung des Innenbereiches des Ehrenmals vorhabe. Von luftiger Höhe geht´s in die klaustrophobische Enge eines U-Bootes.
Wie ein angeschwemmter Wal liegt U 995 direkt am Strand von Laboe und zu Füßen des Ehrenmals. Vor vielen Jahren habe ich mich schon einmal ins stählerne Innere begeben. Doch wird mir diese Enge nach all den Jahren noch genauso wenig ausmachen wie damals?! Nun, bald werde ich es wissen.
Noch ein letzter Blick über den Bootshafen von Laboe, den Leuchtturm Friedrichsort bis hinüber zum Marine-Stützpunkt am anderen Fördeufer.
Schön war es hier oben. Schön und erinnerungsreich. Nachhaltige Eindrücke mit einer gehörigen Portion Wehmut.
Ich verlasse die luftige Aussichtsplattform, steige wieder hinunter auf 57 Meter. Einmal wage ich ihn dann doch noch – den Blick in die Tiefe …
… bevor ich mich – als einziger „Fahrgast“ – wieder in den Lift begebe, um „auf den Boden der Tatsachen“ zurückzukehren.
Fortsetzung folgt …
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