Freitag, 18. Mai 2018
Es ist zu früh!
Das denken wir zumindest, als um zwanzig vor sieben der Wecker klingelt.
Aber es hilft nichts, wir müssen aufstehen.
Der Hafen Gdynia empfängt uns ziemlich kalt und recht trüb, sodass wir drinnen im Weite Welt Restaurant frühstücken.
Unsere Rucksäcke haben wir gestern Abend schon gepackt, also haben wir nicht mehr allzu viel zu tun.
Nele ist eine sehr geübte „Packerin für alle Fälle“, ich kenne kaum jemanden, der ähnlich effizient eine für fast jeden beliebigen Anlass perfekt passende Komposition zusammenstellen kann.
Wenn man mit Nele verreist, hat man eigentlich immer alles dabei, was man irgendwie gebrauchen könnte, ohne sein Gepäck zu überladen.
Eine erstaunliche Gabe, und eine sehr nützliche dazu.
Etwas müde sind wir dann um zwanzig vor neun auf Pier 3 beim Bike-Counter.
Dort warten schon einige andere Menschen mit Fahrradhelmen und Rucksäcken auf uns, wir scheinen richtig zu sein.
Die Guides stellen sich vor, mit uns fahren heute drei von ihnen.
Die beiden anderen sind mit der Pedelec-Tour unterwegs.
Wir bekommen eine kurze Einweisung, wie man einen (ganz stinknormalen) Fahrradhelm anlegt. …
Also wenn man mich fragt, sollte jeder, der das nicht weiß, sich gut überlegen, ob er überhaupt auf ein Fahrrad steigen möchte…
… und dann gehen wir nach draußen.
Dort warten unsere Fahrräder (Marke: Rose) auf uns.
Wir bekommen sie ausgehändigt und unsere Gruppe, die aus 18 Personen plus Guides besteht, ist startklar.
Nach einer kurzen Proberunde geht es dann richtig los.
Wir fahren erst einmal durch den Industriehafen und durch Gdynia.
Das ist nicht besonders spektakulär, aber das Radfahren macht Spaß.
Es ist bewölkt aber trocken.
In Gdynia wird im Moment viel gebaut, und so fahren wir teilweise über Schotterpisten und einmal sogar über einen Weg, der gerade mitten im Bau ist.
Die Guides waren selbst noch nie hier, wie sie uns am Anfang erzählt haben.
Bislang schlagen sie sich tapfer.
Über eine Wiese erreichen wir ein Waldstück.
Auf dem Waldboden kann man ganz gut fahren, allerdings ist es steil.
Ziemlich steil, und lang.
Die ersten geben auf und schieben.
Ich halte noch eine Weile durch, aber dann kapituliere auch ich.
Dabei bin ich jedoch in guter Gesellschaft, geschätzt 70 Prozent der Gruppe hält nicht bis oben durch.
Am Ende des Waldstückes angekommen erzählt uns der Guide etwas über Gdynia und wir kommen kurz zu Atem und trinken etwas.
Weiter geht es über Straßen, recht viel an gut ausgebauten Strandpromenaden vorbei und dann wieder durch einen Wald.
Auf einmal wird gestoppt, der Weg ist zu Ende.
Wir schieben die Räder ca. 200 m über den Strand und werden darüber informiert, dass wir jetzt in Sopot sind.
Dort machen wir eine halbstündige Pause, die Guides bewachen die Fahrräder.
Generell ist Sopot bestimmt sehr schön, es gibt viele herrschaftliche Gebäude und einen breiten, langen Steg ins Wasser.
Heute hat Sopot nur einen großen Fehler: Es ist alles regengrau.
Nele und ich kaufen uns trotzdem eine Karte für je 1,90 Euro und spazieren im Nieselregen über den Steg.
Alles sehr ordentlich und sauber.
Dann wird der Regen stärker und wir gehen mit schnellen Schritten zum Ausgangspunkt zurück, der zum Glück überdacht ist.
Dort macht sich die gesamte Gruppe regenfest: Schutzhülle über den Rucksack, Regenjacken zu, Kapuze über den Helm.
Ich finde, wir sehen alle ein bisschen aus wie Wurzelzwerge.
Hat irgendwie was von Schneewittchen.
Im strömenden Regen fahren wir los, aber dieser lässt dann auch wieder schnell nach.
Das Wetter wird immer besser und als wir schließlich gegen 12 Uhr in Danzig ankommen, ist es sonnig, warm und trocken.
Die Guides erzählen uns etwas über das Denkmal mit Ankern das wir gerade durchfahren haben.
Es hört sich nicht so an als hätten sie das vor fünf Minuten auch schon gewusst.
So langsam frage ich mich, ob sie sich überhaupt im Vorhinein schon auf diese Tour vorbereitet haben, oder einfach nur drei Minuten lang vor der jeweiligen Sehenswürdigkeit den Reiseführer durchblättern.
Wir machen zunächst eine kleine Stadtrundfahrt, allerdings hat Nele dann auf einmal einen „Waldorf-Astoria-Moment“.
Unser Guide nimmt das Ganze nicht so ernst, was Nele ziemlich ärgert.
Bei dem zweiten Stop verschwindet sie daher einfach in einem, wie sie es nennt, „Oma-Café“.
Viel verpasst sie nicht, die Erklärungen der Guides zu einer Kirche sind recht stockend und nicht allzu aufschlussreich.
Ich habe auch einen Reiseführer dabei, der mir wesentlich mehr Infos gibt. Hm.
Noch ein paar Kurven, und dann fahren wir durch ein Tor in die Altstadt.
Wow, Danzig ist überraschend schön!
Tolle alte Gebäude, eine großzügige Kopfsteinpflasterstraße und überall etwas zum Anschauen.
„Alle Absteigen, Pause!“
Die Fahrräder werden ordentlich und sicher aneinander gekettet, und dann haben wir eineinviertel Stunden Zeit, um die Stadt zu erkunden.
Wir schlendern herum und besuchen zuerst die Bonbonmanufaktor.
Dort kann man live zuschauen, wie Bonbons hergestellt werden, das ist sehr interessant.
Außerdem kann man natürlich unzählige, meist quietschbunte Bonbonsorten erwerben.
Wir müssen lachen, als wir Bonbons mit dem Schriftzug „Aida“ sehen, und natürlich können wir da nicht widerstehen.
Clevere Geschäftsidee, Respekt.
Einen Starbucks gibt es in der Altstadt leider nicht, das hat Nele schon im Voraus recherchiert.
Dafür den Artushof, ein imponierendes Gebäude, das im 14. Jahrhundert errichtet wurde und welches im 15. Jahrhundert nach einem Brand wieder aufgebaut wurde. Dort tagten Kaufleute und örtliche Brüderschaften, außerdem diente das Gebäude als Getreidebörse.
„Schau mal, da ist dein Mädel mit der Waage“ macht mich Nele kulturell präzise wie immer aufmerksam.
Ja, stimmt, links oben in der Nische steht sie, Justitia, mit Schwert und Waage.
Ob sie auch ihre Augenbinde trägt, das Zeichen der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit, kann ich von hier unten nicht genau erkennen.
Ich winke ihr freundlich zu, das macht man schließlich, wenn man eine Kollegin im Urlaub trifft.
Gemütlich schlendern wir dann am „Soprano“ vorbei, wo es ein ganz besonderes, da kunstvoll hochgedrehtes, Eis geben soll.
Da die Schlange sehr lang ist und wir nicht mehr allzu viel Zeit haben, beschließen wir auf diese Erfahrung zu verzichten.
Auf so einer Kreuzfahrt isst man sowieso zu viel.
Aber lecker sieht es aus.
Ich kaufe mir als Andenken ein schönes T-Shirt aus dem Hardrock-Café Shop, und gegen kurz vor zwei fahren wir dann weiter.
Bei herrlichem Sonnenschein geht es noch ein bisschen durch die Stadt.
Mit unseren Guides sind wir allerdings nicht ganz so zufrieden.
Unsere Bike-Tour war mit dem klangvollen Titel „Der Historische Biketag“ überschrieben und versprach eine „Stadtrundfahrt mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten.“
Die kreuzfahrterfahrene Nele hat schon oft mit Aida-Guides Biketouren erlebt, und immer war sie ganz begeistert davon, wie perfekt dort körperliche Aktivität und Wissensvermittlung zusammengemixt wurden.
Die Wissensvermittlung ist heute eher… nun, sagen wir mal höflich, kreativ und improvisiert.
Exemplarisch sei dafür die Geschichte mit dem Goldenen Tor erzählt.
Unser Guide stoppt unsere Fahrradtruppe mit großer Geste und beginnt pathetisch: „Das hier ist jetzt eine ganz wichtige Sehenswürdigkeit, nämlich das Goldene Tor.“
Ich runzle die Stirn.
Wir stehen zwar vor einem Tor, aber golden ist das nicht.
Und von meinem kurzen Durchblättern des Reiseführers gestern habe ich ein anders Bild im Kopf.
Aber naja, ich bin ja keine Reiseleiterin.
Eine Minute lang ergeht sich der Guide in salbungsvollen Erklärungen, als ihn die sonore Stimme eines Mitfahrenden mittleren Alters unterbricht.
„Entschuldigung, aber das hier ist nicht das Goldene Tor. Das ist ein paar hundert Meter weiter.“
Die Guides kichern etwas nervös, blättern hektisch in einem Reiseführer, beraten sich kurz und kommen dann zu dem Ergebnis, dass der Mann wohl recht hat.
Das richtige Goldene Tor finden wir dann doch noch, es hat goldene Verzierungen und ist sehr stattlich.
Ich bin wirklich niemand, der schnell meckert.
Aber wenn ich als Guide dafür bezahlt werde, eine Biking-Stadtrundfahrt zu machen und den Mitfahrern die Sehenswürdigkeiten zu zeigen, dann schaue ich doch vorher zumindest mal ein bisschen in den Reiseführer und lese mir eine halbe Stunde lang die wichtigsten Infos an.
Aber das wäre ja noch zu verschmerzen gewesen.
Doch irgendwie scheinen die Guides nach dem Vorfall mit dem Goldenen Tor nicht mehr allzu motiviert zu sein.
Auf dem Rückweg passen sie nicht gut auf die Gruppe auf, an einer Ampel fahren sie einfach weiter und ein Drittel der Gruppe muss sehen, wie sie alleine mit einem Spurwechsel auf einer recht gut befahrenen Straße zurechtkommt und die anderen vor sich verschwinden sieht.
Das ist nicht so prickelnd.
Darauf von Nele angesprochen fühlt sich der Guide aber nicht wirklich dazu bemüßigt, mal ein Wort der Entschuldigung zu sagen.
Na, dann eben nicht.
Um halb drei sind wir am Busparkplatz angekommen und geben die Räder ab.
Mit dem Bus geht es über mit Staus übersäte Straßen zurück zum Schiff.
Trotz der eher durchwachsenen Situation mit den Guides war Danzig definitiv eine Reise wert, dorthin werde ich bestimmt noch einmal ohne Schiff wiederkommen.
An diese Stadt hatte ich vor unserem Urlaub kaum Erwartungen und wurde positiv überrascht.
Auf unserer AidaBella zurück genehmigen wir uns etwas Pizza aus der Pizzeria Mare und gesellen uns dann zu den vielen Schaulustigen auf das Pooldeck.
Heute ist nämlich das „Offiziersshaken“ angesagt, auf und vor der Bühne sind Cocktailstationen aufgebaut. Dann erklingt Musik, und feierlich kommen in einer umjubelten Parade die Offiziere heraus.
Sie scheinen sehr guter Laune zu sein, schütteln rhythmisch ihre Shaker und stellen sich dann auf in Position.
Man kann spezielle Münzen erwerben, die dann gegen einen Cocktail nach Wahl eingetauscht werden können.
Die Münzen wirft man in ein durchsichtiges Glas am jeweiligen Cocktailtisch und am Ende wird geschaut, welcher Offizier die meisten Cocktails verkaufen konnte.
Wer gewonnen hat weiß ich nicht mehr, aber die Cocktails waren wirklich lecker.
Um 17 Uhr legen wir ab, auf Wiedersehen Danzig.
Wir machen uns fertig und gehen im Weite Welt Restaurant essen.
Es ist deutlicher Seegang, zum ersten Mal auf unserer Reise.
Dieser in Verbindung mit den Cocktails lässt mich ein wenig daran zweifeln, ob ich heute so lange durchhalten werde.
Da es Nele ähnlich geht, gehen wir heute mal etwas früher auf die Kabine.
Kurz vor dem Einschlafen denke ich für einen kurzen Moment an Meghan Markle, die Morgen ihren Prinzen heiraten wird.
Na, ob das so ein erstrebenswertes Leben ist…
Aber das muss ja jeder selbst wissen.
Und dann freue ich mich darauf, dass wir Morgen in Kopenhagen sein werden, einer Stadt, die ich schon immer gerne mal besuchen wollte.
Meine Augen fallen zu und die Wellen wiegen mich sanft in den Schlaf.