Heute tritt die „Crystal Serenity“ die legendäre Nordwestpassage an. Der Seeweg gilt immer noch als riskant
Vancouver. Birger Vorland ist ein sehr erfahrener Kapitän. Über 30 Jahre schon fährt der Norweger zur See, er hat alle Ozeane durchkreuzt, hat die Welt gesehen und dabei Wind, Stürmen und Wellen getrotzt. Mit Fug und Recht kann man behaupten, Vorland kann nur noch wenig beeindrucken. Doch nun steht der Kapitän vor der bislang größten Herausforderung. Heute bricht er mit dem Kreuzfahrtschiff "Crystal Serenity" auf zu einer Fahrt durch die Nordwestpassage, jenen legendären Seeweg durch die Inselwelt der kanadischen Arktis, an dem schon viele Seeleute gescheitert sind. Mit an Bord: 1070 Passagiere und 665 Besatzungsmitglieder.
Es ist ein Rekord: Noch nie hat ein so riesiges Kreuzfahrtschiff die Nordwestpassage durchquert. Mit 253 Meter Länge, 13 Decks, 535 Kabinen, Tennisplätzen, einem Pool, einem Kino, einem Nachtclub, einem Wellnesszentrum, einem Golfübungsplatz und einem Einkaufszentrum ist die "Crystal Serenity" wie eine schwimmende Stadt. Zwischen 25.000 und 155.000 Dollar bezahlen Gäste für die 32-tägige Reise, die in Anchorage in Alaska beginnt und einen Monat später in New York endet. Ausgebucht ist sie seit Monaten. "Eine Schiffsreise durch die Arktis ist immer eine Herausforderung, egal, wie häufig man schon dort war", erklärt Kapitän Vorland. Wichtig werde es sein, die Route den jeweiligen Umständen vor Ort anzupassen.
Für die Seefahrt und den Tourismus in der Arktis ist die Fahrt ein Einschnitt. Über Jahrhunderte galt die Gegend als gänzlich vom Eis eingeschlossen. 1845 scheiterte der hochdekorierte britische Seefahrer Sir John Franklin mit seinem Versuch, als erster Europäer die Nordwestpassage zu durchkreuzen. Das gelang erst sechzig Jahre später dem Norweger Roald Amundsen zwischen 1903 und 1906.
Doch seit das polare Meereis wegen der Klimaerwärmung immer schneller schmilzt, wagen immer mehr Kapitäne den gefährlichen Trip. Erstmals frei schiffbar ohne Begleitung von Eisbrechern war die Route im Jahr 2007. Letztes Jahr gelang immerhin 25 Schiffen die Durchfahrt, zumeist waren es Segelschiffe, Frachter oder kleinere Expeditionsschiffe mit maximal 300 Passagieren. Auch der deutsche Reeder Hapag-Lloyd ist mit kleineren Schiffen in der Region unterwegs.
Dabei gilt die Fahrt noch immer als riskant. Große Teile der Passage sind nicht kartografiert, Eisgang und Wetter bleiben unberechenbar. Es gibt keinen Tiefseewasserhafen, und Rettungsteams sind Tausende Kilometer weit weg. Als im Sommer 2010 das Expeditionsschiff "MV Clipper Adventurer" in der Region auf Grund lief, brauchten die Einsatzkräfte fast zwei Tage, um zu den 130 Passagieren zu gelangen.
Der US-Kreuzfahrtriese Crystal Cruises aus Los Angeles hat die Fahrt daher seit Jahren akribisch im Simulator vorbereitet. Eigens angeheuert wurde auch der britische Eisbrecher "RRS Ernest Shackleton", der die Fahrrinne, wenn nötig, frei halten soll.
An Bord des Begleitschiffs befinden sich für den Fall der Fälle zwei Hubschrauber, Ausrüstung zur Bekämpfung einer Ölpest und Notfallrationen für alle Passagiere für drei Tage. Wenn es darauf ankommt, könnten bis zu 500 der Passagiere auf dem Eisbrecher untergebracht werden, die anderen würden in einem der 16 Zodiac-Boote oder den Hubschraubern in Sicherheit gebracht.
Angesichts der logistischen Herausforderungen wurden auch die Inuit-Ureinwohner früh einbezogen. Nicht alle waren begeistert von der Aussicht, dass Horden von Touristen ihre kleinen Dörfer – manche mit nur wenigen 100 Einwohnern – überrennen könnten. Vorland und seine Leute haben daher die Siedlungen vorab besucht und nur diejenigen ins Programm aufgenommen, die das wollten.
"Nach allem, was man hört, haben die Veranstalter die Konsultationen sehr ernst genommen", meint der Arktisexperte der Universität Calgary, Rob Huebert. So wurde die Zahl der Besucher bei Landgängen beschränkt, und den Gästen wurde die Nutzung ihrer Mobilfunkgeräte an Land untersagt, damit die fragilen Netze nicht unter der Last der Anrufer zusammenbrechen.
Sämtlicher Müll wird wieder mitgenommen
Trotzdem war die Kritik groß, vor allem bei Umweltschützern. Denn die Arktis gilt als ein besonders fragiles Ökosystem. Die "Crystal Serenity" hat deshalb umweltschonenden Treibstoff getankt und begrenzt den Ausstoß von Treibhausgasen, indem sie besonders langsam fährt. Außerdem transportiert sie sämtlichen Müll wieder zurück in die Heimat. Abwasser lässt sich nicht vermeiden, wird aber nur fern der Küsten abgelassen.
Die Küstenwache in Kanada bescheinigte den Organisatoren eine exzellente Vorbereitung – und ist dennoch in Sorge. Denn schon stehen weitere Reeder in den Startlöchern. In der einst so abgeschotteten Region hat ein neues Zeitalter begonnen.