Montag, 6. August 2018
Immer, wenn mich in den letzten Wochen der Stress des Alltags wieder einmal zu sehr zu überrollen drohte, stellte ich mir vor, wir laufen in den Hafen von Bergen ein, jene Stadt, die ich bereits mehrfach im Laufe der Jahre besucht, in der ich aber dennoch immer wieder Neues entdeckt habe ... Ich stehe auf dem Pooldeck und im Sonnenschein breitet sich die markante Kulisse der Stadt zwischen Bryggen, Fløyen und Ulriken aus ... Im SONNENSCHEIN wohlbemerkt … Und schon ging es mir jedes Mal gleich besser.
Die traurige und "wässrige" Realität - und somit das krasse und graue Gegenteil zu meinen sonnigen Tagträumen - zeichnet sich bereits am frühesten Morgen ab … Lange, bevor wir einen Blick auf Bergen erhaschen können … Lange, bevor wir die beeindruckende Askøy-Brücke passieren … Und lange, bevor ich auch meine letzte Hoffnung auf wenigstens einen Hauch Sonnenschein an diesem Tag begraben habe.
Doch beginnen wir auch heute am besten wieder von vorn. Als ich nach rund zwei Stunden irgendwann gegen 1 Uhr mal wach bin, ist es draußen noch immer nicht ganz dunkel, aber eben auch grau in grau. Klar bräuchte ich mir diese "Vorboten" des "norwegischen Ungemachs" nicht antun und kurzerhand die Vorhänge zuziehen. Aber dafür habe ich doch keine Balkonkabine gebucht. Nein, die Vorhänge bleiben bei mir im hellen nordischen Sommer immer offen. Ich finde das so toll, einfach die Augen aufzuschlagen und vor dem Balkon die Landschaft und das Meer vorbeiziehen zu sehen. Egal, ob kurz vor Mitternacht oder morgens um 4 …
Es ist also alles mausgrau. Mir schwant wirklich was, wenn ich an Bergen denke … Dieser "Schwan" verstärkt sich, als es gegen 04:30 Uhr schon wieder hell wird, das ist aber auch alles. Kleinere und größere "Buckelwale" in Form von grauen Schären erkenne ich von meinem Bett aus hinter den salzwasserverkrusteten Balkonscheiben.
Es ist gegen 05:45 Uhr, als ich mich entschließe aufzustehen. Auch wenn das selbst mir deutlich schwerer fällt, wenn die Sonne nicht scheint. Doch ich bin endlich nach drei Jahren Abstinenz wieder in meinem geliebten Norwegen. Also werde ich es jetzt mal begrüßen. Gerade zieht unser Schiff an einer beleuchteten "Buckelwal-Schäre" vorbei - ein einsames Licht sendet einen müden Schimmer in die trübe Landschaft.
Ich betrete meinen Balkon - barfuß. Und stehe prompt auf einem nassen Boden: Es regnet! Und Wind gibt´s obendrein, der die Böen auf meinen Balkon treibt. Hab´ ich´s mir doch gedacht. Nach meinem letzten Besuch in der (angeblich) regenreichsten Stadt Europas vor drei Jahren bei Sonnenschein und 26 Grad hatte ich schon meine Zweifel, ob das wirklich stimmt. Heute früh wird mir schlagartig klar: Ja, es stimmt.
Regen gehört zu Bergen - nicht umsonst zieren Regenmotive sogar eine komplette Postkarte, was ich bisher noch nirgendwo anders gesehen habe. So empfinde ich trotzdem mit einem Mal Vorfreude und der Regen blendet sich - wenn auch nur kurz - wie von selbst aus.
Ein Blick nach links: Dunst. Ein Blick nach rechts: Oh, ein großes Kreuzfahrtschiff! Noch kann ich nicht genau erkennen, um welches es sich handelt. Als ich einige Zeit später wieder aus dem Bad trete, fährt es bereits vis a vis meines Balkons. Ach guck - die "Amadea", das ZDF-"Traumschiff". Na ja, so aus der Nähe offenbaren sich aber an der Kiellinie auch schon ein paar Roststellen, die sonst in den Herz-Schmerz-Folgen im Fernsehen anscheinend immer "weggemogelt" werden.
Während ich mich für den Tag fertigmache, lasse ich nebenbei im TV eine Zeitlang die Endlosschleife der gestrigen "Prime Time" laufen und lache somit nebenbei nochmal köstlich über den unschlagbaren Humor unseres Kapitäns. Ein kurzer Anruf zu Hause und schon finde ich mich um 07:00 Uhr im Markt-Restaurant zum Frühstück wieder. Auf dem Weg dorthin wundere ich mich, welches Gewusel um diese Zeit bereits herrscht. Dabei dachte ich, die meisten Gäste würden noch schlafen.
Die Fotoausbeute der Schärenlandschaft des Byfjords an diesem Morgen schränkt das schlechte Wetter extrem ein. Schade. Dennoch bin ich froh, diese traumhafte Landschaft bereits bei schönem Wetter kennengelernt zu haben.
Ans Beobachten des Anlegemanövers vom Pooldeck aus ist heute nicht zu denken. Das Festmachen an der Pier "Bontelabo", wo ich auch 2013 mit AIDAstella schon mal angekommen bin, verfolge ich daher von Deck 5 aus. Hier steht man wenigstens trocken. Schließlich ist unsere AIDAluna sogar etwas früher "an die Leine gelegt". Zeit, meinen Rucksack mit den "sieben Sachen" für meinen Landgang zu packen. Ich will mich schon auf den Weg zur Kabine machen, als die Bordlautsprecher "zum Leben erwachen".
Getreu dem Motto "Der Kapitän spricht zu seinem Volk" (irgendwie mag ich diese Textpassage aus dem Kreuzfahrt-Roman "Ahoi, Amore! Unterwegs auf dem falschen Dampfer" von Jutta Speidel & Bruno Maccallini - auch wenn ich keineswegs auf dem "falschen Dampfer" bin) bringt uns Kapitän Tidow auch heute die wichtigsten Informationen zur vor uns liegenden Destination und den Highlights des Tages näher, während ich auf Deck 5 geschützt vor dem strömenden Regen seinen Ausführungen lausche. Ich weiß nicht, wie er es macht, doch selbst bei DIESEM Regen gelingt es ihm, mit Witz, Charme und Humor uns das Wetter schmackhaft zu machen.
Außer unserer Luna liegen heute noch drei weitere Kreuzfahrtschiffe in Bergen. An der Pier gegenüber machen sich die "Amadea"-Passagiere schon mit leuchtend türkisfarbenen "Phoenix-Kreuzfahrten"-Regenschirmen auf den Weg in Richtung der Sehenswürdigkeiten. Darüber hinaus stattet die "Viking Sea" heute Bergen ebenso einen Besuch ab wie die "Costa Mediterranea". Oh je, das wird heute Mittag auf dem Fischmarkt wieder ein Geschnatter geben.
Jetzt, um 08:45 Uhr, haben wir übrigens nordisch-frische 12 Grad. Davon kann man derzeit in der bis zu 38 Grad heißen Heimat nur träumen …
Da ich mich ja bereits auf den "Ernstfall" - den "flüssigen Sonnenschein" über Bergen - für alle Fälle vorbereitet habe, lasse ich die Sonnenbrille gleich auf der Kabine und entscheide mich für die schicke Regenjacke. Feste Schuhe, Regenschirm und Rucksack geschnappt, verlasse ich um kurz nach 9 auf Deck 3 das Schiff, um endlich wieder norwegischen Boden zu betreten. Ich rede mir jetzt einfach mal ein, Norwegen weint vor lauter Freude über unser Wiedersehen so heftig. Kann man diesem Land etwas übel nehmen?! Niemals!
Noch ist wenig los an der Pier. Das obligatorische Gangway-Foto - für mich als Alleinreisende immer eine schöne Erinnerung - heute passend mit aufgespanntem AIDA-Regenschirm, und schon ziehe ich los in Richtung Zentrum. Einen Stadtplan brauche ich nicht, ich war bereits mehrfach hier und kenne mich daher ganz gut aus. Ich habe hin und her überlegt, ob ich aufgrund des schlechten Wetters überhaupt auf den Fløyen fahre, entscheide mich letztlich aber doch dafür. Meinen ursprünglichen Plan, den Berg hinabzulaufen, verwerfe ich jedoch. Der Weg ist sicher ziemlich rutschig und aufgeweicht.
Die historischen Häuser von Bryggen mit ihren dazwischen entlangführenden hölzernen Wegen glänzen regennass. Sie lasse ich erst einmal "links liegen". Für mich geht´s zunächst zur Fløybahn, bevor der große Andrang kommt. Eine gute Entscheidung, noch sind kaum Menschen da. Kreditkarte gezückt, Ticket gekauft und schon stehe ich an der Bahn, in die ich nach rund 5 Minuten Wartezeit einsteige. Und schon geht es im blauen Wagen hinauf auf Bergens Hausberg.
2018 feiert die "Fløibanen" übrigens ein besonderes Jubiläum: Seit 100 Jahren existiert die einzige Standseilbahn Skandinaviens nun schon in der "Stadt auf den sieben Hügeln". Schön, dass es sie gibt, denn sie bringt die Besucher zu einem besonders schönen Fleckchen Bergen. Die Regentropfen rinnen an den Scheiben hinab, während wir in wenigen Minuten hinauf gebracht werden. Höher und höher geht es. Schließlich bleiben die letzten Häuser am Hang zurück und die Sicht wird weit, wenn auch etwas dunstig.
Auf über 300 Metern Höhe angekommen, bin ich überrascht, wie viele Besucher sich trotz des schlechten Wetters für einen Ausflug auf den Fløyen entschieden haben. Und auch ich bin froh, wieder einmal hier sein zu können. Bei schönem Wetter hier oben zu stehen, ist ja keine Kunst.
AIDAluna vor grauem Panorama … Über der ganzen Stadt liegt ein Dunstschleier, die Fjordlandschaft und die Berge am Horizont erkennt man heute leider gar nicht. Macht aber nichts, dass meine Fotos heute alle irgendwie den "grauen norwegischen Charme" versprühen.
Nach dem Rundblick über die Stadt und einem Foto vom zufällig gerade mal nicht von einer Menschentraube belagerten Steintroll ...
entschließe ich mich, noch eine kurze Wanderung durch die regennasse Natur zum Skomakerdiket-See zu unternehmen. Herrliche Wanderwege mitten durch den Wald werden gesäumt von zarten Gräsern, Farnbüschen, blühender Heide und Preiselbeerpflänzchen mit ihren leuchtend-roten Früchten.
Zwischen den dicht stehenden Baumstämmen immer wieder von Wind und Wetter abenteuerlich geformte und die Fantasie anregende Baumstümpfe und moosbewachsene Felsen. Oder sind es versteinerte Trolle …???
Ab und zu treffe ich auf Wanderer - einzeln oder in Gruppen. Auch ein AIDA-Ausflug kommt vorbei. Schließlich stehe ich nach rund 20 Minuten an einem bei schönem Wetter sicherlich traumhaften See. Heute kommt nur "Wasser zu Wasser": die vielen Regentropfen bilden kleine Kreise auf der Oberfläche.
Ein paar Enten stört das Wetter gar nicht. Laut schnatternd unterhalten sie sich miteinander. Worüber?! Das kann ich nicht ergründen.
Man glaubt gar nicht, dass es auf so einer kurzen Wanderung trotz des eher suboptimalen Wetters so viele Fotomotive gibt - die zarten kleinen Blüten der rosafarbenen Heide … Regentropfen, die Grasbüschel verzieren und glitzern wie lauter Diamanten, Trauben knallroter Preiselbeeren, Rispen der blühenden Waldweidenröschen, verwitterte, gewundene graue Wurzeln, die halb aus einem aus Millionen brauner Fichtennadeln bestehenden Teppich herausschauen. Bizarr geformte Farnstängel …
Für mich als Naturfreundin ein wahrer Traum.
Dennoch darf ich die Zeit nicht aus den Augen verlieren, denn ich habe heute in Bergen noch so Einiges vor.
Auf dem Weg zurück zur Bergstation der "Fløibanen" komme ich an einem kleinen "Trollwald" vorbei - mit etlichen aus Holz geschnitzten Trollfiguren, teilweise noch ganz neu, teilweise bereits verschiedenen Stadien des Verfalls preisgegeben. Doch das macht die mitunter sehr grimmig schauenden Geister Norwegens noch ein bisschen geheimnisvoller. Bei Dunkelheit oder Gewitter, wenn ein zuckender Blitz die Szenerie nur für Sekunden erhält - ach, das hat dann bestimmt seinen gruseligen Reiz.
Heute finde ich sogar ein paar Pilze. Ob ich mir die heute Abend auf dem Schiff braten lassen kann?! Nein, Scherz. Das ginge natürlich nicht. Dennoch nehme ich sie mit - ausschließlich als Fotomotive.
Noch ein Rundblick von der Terrasse, über Stadt, Fischmarkt, den Vågen und die vier Kreuzfahrtschiffe, bevor ich gegen 11 Uhr mit der blauen Bahn wieder zu Tal fahre. Es war trotzdem wieder einmal sehr schön hier oben. Eines Tages komme ich garantiert wieder. An der Talstation hat sich inzwischen eine wirklich lange Schlange gebildet. Gut, dass ich so zeitig war.
Das steile Gebiet oberhalb der Talstation ist das Viertel Alt-Bergen. Hier findet man wirklich urige schmale Gassen zwischen niedlichen alten, meist weiß gestrichenen Holzhäuschen, deren Fassen geschmückt sind von tollen Blumen-Arrangements, die Fensterbänke liebevoll mit kleinen Figuren - häufig maritim - gestaltet. Hier eine filigrane Laterne neben der Haustür, dort ein bunt bemalter Briefkasten. Hier ist es einfach paradiesisch schön.
Und hier findet man ein auf den ersten Blick eher unscheinbares, aber total gemütliches Café, das jede Menge Kreationen mit mehr oder weniger Koffein anbietet: "Det Lille Kaffecompaniet" in der Nedre Fjellsmauet 2, nur wenige Meter von der Talstation der Fløybahn entfernt. Dort lasse ich mir jetzt einen leckeren Cappuccino schmecken. Aufgrund des Wetters beschränken sich die ohnehin schon wenigen Sitzplätze auf den Innenraum, wo man neben drei oder vier kleineren Tischen noch ein paar Hocker am Tresen oder am Fenster findet. "Das Auge isst (oder trinkt) mit" - kunstvoll wird mein Cappuccino verziert.
Ich wähle einen Fensterplatz mit Blick auf die schmale Gasse und genieße mein leckeres Heißgetränk. Nach dem Motto "Big Dog is watching you" werde ich aus dieser Perspektive immer wieder neugierig von einem vor der Tür angebundenen großen schwarzen Königspudel beobachtet. Ein Blick zum Herzerweichen.
Schön isses hier - urig und einladend. Und eigentlich könnte ich hier noch ewig sitzenbleiben. Doch mein weiteres Besuchsprogramm ruft. Also lasse ich Cappuccino-Tasse und Königspudel hinter mir und konzentriere mich auf Meeresfrüchte und Eisfiguren.
Fortsetzung folgt …
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