Mein Aufenthalt in Laboe, mein schöner Tag am nördlichen Ende der Förde, ist zu Ende. Es geht zurück nach Kiel. Der Schlepper legt ab.
Zurück bleibt nicht nur das beschauliche Ostseebad, sondern hier und da vielleicht auch noch meine Fußabdrücke im Sand des Spülsaums, bis das Spiel der Wellen auch sie nur noch in meiner Erinnerung existieren lässt.
So ein Schlepper hat jede Menge „Pferde“ unterm Rumpf versteckt. Und die wollen scheinbar schon wieder losgaloppieren. „Falckenstein“ braust los. Schnell entfernen wir uns vom Anleger – mit ordentlicher Geräuschkulisse und jeder Menge grün verquirltem und von weißem Schaum gekröntem Fördewasser. Selbst der Himmel hat seine Farbe angepasst. Moll statt Dur – und damit zu meiner traurigen Stimmung passend. Das wird wohl heute nichts mehr mit Sonne. Leider.
Schnell bleibt die Szenerie am Horizont zurück. Der Strand, die Häuser an der Promenade. Und auch das mächtige Marine-Ehrenmal schrumpft in Windeseile auf Spielzeuggröße.
Schon schaukeln wir wieder am Leuchtturm Friedrichsort vorbei.
An meinem Heck-Aussichtspunkt gefällt´s mir. Ganz nah bin ich dem wirbelnden Wasser und der Blick über die Weite der Förde gibt mir noch einmal ein Gefühl von Freiheit. Einmal noch die Ostsee genießen, bevor ich mich bald wieder für ungewisse Zeit von ihr verabschieden muss. Ich habe eine Mütze dabei, denn der ordentliche Fahrtwind ist kühl. Die ziehe ich tief ins Gesicht und lasse mir die Seeluft noch einmal ordentlich um die Nase wehen. Wie sehr werde ich all das wieder vermissen. Die See hingegen wird mich nicht vermissen. Aber ICH kann nun einmal nicht ohne sie sein. Erblich vorbelastet eben …
Ruhe kehrt ein, das verquirlte Wasser legt sich, die "Pferde" werden gezügelt – um im Ostseebad Heikendorf anzulegen. Beschaulich wirkt es hier, ruhig, schon beinahe ausgestorben. Niemand geht von Bord und es möchte auch keiner mit, um mit den „See-Pferden“ über die Förde zu brausen.
Ich verlasse meine Heckposition und begebe mich aufs nahezu menschenleere kleine Oberdeck. Viele Fahrgäste haben sich ins Warme verzogen. Ich genieße so lange wie möglich noch die frische Luft, den Fahrtwind, das Gefühl von Freiheit …
Erneut brausen wir kreuz und quer über die Förde. Viel zu schnell vergeht die Fahrt. Komisch, es ist jedes Mal dasselbe: Obwohl die Entfernung nicht geschrumpft ist, kommt einem der Rückweg viel kürzer vor.
Am linken Fördeufer ziehen immer wieder wunderschöne Häuser mit ihren für Norddeutschland so typischen, wenn auch leider immer seltener zu sehenden Reetdächern vorbei. Große Panoramafenster sorgen für den perfekten Ausblick übers Wasser bei Wind und Wetter.
Einmal mehr an diesem Tag wandern beim Anblick dieser Häuser die Gedanken zu meiner verstorbenen Großmutter. In ihrer Kindheit waren Reetdächer in Schleswig-Holstein die Regel, nicht die Ausnahme. Rohr war damals ein beliebtes, da preiswertes Baumaterial. Doch leider auch sehr feuergefährlich. Als Kind erlebte meine Großmutter einen Blitzeinschlag ins Bauernhaus der Nachbarn. Innerhalb kürzester Zeit stand das gesamte Haus lichterloh in Flammen. Ein Erlebnis, das sie ihr ganzes Leben lang nicht vergaß. Auch den Respekt vor Gewittern konnte sie aufgrund dessen niemals ablegen.
Die Brandgefahr wurde im Laufe der Jahrzehnte gebannt. Und erst recht nicht sieht es an diesem trüben August-Nachmittag nach einem aufziehenden Gewitter aus.
Wer Mönkeberg passiert, dessen Blick wird nicht nur von den vielen Bötchen und Booten angezogen, sondern in erster Linie von diesem kleinen „Fliegenpilz ohne Punkte“ (nenne ich ihn mal). Ein Leuchtfeuer?! Ja, das war dieses Gebäude auch mal. Heute ist der „Juliusturm“ das Hafenmeister-Büro mit einem Arbeitsplatz, bei dem es reicht, sich einmal auf dem Drehstuhl um die eigene Achse zu drehen und sofort im runden Büro alles in Reichweite zu haben.
Seinen 90. Geburtstag feierte dieses Türmchen im April 2018, wie ich bei meinen späteren Recherchen im Internet gelesen habe. Na, dann mal nachträglich noch „Happy Birthday“.
Wer Mönkeberg passiert, der ist letztlich auch schon fast wieder in Kiel, wie mir ein Blick in Fahrtrichtung zeigt: Die „Schilksee“, einer der vielen Fördedampfer, die die Ufer-Orte anfahren, kommt uns entgegen, verdeckt mit ihrem Rumpf den Blick auf AIDAbella, scheint mit ihrem Bug den knapp 227 Meter hohen Fernmeldeturm umstoßen zu wollen, doch lässt den Blick auf „Mein Schiff 4“ noch frei.
Die beiden Dampfer manövrieren aneinander vorbei und schon ist der Blick frei auf das „Schiffe-Kuscheln“.
Nach meiner rund einstündigen „Kreuz-und-Quer-Fahrt“ über die Kieler Förde kommt mein bulliges Gefährt „Falckenstein“ nach Kiel zurück. Am Anleger „Reventlou“, eine der Haltestellen entlang der „Kiellinie“, gehe ich gegen 17:45 Uhr von Bord.
Von hier aus möchte ich gleich AIDAbella verabschieden, deren „Sail Away“ um 18:00 Uhr beginnen soll.
Körperlich bin ich zurück in Schleswig-Holsteins quirliger Landeshauptstadt. Mit Geist und Gedanken jedoch pendele ich irgendwo zwischen der Förde, der Weite der Ostsee und Norwegen. Mein Wehmut scheint mich schier zu übermannen. Morgen um diese Zeit bin ich weit weg von den großen Schiffen, weit weg vom fernen und weiten Horizont und weit weg von meiner geliebten See. So gern möchte ich die Zeit anhalten, doch ich kann es nicht. Ich muss mich in die momentan irgendwie traurige Situation, ins Unvermeidliche, fügen.
Auch, wenn ich weiß, dass ich mich morgen um diese Zeit sicher auch schon wieder auf meine Familie freuen werde, die doch schon ganz gespannt darauf wartet, was ich ihr wieder zu erzählen habe – momentan tröstet mich das wenig.
Und so fühle ich mich inmitten der Menschen auf der Kiellinie ein wenig verloren, als ich mir einen schönen Platz suche, um AIDAbellas Ablegen gut beobachten zu können.
Noch liegt sie mit der „Konkurrenz“ Seite an Seite.
Doch schon bald wird sich das Kussmundschiff vom Ostseekai lösen, die Taue werden kurzzeitig ins Fördewasser eintauchen, bevor die fleißigen Crew-Mitglieder auf der Mooring-Station sie einholen, der Rumpf sich langsam von der Kaikante entfernt, die Verbindung zum Land abbricht. Etliche Decks höher stehen erwartungsvolle Passagiere bereits an den Relings der Decks und Kabinenbalkone, mit einem leckeren Getränk in der Hand, voller Vorfreude im Herzen, den geliebten Partner im Arm und sicherlich auch dem einen oder anderen Tränchen im Augenwinkel, während die Klänge der uns alle so vertrauten Auslaufsongs sanft übers Schiff und durch die Luft des norddeutschen Augustabends wehen …
Hören werde ich die Musik an Land sicher kaum, doch meine Gedanken, Träume und auch ein paar Tränen werden das Kussmundschiff und seine glücklichen Gäste begleiten.
„Stena Germanica“ verabschiedet sich wieder einmal von Kiel, nimmt Kurs aufs schwedische Göteborg.
Ich schaue ihr nach, bis sie um die Fördebiegung verschwunden ist und widme mich daraufhin wieder den kuschelnden Kreuzfahrtschiffen, denen ich noch ein Stück entgegengehe. Ein imposanter Anblick, der das Herz jedes Schiffsfans höherschlagen lässt. So natürlich auch meines:
Schließlich ist es soweit und beinahe könnte man die Uhr danach stellen: 18:00 Uhr – Volltönend und sicherlich weithin hörbar klingt AIDAbellas Typhon herüber: „Sail Away Time“. Das schöne Kussmundschiff legt ab. Der Beginn einer neuen Reise. Einer weiteren Reise nach Norwegen, meinem absoluten Traumland.
Dicht gedrängt stehen die glücklichen Passagiere an Deck, während um mich herum der eine oder andere „See(h)mann“ oder auch „Sehfrau“ winkend an der Kaikante der Kiellinie zurückbleibt. Langsam erstreckt sich AIDAbella in ihrer vollen Schönheit vor mir, als sie Kurs auf die Fahrrinne nimmt und gemächlich dahinzieht.
Bei dem folgenden Foto muss ich unweigerlich an eine Szene aus dem Film „Titanic“ denken. Nämlich an jene Szene ziemlich am Anfang des Films beim Ablegen in Southampton, als der riesige schwarze Schiffsrumpf nahezu den gesamten Bildschirm einnimmt, während auf dem schmalen Streifen Wasser davor ein kleines Segelboot auf den Bugwellen schaukelt:
Nahezu majestätisch zieht das schöne Schiff zeitlupengleich an mir vorbei und wird kleiner und kleiner. Soll ich noch schnell ins Wasser springen und ihm hinterherschwimmen?! Nun, ich denke, das würde wenig bringen. Ich könnte es niemals einholen. Und sicherlich ist auch der „Bella“-Kapitän genauso wie unser Kapitän Tidow penibel darauf bedacht, dass die „Reisegruppe“ von rund 3.000 „Mitgliedern“ unter sich bleibt. Also bleiben einmal mehr nur das Winken und Traurigsein. Und so muss ich AIDAbella ziehen lassen … Schweren Herzens … Und dann ist da noch der Gedanke, dass dies das letzte Kussmundschiff meines Urlaubs war. Morgen wird AIDA nicht in Kiel anlegen.
AIDAbella entschwindet aus meinem Blickfeld und eigentlich könnte ich mich jetzt auf den Weg ins Hotel machen. Wer jedoch meine Berichte und lieb gewordenen Gewohnheiten am Meer kennt, der weiß, dass ich wirklich jedes große Schiff „mitnehme“.
Also warte ich selbstverständlich auch noch aufs Auslaufen der „Mein Schiff 4“, die sich nachher auf den Weg nach Newcastle macht. Ich setze mich auf eine der bequemen Ruhebänke, die hier überall zu finden sind, beobachte das Treiben, lausche den Möwen. Einmal mehr macht sich das superdünne und superleichte Thermokissen, das ich immer in meinem Rucksack dabeihabe, bezahlt. Es ist doch etwas kühl am Allerwertesten.
Die Möwen schreien und ein paar ganz vorwitzige wagen sich immer weiter zu mir heran, als sie scheinbar mitbekommen, dass ich in meinem Rucksack krame. Wahrscheinlich hoffen sie auf einen Futterhappen. Na, die werden sich gleich wundern. Denn meine leckeren in Laboe gekauften Fischbrötchen halte ich natürlich vor ihnen versteckt. Statt sie zu füttern, lasse ich lieber meinem meergrünen Reisetagebuch „neue Nahrung“ zukommen und überbrücke somit die Wartezeit.
Kurz nach 19:00 Uhr lässt auch der TUI-Kapitän das Typhon tönen. Lautlos gleitet der blaue-weiße Riese vorbei.
Noch einmal heißt es genießen und träumen. „Mein Schiff 4“ ist nun wirklich das allerletzte Kreuzfahrtschiff meines Aufenthaltes. Überhaupt wird es hier in den nächsten Tagen sehr ruhig, was die „Schiffe der Träume“ betrifft. Erst am 17. August kommen die nächsten Kreuzfahrer.
Am nunmehr leeren Ostseekai bummele ich in Richtung Hotel zurück. Auch Schweden- und Norwegenkai liegen verwaist. Kein Schiff mehr da. Es ist so, als wolle Kiel sich ganz langsam von mir verabschieden – wohl wissend, dass mir der Abschied noch viel schwerer fallen würde, wenn ich die großen Schiffe im Hafen liegen sehe.
Gegen 19:45 Uhr bin ich zurück im Hotel. So schön der Tag war – der perfekte Abschluss meines Urlaubs – doch für heute ist es dann auch genug. Meine Füße melden sich, sie möchten so schnell wie möglich hochgelegt werden.
Kaum bin ich zurück, beginnt es zu regnen. Perfektes Timing also.
Nicht nur meine Füße melden sich, auch mein Magen. Er verlangt nach Essen. Soll er kriegen. Ich hole die beiden leckeren Fischbrötchen aus den Tiefen meines Rucksacks. Durst habe ich auch. Großen Durst sogar. Und Fisch muss ja bekanntlich schwimmen. Da kommt mir ein kühles Bier gerade recht. Auch, wenn es – wenig stilvoll – in eine Dose abgefüllt ist. Aber ich fülle ja um in ein Glas, dessen Werbung ja nun so völlig konträr zum Inhalt des Glases ist … Die beiden Rosen, die ich mir von meinem Kabinen-Blumenstrauß als Erinnerung mitgenommen habe, geben dem picknickartigen Ambiente wenigstens einen kleinen Hauch von Stil.
Vor meinem Hotelfenster senkt sich inzwischen nach und nach die Nacht über Kiel.
Den Abend verbringe ich zunächst mit einer lästigen Tätigkeit: Kofferpacken. Viel ist es nicht, was wieder ins schwarze Polycarbonat-Ungetüm muss, aber trotzdem … Der Abschied naht. Also am besten ganz schnell erledigen.
Noch einmal genieße ich anschließend mein gemütliches Zimmer mit dem tollen Panoramablick auf die Förde, die Bahnhofsbrücke und Norwegen- sowie Schwedenkai. Ich stopfe mir ein Kissen in den Rücken und setze mich wieder aufs Fensterbrett, von wo aus ich DIESEN Blick aufs nächtliche Lichtermeer ganz tief in mein Herz aufnehme.
Meine Gedanken wandern in meine über 600 Kilometer entfernte Heimat. Der Blick aus dem Fenster ist dort so ganz anders. Grüne Natur anstatt glitzerndem Wasser. Auch schön, doch mein Meer werde ich wieder vermissen. Das geht mir jedes Mal so.
Wieder einmal ist es Mitternacht, als ich mich von diesem Blick trenne und schlafen gehe.
Noch rund zwölf Stunden, dann geht mein Zug in meine meeresferne Heimat ...
Das finale Kapitel meines Reiseberichtes folgt …
Kommentare 5