Die Kreuzfahrt-Reederei AIDA Cruises befindet sich seit zehn Jahren auf Expansionskurs. Mit dem Clubschiff-Konzept traf das Rostocker Unternehmen einen Nerv. Der Markt boomt. Deshalb werden neue Fahrtgebiete erschlossen.
Rostock (ddp) Ein Job auf einem „AIDA“-Clubschiff? Nein, das kam für Globetrotterin Anja Ronge-Pohl wirklich nicht in Frage. Party rund um die Uhr, schrilles Publikum, kein Platz für Etikette, das alles passte für die seeerfahrene Tourismusmanagerin nicht mit der Idee der Kreuzschifffahrt zusammen. Mit solchen Vorurteilen belächelten einst viele Branchenkenner das Ansinnen eines Rostocker Schifffahrtsunternehmens, frischen Wind in den traditionsreichen, etwas verstaubten Kreuzfahrturlaub zu bringen. Vor genau zehn Jahren ging das erste, bunt bemalte AIDA-Clubschiff auf Fahrt. Heute sind es vier, noch einmal so viele wurden auf der Meyer Werft in Papenburg als Neubauten in Auftrag gegeben.
Mit Rückenwind der Mutter Carnival Cruises ist die Rostocker Reederei AIDA Cruises auf Expansionskurs. 1,3 Milliarden Euro werden investiert, die Zahl der Passagierbetten auf Schiffen der Reederei steigt von jetzt 5400 bis 2010 auf 12 000. „Wir holen das nach, was in den anderen Ländern vor zehn oder 20 Jahren stattgefunden hat“, sagt Unternehmenssprecher Hansjörg Kunze. Die Deutschen entdeckten Urlaub auf See für sich. Waren es vor zehn Jahren unter 0,1 Prozent der Bundesbürger, die eine Kreuzfahrt buchten, sind es jetzt zwischen 0,8 und einem Prozent.
Genau genommen haben die Rostocker diesen Trend wesentlich mitbestimmt. Das erste „AIDA“-Schiff, später in „AIDAcara“ umbenannt, war eine kleine Sensation. Mit einem verführerischen Kussmund und erotischem Augenaufschlag am Bug wurde der Kreuzfahrer nicht nur zum beliebtesten Fotomotiv in den Häfen der Welt.
Die bunte, etwas freche Bemalung stand auch als Zeichen für das Leben an Bord. Erstmals auf dem europäischen Markt wurden speziell Familien mit Kindern, Großeltern mit Enkeln, mehrere Generationen und auch viele Interessengruppen von Sport- bis Kulturfans angesprochen. Das Durchschnittsalter sank von mehr als 60 auf 42 Jahre. „Da sind die Kinder nicht mitberechnet“, wie der AIDA-Präsident Michael Thamm nicht müde wird zu betonen.
Ein Kreuzfahrtschiff ohne Tischzwang und Kleiderordnung, dennoch mit Fünf-Sterne-Gastronomie und niveauvoller Unterhaltung – das Angebot für deutsche Urlauber kam genau richtig. Seit der Indienststellung der ersten „AIDA“ fährt die Flotte trotz stetiger Aufstockung mit einer Auslastung von mehr als 90 Prozent. „Die Branche funktioniert angebotsgetrieben. Das heißt, neue Schiffe ziehen neues Publikum nach“, erläutert Kunze.
Ab Frühjahr 2007 kommt das erste Schiff der so genannten Phönix-Klasse zum Einsatz, es ist größer als alle Vorgänger und bietet bis zu 2050 Passagieren plus Besatzung Raum. Wenn dafür auch das dienstälteste Clubschiff, die im Jahr 1990 in Italien gebaute und vor sechs Jahren modernisierte „AIDAblu“ verkauft wird, müssen doch langfristig neue Fahrtgebiete für die Flotte erschlossen werden. Nord- und Ostsee seien groß im Kommen, wie Thamm prognostiziert. Schon jetzt lägen diese Reviere in der Gunst deutscher Passagiere vor Mittelamerika, Karibik und Kanaren. Aber auch neue Reiseziele in Asien, Afrika und Amerika sind im Gespräch.
Immer wieder neue Länder, entspannte Gäste auf einem „stilvollen Schiff voller Pfiffigkeiten“ – letztlich habe die Sucht auch sie erfasst, sagt Anja Ronge-Pohl lächelnd. Die gebürtige Dänin ist seit Jahresbeginn Hotelmanagerin auf der „AIDAaura“. Die 36-Jährige leitet zwei Drittel der knapp 400 Crewmitglieder an. Deren Durchschnittsalter liegt mit 30 Jahren sogar noch weit unter dem des ohnehin schon jugendlichen AIDA-Publikums.
Bei Kreuzfahrten ist Deutschland noch kein Seefahrerland. Während in den USA 3,6 Prozent und in Großbritannien zwei Prozent der Bevölkerung regelmäßig Urlaub auf See verbringen, sind es in der Bundesrepublik nur 0,8 Prozent. Dennoch ist das eine große Steigerung. Vor zehn Jahren war die Zahl der deutschen Kreuzfahrer mit 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung noch verschwindend gering. Nach Expertenansicht ist der deutschsprachige Raum einer der am kräftigsten wachsenden Märkte für Seereisenanbieter.
2005 unternahmen 630 000 Bundesbürger eine Seekreuzfahrt, rund 50 000 mehr als im Jahr 2004. Im Schnitt gaben sie 1913 Euro pro Person und Reise aus, 40 Euro weniger als im Vorjahr. Das Durchschnittsalter der Passagiere betrug unverändert 48 Jahre, dagegen stieg das Alter der Flusskreuzfahrt-Touristen um ein Jahr auf 58,5 Jahre. Für Urlaub auf Flusskreuzern gaben die Passagiere pro Reise im Schnitt 1130 Euro aus. Auch hier stieg die Zahl der Gäste im Jahresvergleich, mit 325 000 waren es 20 000 Passagiere mehr als 2004.