12. Juli 2017 – Riga
Wir ließen es an diesem Tag langsam angehen – ein verspätetes Frühstück und anschließend trafen wir uns vor dem Schiff. Natürlich mussten wir unsere AIDAcara ausgiebig bewundern. Und natürlich konnten wir uns losreißen, denn in Riga gab es noch einiges zu besichtigen. Erst einmal entlang der Düna-Promenade. Kurz vor dem Rathausplatz gab es eine Hinterlassenschaft aus der Zeit, die die Letten gerne übersprungen hätten. Das Sowjet-Ära-Denkmal für die lettischen roten Schützen. Aber auch das gehörte zu der Geschichte des noch jungen Staates. Von hier aus sahen wir unser erstes Ziel dieses Tages – die Petrikirche.
Nicht der Dom sondern die Petrikirche galt schon immer als wichtigstes Gotteshaus der Stadt. Mit dem Bau begann man im 13. Jahrhundert – wie in vielen ähnlichen Fällen erfolgte mit dem Wachsen der Städte die sukzessive Erweiterung der Petrikirche, woraus auch kein reiner Stil zu erkennen war. Gotik und Barock herrschten vor. Der Turm ist mit 123 m der höchste der Altstadt. Und ein Touristenmagnet – denn ein Fahrstuhl führt die Gäste zu einer Plattform in 71 m Höhe. Natürlich waren auch wir oben und hatten bei bestem Wetter einen schwer zu beschreibenden Rundumblick. Mit der Johanniskirche im Vordergrund war die Struktur der Altstadt sehr gut zu erkennen. Hochbau an Hochbau. Verwinkelte Gassen. Alte Häuser aus der Jugendstilzeit, aber auch neuere Zweckbauten. Die Düna mit Promenade, die riesigen Markthallen, die Akademie der Wissenschaften, der Fernsehturm.
Ältere, wieder aufgebaute Häuser sowie Neubauten, die das Gesamtensemble nicht stören. Die die Düna überspannende Rundbogen-Eisenbahnbrücke.
Das Dach des Schwarzhäupterhauses, das Sowjet-Ära-Denkmal für die lettischen roten Schützen, rechts davon das Okkupationsmuseum. Die die Düna querende Akmens-Brücke, an deren linken Ende das hypermoderne Riga IT Demo Centre profundes Wissen vermitteltet. Ein für die Stadt typisches Häuserensemble.
Der Livenplatz mit den Gildehäusern. Der Konzertsaal und dahinter der langgestreckte Bau des Finanzministeriums. Der Pulverturm.
Das Freiheitsdenkmal mit der lettischen Göttin der Liebe und Freiheit Milda; dahinter die Christi-Geburt-Kathedrale.
Und das war´s von oben – unglaublich schön, über das Gassen- und Häusergewirr blicken zu können. In dem Fahrstuhl bewegten wir uns wieder nach unten und besichtigten kurz den Innenraum der Petrikirche.
Das mittlere Schiff ist 30 m hoch; auch im Inneren überwiegt die Backsteingotik. Farbtupfer gab es durch die Wappen der mit Bestimmtheit nicht einfachen ehemaligen Bewohner Rigas. Aus dem üblichen Rahmen fiel das Auferstehungsgemälde des lettischen Kunsthistorikers, Malers, Autors und Restaurators Imants Lancmanis.
Dass der Barock in der Petrikirche nicht fehlen durfte, zeigte das in eine Ecke gequetschte Grabmal.
Weg vom Barock – hin zum Jugendstil, der uns den ganzen Tag noch begleiten sollte. Wir streiften durch die Gassen und sahen immer wieder prachtvoll restaurierte Gebäude. Auch der Zentralmarkt war wieder hergerichtet worden.
Fünf riesige Hallen – die einst einen anderen Zweck erfüllt hatten. Während des ersten Weltkriegs standen sie auf dem Luftschiffhafen Wainoden im Südwesten Lettlands – allerdings waren sie viel höher. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre wurden sie nach Riga gebracht, dem Verwendungszweck angepasst und 1930 als größter Umschlagmarkt für Lebensmittel eröffnet. Fünf riesige Hallen, jeweils eine für Fleisch; Molkereiprodukte, Brot und Lebensmittel, Obst und Gemüse
sowie Fisch lockten täglich Tausende Käufer an. Wie auch uns, die nicht nur schauten sondern auch kauften. Allerdings nicht in einer Halle sondern auf dem Vorplatz, auf dem an unzähligen Ständen neben Obst alles angeboten wurde, das man in Wirklichkeit nicht benötigte … Aber immerhin – Kreuzfahrergerda und meine bessere Hälfte erwarben jeweils einen schneeweißen, vor der Sonne schützenden Topfhut!
So vor der Sonne geschützt, machten wir uns auf Richtung Altstadt. Einen Vorteil zeigte Riga …
Den suchte ich bisher vergeblich in Roermond und Soltau … Wenn ich Zeit haben sollte, werde ich den Centermanagements einen Verbesserungsvorschlag vorlegen!
Der Hunger erzeugte merkwürdige Magentöne. Also auf zur Suche nach einem Futterlokal. Das sah sehr gut aus – stilecht für Riga! Aber italienisches Essen in Riga? Nee – nicht mit uns! Außerdem suchten wir Plätze an der Sonne, um das Treiben in Rigas Gassen mitzuerleben. Wir fanden einen für uns freien 6er Tisch und ließen uns Soljanka auf lettische Art servieren.
Dazu ein einheimisches Bier – es schmeckte einfach nach mehr. Doch Mehr hatten wir erst am Abend auf unserem Schiff. Und schon kam etwas vom Schiff. Genauer – von Floppy. Sie informierte uns per SMS, dass das Auslaufen von 16 Uhr auf 18 Uhr verlegt worden war. Prima – für die von unserer Truppe, die noch mehr sehen wollten. „Die von unserer Truppe“ war nur ich. Ganz alleine in dieser großen Stadt. Der Rest der Bande machte sich langsam Richtung AIDAcara auf – ich stürzte mich noch einmal in das Gassengewimmel. Halt machte ich beim Mentzendorffhaus.
Ende des 17. Jahrhunderts von einem deutschstämmigen Adeligen errichtet, ging es später in das Eigentum von Händlern über, die es bewohnten und in den unteren Räumlichkeiten ihre Waren anboten. Es wurde nach der Unabhängigkeit Lettlands zu einer Nebenstelle des Rigaer Stadtmuseums; in ihm werden bei wechselnden Ausstellungen gezeigt, z.B. wie früher wohlhabende Bürger lebten.
Meine nächste Station war die etwas mehr als 100 Jahre alte Peitav-šul-Synagoge.
Sie überstand als einzige Synagoge in Riga den Zweiten Weltkrieg. Die deutschen Besatzer steckten sie nicht in Brand, da sie befürchteten, dass das Feuer die unmittelbar in der Nachbarschaft stehenden Gebäude in Mitleidenschaft ziehen konnten. Dann ging´s mal kurz um die Ecke und schon stand ich in einer Gasse, die von Häusern mit einem morbiden Charme begrenzt wurden. Die alten, noch nicht renovierten Speicherhäuser, die für den Handel Russlands wichtig waren. Ich bin sicher, dass auch in den Randbezirken der Altstadt demnächst Hand angelegt wird, damit diese Häuser auch mit denen im Mittelpunkt der Altstadt wetthalten können. Diese Hoffnung begründet sich auch darin, dass diese Gegend als zusätzliche kleine Kulturmeile gilt. Ein herausgeputztes Beispiel ist das Haus des literarischen Musikklubs Četri Balti Krekli.
Auf dem Weg Richtung Stadtkanal passierte ich ein imposantes Jugendstilhaus, das seinesgleichen sucht. Endlich ein bisschen weniger Kultur – hier im Park des Stadtkanals am Rande der Altstadt! Aber nicht sehr lange … den Park begrenzte eine der Prachtstraßen mit repräsentativen Bauten. Ein Gebäude schien mich anzuziehen … die Deutsche Botschaft, die auch schon fast 150 Jahre auf den Buckel hatte. Zum Glück nicht zu weit entfernt sah ich mein nächstes Ziel und damit viel Grün – die Esplanade. In Zarenzeiten durften sich hier die einfachen Soldaten mit Exerzieren vergnügen – heute machen es sämtliche Bürgerschichten in jedem Alter beim Spazierengehen, in der Sonne Sitzen oder auf dem Spielplatz. Bevor ich dort ankam, musste ich zunächst das Bezirksgericht von Riga
auf den Speicherchip bannen. Dann gingen meine Blicke Richtung Park – welch eine Pracht am Rande der Grünanlage. Die Christi-Geburt-Kathedrale zog nicht wenige Besucher, aber auch Gläubige an. Diese russisch-orthodoxe Kathedrale mit den fünf nicht zu übersehenden Kuppeln wurde Ende des 19. Jahrhunderts geweiht, überstand die beiden Weltkriege mehr oder weniger unbeschädigt und wurde 1963 nach der von der Kultusministerin Russlands verfügten Schließung als Gotteshaus als „Haus der Wissenschaften“ und als Planetarium sowie als Café mit dem damals üblichen Namen „Ohr Gottes“ genutzt. Nach der Lösung Lettlands von der Sowjetunion wurde die Kathedrale aufwendig restauriert und wieder ihrer von Anfang an geplanten Verwendung zugeführt.
Die Füße qualmten allmählich – also machte ich mich langsam aber sicher auf den Rückweg zum Schiff. Zunächst durch die weitläufige Esplanade, in der ich von einem gütig wirkenden Letten aufgehalten wurde. Jānis Rainis wurde aus rotem Granit herausgehauen. Ein lettischer Schriftsteller und Politiker, der mit seinen Werken zur Schlüsselfigur der ersten lettischen Unabhängigkeitsbewegung wurde und damit als überzeugter Sozialdemokrat ins Exil gehen musste.
Wie lauschig Spaziergänge am Rande der Altstadt sein konnten, erkannte ich an einem Teil des Stadtkanals.
Es gab sogar ausgeschilderte Bootsparkplätze!
Und schon passierte ich zum dritten Mal die Jakobskasernen. Am Vorabend war hier viel mehr los! Na ja, wahrscheinlich war die Mehrzahl der Letten am frühen Nachmittag noch nicht richtig wach … Ich ja, denn ohne Umwege erreichte ich unsere AIDAcara. Rechtzeitig zum Kaffeetrinken - natürlich im Außenbereich des Calypso. In erster Lage Richtung Altstadt.
Und der große Stress begann mit einem kurzen Regenschauer, der sich zum Glück schnell verzog. Alles stürzten in den Innenbereich, anschließend wieder nach draußen. Kaum hatten wir an der frischen Luft Platz genommen, kam der nächste Schauer, der zu unserer Freude nach einem ausgiebigen Guss wiederum schnell verschwand. Die Sonne gab wieder ihr Bestes – es wurde richtig warm. So war es auch beim Beginn des Abendessens, das wir wieder auf dem Außendeck des Calypso parallel zum Auslaufen zu uns nahmen. Zum einen gab es „Teppanyaki Grill“, die Küche Asiens, zum anderen das unter der von der Sonne, Wolken und blauem Himmel liegende, zurück bleibende Riga. Für den Magen und für die Augen. Was war besser? Es war zunächst schwer, sich auf das Essen zu konzentrieren … die Türme Rigas faszinierten uns noch immer.
Auch die Silhouette des neuen Rigas. Bis der Industriehafen ins Blickfeld kam, dessen Bauten von weiten Grünflächen umsäumt wurden. Und mit gellenden Rufen verabschiedet wurden: „Schnapsi-Taxi!“
Nach etwas mehr als eine Stunde erreichten wir die Mündung der Düna.
Und uns der Wind. Unsere Augen nahmen einen ungewohnten Anblick auf: links und rechts der Düna lange, gold-gelbe Strände und bis zum Horizont Wälder. Die Natur des Baltikums. An ein Verziehen in die Innenbereiche war nicht zu denken – eher in das Einmummeln in dicke Jacken und AIDA-gelbe Decken. Herrlich – unsere Unterhaltungen und Wortspiele bei Wasser und Brot –
nein, bei Bier und Wein. Nonsens pur. Aber unterhaltsam. Zumindest für uns. So lange, bis sich die Sonne aufmachte, ihren Taufgang in das Meer zu beginnen.
Ein wunderbarer Sonnenuntergang …