- Offizieller Beitrag
Ich weiß, ich weiß, ich habe diese Geschichte schon öfter erzählt. Aber erstens muss ich selber immer wieder grinsen, wenn ich daran zurückdenke, und zweitens gibt es bestimmt noch jemanden unter Euch, der sie noch nicht kennt.
St. Vincent – A day with Brodda
Zur Osterreise 2008 mit der Aura habe ich keinen ausführlichen Reisebericht geschrieben, aber ein Tag, der geht mir nicht aus dem Kopf, und ein Mann verdient besondere Erwähnung.
Sahara, Ha-Gue, Lastorder, Doctorfish, Sisserl und ich hatten beschlossen, dass wir an den Strand wollen. Also suchten wir uns direkt am Hafenterminal ein Taxi. Ein Dispatcher teilte die Taxen zu (wir fuhren mit einem offiziellen Taxi der örtlichen Genossenschaft) und unser Fahrer stellte sich uns vor. Er war ein schmaler dunkelhäutiger Typ, der grinste, aber trotzdem ernsthaft blieb bei all seinen Erklärungen und Versicherungen. Seine Augen waren ein wenig gerötet, die Jungs hatten wohl am Vorabend zuviel Rum gehabt, oder schlechten Stoff erwischt, oder gleich beides.
„Call me Brodda, Sir“, grinst er.
„Brodda?“, frage ich verunsichert.
„Yes, Sir“, gibt er zurück, erstaunt dass ich ihn nicht verstehe, „Brodda, as in Little Brodda or Big Brodda.“
Alles klar, Mr. Brodda hatte Probleme mit dem Ti-Äitsch.
„What do ya want? Round trip da island, to da beach? I know da best beach on da island, Sir.“
„Just to the beach, please. How much is it?“
Ehrlich gesagt, ich weiß den Preis nicht mehr. Es war wohl OK, für die Fahrt, das Warten am Strand und für den Unterhaltungswert allemal.
Brodda fuhr einen Japaner oder Koreaner, top-gepflegt und recht neu. Er pflegte aber nicht nur sein Auto, sondern auch seinen ganz eigenen Fahrstil, und der sah so aus:
Gas geben, bis wir so bei 80 bis 90 Ka-Em-Ha waren, dann abrupt bremsen, weil ein Schlagloch im Weg war, eine Kreuzung kam oder weil ein Hund, ein Kind oder sein Dealer über die Straße lief.
Vollgas – Bremsen - Schlagloch – Schlenker – Vollgas – Bremsen – Schlenker – Vollgas.
Auf dem Weg zum Strand gab Brodda uns reichlich Erklärungen zu seiner Insel ab, hin und wieder hielt er auch an, um uns die örtliche Fauna näher zu bringen. Aber zunächst stellte sich der Philosoph in ihm vor.
„I love da island, cause dis is my home. I have love in me for all my home, my people, for all people, cause if I have no love, da vulcano will come for me. Yah mon, one love, all one big family. If you have no love, da vulcano comes for you.“
Gemeint war der Soufrière, ein aktiver Vulkan, der letztmalig 1979 ausgebrochen war. Nun, man hatte ihn wieder eingefangen, und solange Brodda genug Love hat, wird der Vulkan wohl friedlich bleiben.
Während der rasanten Fahrt nahm Brodda auch gerne mal einen Plan der Insel zur Hand, um mir darauf die Lage der verschiedenen Sehenswürdigkeiten zu zeigen, oder die Teile der Grenadinen, in denen Donald Trump gerade 300 Millionen Dollar investiert hatte.
„You can come to my country, too, and invest, Sir, you will be welcome. My people go to your country, and you can come to my country, all one big family, sir.“ Solange die Saint Vincentianer – oder sagt man Vincentinesen – nicht als Englischlehrer arbeiten oder als Taxifahrer, sollen sie kommen.
Am Strand herrschte Hochbetrieb („You gonna mix up wid da local people.“), denn es war noch Ostern, und die eine Hälfte der Inselbevölkerung, die sonst arbeitete, hatte auch frei. Kinder spielten Cricket am Strand, Familien bereiteten das Bar-B-Q vor (allerdings grillten Sie wohl mit alten Autoreifen.) Der Strand war Broddas secret beach, aber nicht nur seiner, denn es waren schon gelb-weiße Handtücher da. Und es gab eine Verpflegungsstation für Taxifahrer. Weil Brodda ein großes Herz mit viel Liebe darin hatte, bot er uns von seinem Mittagessen an.
Hmm, lecker, werdet ihr denken, karibisches grilled chicken oder grilled fish, lecker. Nahe dran, es war so ähnlich. In einem Plastikbecher hatte er eine undefinierbare grau-güne heiße Pampe.
„Try it“, bot er an, „it’s very good.“
Wer die Berichte von Schinamarkus aus Shanghai aufmerksam verfolgt, der weiß, wenn etwas very good ist, und nur so ähnlich aussieht wie Essen, dann ist es meist mit Vorsicht zu genießen.
„Is it to drink or to rub on the skin?“, fragte Sisserl skeptisch.
„No, it’s to drink, it´s very good for your held, Mam, try it.“
Oha, wieder denken wir an Schinamarkus, denn wenn etwas very good for your health ist, dann sollte man still und heimlich verschwinden. Nicht so Sissi, sie kostet das Zeug, ebenso Ha-Gue und Lastorder. Es war heiß, nach wie vor undefinierbar, schien aber total verkochtes Gemüse zu sein.
„Dis is very good for the men, too“, freute sich Brodda, „Makes you last longer, you know, dat will make da ladies happy.“ Viagra auf St. Vincent. One love.
Der Strand war grau, weil der Sand vermischt war mit Vulkangestein und er gefiel uns nicht ganz so gut, aber das Wasser war klar und warm, es gab Bier (das hatte der Doctorfish aufgetan, mit seiner untrüglichen Biernase, außerdem wurde er auch zum Cricketspielen eingeladen), was will man mehr. Mucke dröhnte über den Strand, und kleine schwarze Kinder spielten mit kleinen weißen Kindern, ohne ein Wort der Sprache zu verstehen. Es kann so einfach sein. One Love, all one big family.
Auf dem Rückweg setzte ich mich zu Brodda nach vorne, ich wollte noch etwas über die Insel erfahren. In einem Becherhalter am Armaturenbrett hatte er anscheinend schon was für die Tea-Time parat gelegt. Ich hoffte, er würde davon nicht auch noch anbieten. Denn entweder war das Fisch, der da in der Sonne ranzig wurde, oder Obst, das so langsam in den Zustand der Vergärung überging, oder beides, und es war bestimmt auch very good for my health.
„I apologize for da bad road conditions, Sir, but our gouvernement took all da money for da roads and put it in da pockets of friends and family.“ Dabei sprach er das ‚A’ in 'and' oder 'family' wirklich wie ‚A’ aus und nicht wie ‚Ä’. Ich ließ ihn wissen, dass ich Verständnis habe, denn bei uns sei es auch nicht anders, nur die Beträge eben größer. Brodda fuhr natürlich immer nach bewährter Weise:
Vollgas – Bremsen - Schlagloch – Schlenker – Vollgas – Bremsen – Schlenker – Vollgas.
Aber Brodda war voll multitasking-fähig: Inselplan falten, Gespräch führen, Auto fahren, mit dem Finger auf etwas zeigen – alles gleichzeitig, no problem. One love.
„Look at dat tree, sir“ deutete er mit der rechten Hand aus dem linken Fenster (die andere Hand hielt noch den Plan), „dis is a mango tree. We have over 250 different species of mangos. Da mango is a very clean fruit, no worms, you can take da mango direct from da tree to ya mout.“ Dabei grinste er wie ein Honigkuchenpferd, aber ich hatte was gelernt.
Vollgas – Bremsen - Schlagloch – Schlenker – Vollgas – Bremsen – Schlenker – Vollgas.
Vollbremsung! Stillstand!
Brodda steigt aus und pflückt eine Pflanze.
„Look at dis, rub it in your hands and smell it.“
Wir schauen, reiben, und riechen, skeptisch und vorsichtig – aha – Minze.
„Peppermint“, ruft Sisserl.
„Dank you, mam, dats right, peppermint. You can have tea from peppermint. I have it every morning. You can have it wid cream, you can have it wid sugar. Dats very good for da held. You have peppermint all day, you don’t need a doctor. All da young people go to the pharmacy, but the island has all medicine you need growing outside. You drink hot peppermint it makes you sweat, and da sweat takes all da bad tings out off your body. But you must have love, too. All one big family.“ Und schon ging’s weiter.
Vollgas – Bremsen - Schlagloch – Schlenker – Vollgas – Bremsen – Schlenker – Vollgas.
Vollbremsung!
Brodda pflückte wieder was.
„Look at it, rub it, smell it“.
Nun waren wir schon mutiger. „Lemongrass“, rief Sisserl aus.
„Dank you Mam, yes Lemongrass. It is good for your held. I have lemongrasstea once a week. You can have it wid cream and you can have it wid sugar.“
„We have lemongrass in germany“, warf ich unvorsichtigerweise ein, „it’s imported from Asia. The Thais are runnig the business“.
„Sir, we can do the Thai's business“, schlug Brodda ernsthaft vor, „we can bod make a living out of dis. I support you wid lemongrass and you sell it at home.“ Schöne Idee: Brodda & Morris Importgesellschaft mbH & Love KG.
Und wieder: Vollgas – Bremsen - Schlagloch – Schlenker – Vollgas – Bremsen – Schlenker – Vollgas.
Das Ganze fand übrigens statt unter dauerndem Protest von Hague und Sahara, die meinten, ich solle Brodda sagen, er solle langsamer fahren. Nun ja, ich genoss die Fahrt viel zu sehr, denn außer Brodda war ich der einzige, der die Schlaglöcher kommen sah und die Schlenker ahnte, und Brodda hatte so viel Love, das würde schon gut gehen.
Ich erhielt noch Erklärungen über die Bemühungen, sich aus dem Commonwealth zu lösen, die Brodda gar nicht gut fand; über den Gouverneur, der unbedingt bleiben müsse, denn er kontrolliert die Regierung, und den Regierungschef, der unbedingt weg gehört, „cause he has no love but corruption in his heart.“
Zurück am Hafen schlug uns Brodda noch vor, die Kirche zu besuchen: „I know da minister, Sir, you can renew your wedding vows.“ Er ermahnte uns, immer genügend love zu haben, und er umarmte uns herzlich und sehr schwitzig.
„I feel deep in my heart we’ll meet again, cause you have love and we are all one big family.“
Woran es lag, dass Ha-Gue am Abend ins Hospital musste – ob am Mittagsmahl oder am Fahrstil – werden wir wohl nie erfahren, aber er hatte seinen eigenen Vulcano und er hat Frau Dr. Hu-Hu-Was-Geht eine Eruption zu Füßen gelegt.
Brodda jedenfalls wird uns noch lange in Erinnerung bleiben: Kreuzfahrer, kommst Du nach Kingstown, frage nach Brodda, denn Brodda is good for your held, yah mon. One Love, all one big family.
In diesem Sinne ... have a nice afternoon everybody ...
one love
Morris