Mittwoch, 16. Mai 2018
Unbarmherzig reißt uns der Wecker um 7 Uhr aus dem Schlaf.
Und das im Urlaub!
Aber wir stehen gähnend auf, es hilft ja nix.
Draußen ist es recht kühl und grau.
Menno, und das in St. Petersburg.
Wir fangen tapfer an, draußen im Weite Welt Restaurant zu frühstücken, ziehen dann aber fröstelnd ins Innere um.
Dann machen wir uns fertig für den Ausflug, ziehen uns lange Sachen an und stecken die Regenjacken ein.
Die werden wir noch gut gebrauchen können!
Gegen halb zehn verlassen wir das Schiff und reisen am Terminal nach Russland ein.
Es dauert eine Weile mit der Passkontrolle, aber dann haben wir es geschafft und sind auf russischem Boden.
Direkt am Ausgang erwartet uns eine freundliche Dame von „Petersburg hautnah“, der Reiseagentur, über die wir den Ausflug gebucht haben.
Sie erklärt uns, dass wir heute bei uns im Wagen nur zu viert sein werden, und bittet uns um ein paar Minuten Geduld.
Wir warten im Terminal, das eigentlich ein einziger großer Ramschladen voller russischer oder möchtegern-russischer Souveniers ist.
Dann kommt eine fröhliche junge Frau mit dunklen Haaren auf uns zu, die sich mir als Marina vorstellt.
Mit ihr habe ich im Vorfeld sehr netten Whatsapp-Kontakt gehabt, um Nele ihre Starbucks-Tasse zu sichern.
In St. Petersburg werden wir ja nicht auf eigene Faust unterwegs sein, und da auf gut Glück zu hoffen, dass unsere Mitreisenden Neles Jagdtrieb nach einer ganz speziellen Tasse unterstüzen werden, war uns zu unsicher.
Marina strahlt uns an und sagt, dass sie die Tassen besorgt hat, diese noch bei ihrem Chef Sergej sind, uns aber am Nachmittag erreichen werden.
Na wunderbar, Nele ist glücklich (in Tallinn gab es keinen Starbucks – Skandal, und sowas in Europa!).
Kurz darauf kommt eine zierliche junge Frau mit blondem Zopf zu uns und stellt sich als unsere Reiseleiterin Anastasia vor.
Der Name passt gut zu ihr und sie spricht super Deutsch.
Mit uns fährt noch ein Ehepaar, beide in den Fünfzigern und recht unauffällig.
Er fällt mir vor allem dadurch auf, dass er ganz gentlemanlike uns Damen die Tür aufhält, viel fotografiert und ansonsten sehr ruhig ist.
Sie ist eigentlich auch ganz nett, hat nur Neles fachkundiger Analyse zufolge „eine komische Lache zum falschen Zeitpunkt“.
Unser Fahrer ist Igor, ein stiller Fels in der Brandung, der sich für uns mutig in den wirklich fürchterlichen St. Petersburger Verkehr stürzt.
Heute ist noch mehr los als sonst, erklärt uns Anastasia, weil Herr Medwedew zu einem Jura-Forum in der Stadt ist.
Deshalb sind auch immer wieder mal mehrere Straßen gesperrt, wie wir im Folgenden sehen.
Aber Igor ist unverwüstlich, schiebt unseren Kleinbus auch durch die undurchdringlichsten Blechmassen und bleibt immer erstaunlich ruhig.
Wir sind sehr froh, dass wir mit diesem kleineren wendigen Gefährt unterwegs sind. Mehrfach sehen wir große Reisebusse (vielleicht auch mit Aida-Gästen?), die im Stau stehen und nicht vom Fleck kommen.
Es regnet ein bisschen, aber wir machen trotzdem wie geplant unsere Bootsfahrt auf der Newa und den Kanälen.
Das Boot hat auch einen Innenbereich, in den wir uns zurückziehen, wenn es draußen zu nass wird.
Anastasia erzählt sehr informativ über St. Petersburg, sie weiß viel und verpackt es gut.
Vom Wasser aus sieht man die Eremitage, die Peter- und Paul Festung, die Admiralität und viele weitere wichtige Gebäude.
Nach einer Stunde geht es wieder mit dem Kleinbus weiter.
Wir beschließen gemeinsam, dass wir nicht wie geplant den Park von Peterhof anfahren werden.
Denn dort wäre man hauptsächlich draußen, aufgrund des sehr unsteten Wetters wahrscheinlich keine gute Wahl.
Stattdessen machen wir eine ausführliche Stadtrundfahrt mit vielen Fotostopps.
Wir schauen uns die (leider momentan aufgrund von Bauarbeiten ziemlich „eingepackte“) Blutskirche und die Isaak-Kathedrale an, fahren durch die Hauptstraße, den Newski-Prospekt und bekommen viele interessante Informationen von Anastasia.
Unter anderem erzählt sie uns, dass das Schulsystem in den letzten Jahren schlechter geworden ist, weil man sich an den Bologna-Reformen des Westens orientiert hat.
Dann habe ich ein… wie sagt man es möglichst ladylike… menschliches Bedürfnis, aber leider sind weit und breit keine öffentlichen Toiletten.
Da es nun wirklich sehr dringend wird, nehme ich all meine Unverfrorenheit zusammen und gehe festen Schrittes auf die imposante Eingangstür des nächsten Hotels, das „Waldorf Astoria“, zu.
Dieser Eingang wird gleich von mehreren Bediensteten bewacht (vielleicht hat Herr Medwedew hier ja übernachtet?) und einer von ihnen kann zum Glück Deutsch. Ihm schildere ich mein Anliegen.
Kennt ihr diesen Punkt, an dem einen alles völlig egal ist, Hauptsache man darf endlich, endlich auf ein gewisses Örtchen?
Diesen Punkt habe ich erreicht.
Wahrscheinlich hat der Portier den zu allem entschlossenen Wahnsinn in meinen Augen gesehen, auf jeden Fall lächelt er freundlich und lässt mich eintreten.
Holla die Waldfee, ist das pompös hier!
Alles voller Marmor, Glitzer und Kronleuchter.
Auch die Toiletten sind aufwendig und luxuriös gestaltet, aber selten ist mir etwas so gleichgültig gewesen.
Seit diesem Erlebnis ist der Ausdruck „Du, ich hab da gerade einen Waldorf-Astoria-Moment…“ übrigens fest in Neles und meinen Wortschatz eingezogen.
Mittags essen wir in einem kleinen russischen Lokal, es gibt Rote-Bete-Suppe (Bortschtsch) und eine Art Ravioli mit Fleischfüllung und saurer Sahne.
Es schmeckt gut, allerdings sind wir nicht so richtig satt geworden.
Aber egal, heute Abend auf dem Schiff gibt es ja wieder genug zu essen.
Der nächste Halt ist die Nikolai-Kirche, die von außen erstaunlich hellblau und niedlich anzuschauen und von innen nicht sonderlich spannend ist.
Vor der Kirche treffen wir auf Sergej, den Chef von Petersburg Hautnah, sowie Marina.
Sie übergibt uns feierlich die Starbucks-Tassen (eine mit St. Petersburg und eine mit Russland als Motiv).
Wir bedanken uns überschwänglich und Nele muss unseren Mitfahrern erst einmal erklären, was das Ganze soll.
Sie sind mäßig verständnisvoll, aber höflich interessiert.
Sergej begrüßt uns mit den Worten „Ihr seid die mit den Tassen?“ und macht ein paar Scherze darüber, wieviele Stunden sie damit zugebracht haben diese aufzutreiben.
Er spricht fast akzentfrei deutsch, ist sehr freundlich und kommt dann zum Finanziellen.
Ich zahle bequem mit Kreditkarte.
Als nächstes steht ein Stop bei einem Andenkenladen auf dem Programm.
„Wer will denn Wodka trinken?“ fragt Anastasia und natürlich sagen wir da nicht nein.
Wir gehen in einem kleinen Gebäude eine Treppe hinunter und landen in einem riesigen Laden.
Überall Matruschkas, Karten, Magnete, Schmuck, Weihnachtskugeln und Vieles mehr, was man so braucht oder auch – in den meisten Fällen – nicht braucht.
Interessant für uns ist aber ein Tisch ganz hinten im Laden, hinter welchem Oliver steht.
Oliver ist gefühlt 14 Jahre alt und spricht perfektes Deutsch.
Nele fragt ihn, woher er das so gut kann. „Also zum einen bin ich Deutschrusse, dann schaue ich viel deutsches Fernsehen, und dann noch Internet und so.“
Oliver schenkt uns Wodka ein, den wir mit einem fröhlichen „Nastrowje!“ hinunterschütten.
Gar nicht mal so schlecht, brennt halt ein bisschen im Abgang.
Dann frage ich ihn, was das da für ein roter Likör ist. „Johannisbeerlikör“ klärt Oliver auf.
Ob wir mal probieren wollen?
Na klar wollen wir.
Der Likör ist echt lecker, etwas süß und süffig.
Solchermaßen gestärkt kaufe ich zwei Matruschkas für meine Kinder sowie zwei Kühlschrankmagnete.
Nele nimmt ebenfalls eine Matruschka mit.
Das Wetter klart auf, den großen Schlossplatz besichtigen wir bei teilweise blauem Himmel.
Herr Medwedew hat nun wieder die Stadt verlassen, sodass der Platz jetzt nicht mehr gesperrt ist.
Ein Straßensänger mit seelenvollen Augen macht melancholische Musik, was eine richtig schöne Atmosphäre zaubert.
Zu Fuß gehen wir weiter, unter wunderbar gestalteten und reich verzierten Bögen, über den Newski Prospekt zur U-Bahn.
Die Metro in St. Petersburg besteht seit 1955 und sämtliche Stationen sind in einem bestimmten individuellen Thema gestaltet. Teilweise kommt man sich vor wie in einem Museum.
Wir beginnen in der 86 m tiefen Station, die dem Thema „Admiral und Werft“ gewidmet ist.
Nicht schlecht. Wenn ich da so an die U-Bahn-Stationen Zuhause denke...
Dann fahren wir noch weitere Stationen an, für ca. 60 Cent kann man solange unter der Erde fahren wie man möchte.
Am Ende wartet Igor wieder zuverlässig auf uns.
Wie er zu diesem grandiosen Parkplatz fast direkt am Ausgang der Metro gekommen ist, wird für immer sein Geheimnis bleiben.
Unsere Hochachtung für ihn steigt weiter.
Wir schauen uns bei strahlendem Sonnenschein noch eine Kirche an, dann geht es wieder in Richtung Schiff.
Um Punkt 17 Uhr sind wir wieder bei unserer Aidabella und bedanken uns herzlich (mit netten Worten und einem ordentlichen Trinkgeld) bei Anastasia und Igor für den schönen Tag. Sie haben ihre Sache wirklich sehr gut gemacht, dass das Wetter teilweise so mies war ist ja wirklich nicht ihre Schuld.
Auf dem Schiff angekommen vernichten Nele und ich auf dem Pooldeck erstmal den Muttertagssekt, zumindest zu zwei Dritteln.
Dazu gibt es ein Stück Pizza aus der Pizzeria Mare, was eine gute Idee ist – der Sekt hat es in sich und wir sind ziemlich fröhlich.
Nachdem wir uns ein bisschen frisch gemacht haben, essen wir in der Almhütte Obazda und Käsespätzle.
Danach setzen wir uns ins Bella Vista, nehmen noch einen Nachtisch zu uns und schauen uns das Ablegen an.
Es ist jetzt 20 Uhr und die Sonne kommt raus.
Um viertel vor neun finden wir uns auf dem Pooldeck ein, unser Lektor Vladimir (den Nachnamen habe ich leider vergessen) erzählt uns viel Wissenswertes über die Kronstadt-Passage, die wir gleich durchfahren werden.
Es ist wirklich interessant und wir können die Durchfahrt im Sonnenuntergang vom Bug aus miterleben.
In der OceanBar nehmen wir dann noch einen Margarita zu uns und gegen elf sind wir dann vom langen Tag müde genug, um auf die Kabine zu gehen.
Donnerstag, 17. Mai 2018
Den zweiten Seetag beginnen wir ganz relaxt um 8 Uhr.
Wir frühstücken im Weite Welt Restaurant – und zwar draußen!
Es ist schön warm, nun ja, zumindest wenn man in der Sonne ist.
Um 10 Uhr suchen und finden wir Liegen auf der Steuerbord-Seite des Pooldecks, das war gerade noch rechtzeitig.
Die "guten" Liegen sind bald alle weg, Glück gehabt.
Den Tag verbringen wir weitestgehend damit, unsere esthnische Bräune aufzufrischen.
Und wir beglückwünschen uns dazu, dass wir so unverhofft tolles Wetter haben.
Die Zeit vergeht gemächlich, wir lesen (ich), löschen Fotos auf dem Handy (Nele) und genießen das Leben und den Urlaub.
Zwischendurch ein kurzes Mittagessen im Weite Welt Restaurant, dann wieder hoch an Deck.
Eincremen nicht vergessen!
Gegen 16 Uhr verlassen wir das Pooldeck und genehmigen uns noch ein Eis bzw. Ananas.
Ich gehe zum Sport, Nele duscht schon mal und macht sich gaaaanz langsam fertig.
Wir treffen uns nach meinem Sport an der OceanBar, mittlerweile ist es ziemlich windig.
Wir beschließen drinnen zu essen und testen aus Interesse mal das Marktrestaurant.
Erster Eindruck: Ist das voll!
Zweiter Eindruck: Hier werden wir wohl nicht nochmal hinkommen.
Der Altersdurchschnitt ist sehr hoch (das ist jetzt keine Wertung, nur meine Wahrnehmung), die Menschen nicht besonders freundlich und bei uns am Tisch sitzt ein Paar reiferen Alters, dessen weiblicher Teil mit glitzerndem Schmuck behangen ist, sich für etwas ganz Besonderes hält und es nicht einmal ansatzweise versucht zu verstecken, für wie proletarisch sie uns hält.
Wir essen kurz etwas und machen dann, dass wir davonkommen.
Marktrestaurant, du hattest eine faire Chance.
Im Weite Welt Restaurant eine Etage höher fühlen wir uns direkt wieder wohl.
Wir essen dort zu Ende und um halb acht holen wir unsere Bike-Ausrüstung für den morgigen Ausflug ab.
Sie besteht aus einem Fahrradhelm, einem Rucksack und einem Energy-Riegel.
Nele vergewissert sich, dass es tatsächlich schon um viertel vor neun losgeht.
Das ist ja fast noch in der Nacht!
Ja, geht es.
Auf dem Weg durch das Theatrium stellen wir fest, dass die Entertainment-Managerin gerade unseren Kapitän Erik Kelt Kirchner interviewt.
Wir hören es uns an, es ist ganz unterhaltsam.
Unser nächster Stop ist die Bella Bar auf Deck 9, wo wir einen Margarita trinken und die Musik der Lifeband genießen.
Leider ist schon nach einer Viertelstunde Schluss damit und die abendliche Show beginnt.
Die sechs Aida-Stars performen Abba in denkwürdig bunten Kostümen.
Nun ja, nicht so unser Fall, aber das Publikum scheint ganz angetan zu sein.
Unser gestriger Ausflugspartner ist auf einmal neben uns und bestellt Cocktails.
Wir sind ganz überrascht, ohne seine Frau neben sich ist er richtig gesprächig!
Mehr als die Show zieht ein älteres Paar, das uns gegenüber an der Bar sitzt, unsere Aufmerksamkeit auf sich.
Wir taufen die beiden spontan „Ingrid und Walther“.
Die beiden scheinen den allerersten Cocktail ihres Lebens in den Händen zu halten, und ihre eher gemischten Gefühle kann man ihnen ansehen.
Dann ist Ingrid auf einmal weg und kommt mit einer Tüte Salzstangen wieder, welche die beiden ausführlich zelebrierend wegknuspern.
Ganz großes Kino!
Dann kommt auf einmal eine Aida-Frau und schickt Ingrid und Walther weg.
Als die Abba-Show vorbei ist, erkennen wir auch, warum die Aida-Frau die Reihe an der Bar geräumt hat.
Auf einmal sind die beiden Schauspieler da (die schon die schöne Loriot-Lesung gehalten haben) und beginnen eine kleine Show mitten unter den Gästen an der Bar.
Im Prinzip geht es um „Szenen einer Ehe“, manche Sketche sind witzig, manche eher weniger.
Mir gefällt diese Art von Schauspiel, aber dann merkt Nele leise an, dass sie einen „Waldorf-Astoria-Moment“ hat.
Doch der einzige Weg um die Bar herum führt mitten durch die vom Filmteam die gesamte Zeit fleißig aufgenommene Szene... da heißt es Durchhalten!
Aber dann ist das Programm zu Ende, die Kameras packen ein und Nele flitzt im Eiltempo auf die Kabine.
Danach gehen wir noch rauf in die Anytime Bar, um uns die in der Aida Heute beworbene Silent Party anzuschauen.
Wir können uns nichts darunter vorstellen und sind neugierig.
Ein paar Dinge fallen uns auf, als wir die Bar erreicht haben.
Erstens, so voll war es hier noch nie.
Zweitens, sehr viele Leute tanzen.
Drittens, alle singen durcheinander.
Viertens, die Leute haben farbig blinkende Kopfhörer auf. Es sieht ein bisschen so aus, als wären alle völlig verrückt geworden.
Und weil uns das ausgesprochen sympathisch ist, beschließen wir mitzumachen und holen wir uns für jeweils 25 Euro Kaution einen Kopfhörer.
Das Prinzip ist einfach: Es gibt drei Musikkanäle, Rot für Schlager, Grün für Dance-Musik, Blau für Rock/Pop. Drei DJs stellen die Musik zusammen.
Wir tanzen ausgelassen eine Polonaise, rocken ab haben richtig Spaß.
Aber dann gegen Mitternacht beschließen wir, vernünftig zu sein und auf die Kabine zu gehen.
Morgen in Danzig müssen wir ja ganz sportlich sein.