Blaue Reise – Panoramafahrt 4 im September 2020
Kiel – Rügen – Turku – Stockholm – Kiel
Nachdem TUI gerade verkündet hat, ab Pfingsten wieder Blaue Reisen ab Kiel anzubieten, berichte ich hier von meiner Blauen Reise im letzten Jahr. Ich habe mein Reisetagebuch ein wenig in Richtung eines Reiseberichts abgewandelt, schreibe am Ende ein wenig zu den besonderen Rahmenbedingungen und ziehe ein sehr persönliches Fazit.
18.09.2020 Kiel
Es ist zwanzig vor vier. Zeit, ein Taxi zu rufen, denn mein Check-In-Zeitfenster ist von 16.00 bis 17.00 Uhr. Am Terminal ist wenig los und alles verläuft sehr schnell. Von der Gepäckaufgabe bis zum Betreten der Kabine dauert es etwa 15 Minuten. An den verschiedenen Posten halte ich lediglich die jeweiligen Unterlagen vor die Scheibe und nehme einmal für ein Foto die Maske ab. Auch bei den Sicherheitschecks geht alles ratzfatz.
Die Seenotrettungsübung ist diesmal ganz beiläufig organisiert. Nach dem Kabinenbezug soll jeder gleich zum Diamanten am Heck kommen. Dort wird in ganz kleinen Gruppen der Gebrauch der Rettungsweste mit einigen wenigen weiteren Erläuterungen vorgeführt und nach wenigen Minuten ist das Thema erledigt. Kein Vergleich zu den teilweise sehr langatmigen Massenveranstaltungen, wie ich sie von anderen Fahrten kenne.
Ich hatte bei meiner sehr kurzfristigen Buchung am „Kabinenroulette“ teilgenommen, wobei ausschließlich Balkonkabinen im Angebot waren. Die mir später zugeloste Kabine erschien auf dem Deckplan wenig attraktiv, da eingeschränkte Sicht aufgrund der Rettungsboote zu erwarten war und sie zudem über der Schaubar lag. Angesichts des Preises für eine Balkonkabine für einen Alleinreisenden war das für mich aber in Ordnung. Und dann bin ich angenehm überrascht. Die Sicht ist durch die Rettungsboote wenig eingeschränkt. Für eine Person kommt mir der Platz für Kreuzfahrtverhältnisse wirklich groß vor. Die Schaubar sollte ich während der gesamten Reise nicht in der Kabine zu hören bekommen.
Die Kabine ist in Augenschein genommen, die Bordkarte dort eingesammelt und ich drehe eine gemütliche Runde über die sonnigen Außendecks. In Erinnerung an die letzte Reise mit der Mein Schiff 1, die zugleich meine erste Tour mit TUI-Cruises war, gönne ich mir den ersten Cocktail in der TUI-Bar. Die Plätze an den Tresen der Bars sind generell gesperrt. Die Sitzplätze sind allgemein entweder ausgedünnt worden oder eben teilweise gesperrt, meist mit kleinen netten Schildern, so dass die Atmosphäre nicht leidet.
Um 18.00 Uhr gibt es ein paar Informationen, vor allem für einen Notfall, per Durchsage der Kreuzfahrt-Direktorin.
Mary-Ann und Gilbert vom Housekeeping stellen sich vor, bringen eine Rose, schlagen das Bett auf und kontrollieren u.a. das Bad. Schoki gibt es natürlich auch.
Kapitän und Kreuzfahrtdirektorin melden sich erneut und steigern die Vorfreude auf den heutigen Abend und den morgigen Tag.
19.00 Uhr war zum Ablegen angekündigt und pünktlich geht sie los, die Panoramafahrt. Genauso pünktlich geht die Sonne unter und taucht die Ausfahrt aus der Kieler Förde in stimmungsvolles Licht.
Später gönne ich mir 4 Gänge im Atlantik Classic: Shrimps-Cocktail, Ziegenkäse mit Feige, Rinderfiletsteak mit Chili-Schoko-Sauce und Pralinenschaum.
In der Schaubar will ich den Abend bei einem Cosmopolitan ausklingen lassen. Es gibt dann noch einen zweiten, denn die Live-Musik ist einfach zu gut, um zu gehen. Erst am folgenden Tag werde ich rausfinden, dass das Wave Duo und das Ocean Duo gemeinsam aufgetreten sind - klingt für mich wie eine gut eingespielte Band.
29.09.2020 Ostsee mit Rügen
Kurz nach Sonnenaufgang stehe ich draußen und genieße den Morgen. Ich gönne mir ein Frühstück im Esszimmer. Um Viertel vor Acht sind dort kaum Gäste. Ich sitze direkt an der großen Heck-Scheibe mit Blick in ein strahlendes Blau. Das Frühstück kostet 6,50 € und bietet mir u. a. ein Onsen-Ei und ein Egg-Benedikt. Mein Frühstück ist sehr gemütlich und erst als das Esszimmer sich gegen 9.00 Uhr zu füllen beginnt, ziehe ich weiter.
Die Sonne meint es gut mit uns und ich verbringe viel Zeit auf den oberen Außendecks. Wir fahren dicht unter Rügens Küste und stoppen schließlich am Kaiserstuhl. Bereits am Kap Arkona hole ich mir einen warmen Kakao mit Baileys in der Hoheluft Bar. Nach ausreichend Zeit vor den Kreidefelsen zum Fotografieren vollführt die Mein Schiff 1 eine 380° Drehung, bevor es dann Richtung Bornholm weitergeht. In der Sonne oder windgeschützt ist es richtig warm. Im Schatten oder einer windigen Ecke bedarf es dann doch einer Jacke.
Mittags esse ich im Fischmarkt: Zunächst gebackene Meeresfrüchte mit Aioli und als Hauptgang die hiesige Interpretation vom Hamburger Pannfisch. Da nicht allzu viel los ist, kann ich mir einen der angebotenen Fensterplätze aussuchen. Während ich gefühlt am Meer esse, versucht die Sonne mich zu grillen.
Zeit, aktiv zu werden. Ich nehme um 13.00 Uhr an einen Workshop teil: "Früchte und Gemüse schnitzen". Wir sind nur fünf Teilnehmer und werden toll betreut. Außerdem können wir uns so weit verteilen, dass wir ohne Masken arbeiten können. Schürze, Handschuhe und ein Tuch liegen neben dem Schneidebrett bereit. Zunächst gestalten wir einen Schwan, eine Schildkröte und einen Krebs aus Äpfeln. Äpfel sind eine dankbare Wahl und da das alles gar nicht so schwer ist, sind diese Figuren absolut für zu Hause geeignet. Das gilt auch für den folgenden Bananen-Tintenfisch. Zum Schluss gibt es ein größeres Dekowerk aus Melone, Orange und Kiwi. Ich glaube, alle anderen Teilnehmenden sind genauso zufrieden wie ich.
Um 16.00 besuche ich die erste von zwei Shows der Sandmalerin Eva Aibazova. Im Theater werden die angemeldeten Gäste platziert. Es bleiben immer jeweils drei Plätze frei. Außerdem sitzt niemand direkt hintereinander. Masken sind durchgehend zu tragen. Die Show ist wirklich großartig. Ich mag Sandmalerei sehr und bin auch hier begeistert. Besonders gefällt mir, dass die Figuren bei Aibazova einander stets zugewandt sind, Händchen haltend, miteinander.
Die Vorstellung der leitenden Offiziere erfolgt diesmal per Video-Einspieler während der Abendschau, die live auf die Kabinen übertragen wird, wo auch ich gerade ein wenig die Beine hochgelegt habe. Angekündigt sind allabendliche Informationen und Gespräche mit Crew-Mitgliedern und Gastkünstlern.
Nach dem das Essen heute ziemlich reichlich ausgefallen ist, entscheide ich mich für ein kleines Abendbrot im Atlantik Mediterran: Auf zwei Hummerravioli folgen drei Scheibchen Entenbrust.
Danach nutze ich das Angebot, in der TUI Bar das obligatorische Begrüßungsfoto nachzuholen. Derweil passieren wir Gotland, was aber mit dem bloßen Auge nicht auszumachen ist.
Ich schaue mir im Bord-TV die Live-Übertragung des Komikers Glenn Langhorst mit "Frau zum Mitreißen gesucht" aus der ausgebuchten Schaubühne an (wir teilen nicht den selben Humor), bevor ich ins Theater aufbreche. Der deutsche Zauberer-Meister Alexander Merk hat zur Show "Merkwürdig" geladen. Sein Stil ist ein wenig eigenartig. Ich gehöre wohl nicht zur Hauptzielgruppe und bin mir unschlüssig, ob ich die Reservierung für die zweite Show aufrechterhalten werde.
Es ist längst dunkel und ein wenig Wind geht auch. Die letzten geöffneten Bars sind gleichwohl gut besucht. Ich lass mich bei einem Spaziergang über die oberen Außendecks erfrischen und wähle dabei die ruhigeren Ecken.
20.09.2020 Turku
Auf Kreuzfahrten bricht das ansonsten mir unbekannte Frühaufsteher-Syndrom immer wieder unverhofft durch.
Ich öffne um 6.00 Uhr die Augen und schaue auf die Pastelltöne des Meeres, des Himmels und der bald aufgehenden Sonne. Was für ein toller Start in den Tag. Während ich noch überlege, ob ich das weiterhin aus dem Bett genieße oder zum Sonnenaufgang aufstehe, werfe ich einen Blick auf die drei Bordkamera-Kanäle des Bord-TV. Drei einsame Gäste ziehen dort ihre Bahnen im Hauptpool. Total verlockend. Damit ist die Entscheidung gefallen. Kurz nach Sonnenaufgang stehe ich unter der Dusche auf dem Pooldeck. Im ersten Moment ist der Pooleinstieg doch etwas frisch, aber als ich ganz drinnen bin, ist es einfach herrlich. Und während die Masken ansonsten doch eine Kommunikationsbarriere zu sein scheinen, was mir sehr bei der ansonsten üblichen Fahrstuhl-Kommunikation auffällt, ist die Welt im Pool noch in Ordnung. Es mag auch an dem kleinen Kreis der Schwimmenden um diese Uhrzeit liegen, deren Altersdurchschnitt ich mit meinen nicht einmal 50 Jahren deutlich senke, aber hier wird jeder freundlich gegrüßt und - mit Abstand, der auch beim Schwimmen eingehalten wird - ein wenig leichte Konversation betrieben.
Nach einer ausgiebigen Dusche und einem kleinen Frühstück im Atlantik Klassik suche ich mir ein lauschiges Plätzchen in der Nähe der Unverzichtbar. Mit einem "Schoko-Traum", dem hiesige Highlight-Cocktail und meinem Buch genieße ich dort den Vormittag. Tatsächlich schau ich viel auf die finnische Inselwelt und lese eher wenig. Trotzdem ist es plötzlich 11.00 Uhr und ich ziehe weiter.
Heute steht Kultur auf dem Fortbildungsprogramm.
Statt Mittagessen nehme ich nämlich an der Fleischverköstigung teil. Überraschenderweise ist es auch eine Salzverköstigung. Das war zwar in der Beschreibung angekündigt, wurde von mir aber völlig unterschätzt. Es macht wirklich etwas aus, welches Salz man nutzt, wie ich bei jedem Stück Fleisch erschmecken durfte. Es gibt Wissenswertes zu Chianina-, Wagyu- sowie Pommernrind und danach Donald-Russel-Lamm und Iberico-Schwein. In kleiner Runde von 5 Leuten hatten wir quasi eine Privatveranstaltung im Surf and Turf Steakhouse. Fünf Stücke Fleisch sind genau meine Grenze. Mehr hätte ich nicht genießen können. Brot und Wein runden alles ab.
Auf der Kabine schnappe ich mir meinen Bord-Beutel und versuche den Ruhepol zu finden. Auf der Ecke des Schiffes bin ich sonst nicht. An einem gemütlichen Fensterplatz im Lümmelsessel mit Fußhocker machen mein Buch und ich es uns dort gemütlich. Nebenbei ist der dortige Highlight-Cocktail eine echte Entdeckung für mich. Der Smokey Apple Twist schmeckt wie der geilste Apfelsaft der Welt. Mit dem tollen Ausblick auf die Schären rund um Turku bleibe ich lange dort.
Und bevor ich dann dort einschlafe, ziehe ich mich für ein Nickerchen auf die Kabine zurück.
Nach einem Burger im Tag und Nacht zum Abendbrot besuche ich die Swing-Show des stimmstarken Duos Volce di Mare. Für meinen Geschmack fehlt den beiden die Leichtfüßigkeit des Swing. Hinzu kommen leider auch ein paar unfreiwillig komische Momente. Wie die Darbietung so verlaufen konnte, ist mir hinterher ein Rätsel. Die beiden wirken erfahren, die Stimmen haben ohne jeden Zweifel viel Kraft und ich kann mir das Duo wirklich gut für einen großen Gala-Abend in einem Mein-Schiff-Theater vorstellen. Vielleicht war es der Swing oder einfach nur Pech. Ich hätte mir jedenfalls die zweite Show auch angesehen, wenn sie nicht abgesagt worden wäre.
Als ich auf die Kabine zurückkehre, ist alles längst für die Nacht vorbereitet worden. Das ist schade, denn heute haben Mary Ann und Gilbert vom Housekeeping Großes vollbracht. Im wahrsten Sinne des Wortes. Als Handtuch-Tier gab es heute nämlich einen riesigen Elefanten. Ganz, ganz großartig. Sogar mit feinen Details, wie den Elefantenohren.
Mit meinem Buch gehe ich schließlich ins Bett und lausche im Bord-TV der Musik aus der Schaubühne.
21.09.2020 Stockholm
Die Sonne scheint meine Nase zu kitzeln. Ich öffne die Augen und bin begeistert vom Sonnenaufgang. Zufrieden drehe ich mich um und schlafe noch eine Runde. Gut erholt beginne ich den Tag mit einem späten Frühstück im Anckelmanns Platz. Wie so oft auf dieser Reise ist es überhaupt kein Problem, einen Fensterplatz zu bekommen. Das Buffet-Essen unter Corona-Bedingungen ist weniger aufwendig als ich vermutet habe. An den verschiedenen Essenstationen steht Personal bereit, dass nach Wunsch den Teller befüllt. Wenn man nun mehrere Stationen in einem Rutsch ansteuern möchte, hat man entsprechend mehr Teller. Da ich erst Warmes und später ausschließlich Kaltes nehme, komme ich immer nur mit einem Teller zur Zeit zum Platz zurück. Ich bleibe bis zum Ende der Öffnungszeit um 11.00 Uhr, was auch an der schönen Aussicht auf die Schärenlandschaft liegt.
Diese schaue ich mir nun zunächst von der Unverzichtbar aus weiter an. Danach nehme ich mir noch einen Mosquito von der Bar mit und wechsle auf meinen Balkon. Deck 6 ist deutlich dichter am Wasser und ich habe einen erstaunlichen Perspektivwechsel.
Auf dem Weg durch die Schären kommt uns die MS Europa entgegen. Die kenne ich bisher nur von Bildern.
Die Schärenfahrt habe ich vor einem Jahr bereits genießen können, allerdings nicht zu einer derart schönen Tageszeit. Die Schären sind für sich schon eine Reise wert. Herrlich!
Einen wirklich ganz besonderen Moment gibt es in Stockholm: Ein Schwesterntreffen mit der Mein Schiff 2. Während wir am Pier liegen, kommt die MS2 auf uns zu, passiert uns und wendet hinter unserem Heck an der Wendetonne. Danach kommt sie auf erstaunlich wenige Meter längsseits. Die Passagiere beider Schiffe stehen an Deck oder den Balkons, winken, klatschen, rufen, pfeifen. Ich bin richtig berührt. Ganz großes Kino für mich.
Die Ausfahrt genieße ich weiterhin auf meinem Balkon und schaue um 17.00 die Live-Übertragung aus der Showbühne, die heute die klassische nautische Fragestunde ersetzt. Gefällt mir gut. Der Kapitän macht das richtig sympathisch und mit seinem Humor und niedlichen maltesischem Akzent ist das eine runde Sache.
Zum Abendbrot gehe ich wieder ins Atlantik Klassik: Wildterrine, Satayspieß, Steak und Birne Helene. Zwischen den Gängen schaue ich zu, wie die Welt draußen langsam im Dunkeln versinkt. Eine dreiviertel Stunde verbringe ich in der Lumas Bar und teste auch dort den Highlight-Cocktail, der mir zu süß ist.
Ich bin dann doch zur zweiten Show von Alexander Merk gegangen und kann jetzt auch besser erklären, was mir nicht gefällt. Er zieht seine Show anders auf, als ich sie erwarteten würde. Er konzentriert sich mehr auf einige wenige Tricks und Trickarten. Diese ballert er auch nicht einfach raus, sondern kleidet sie in mehrminütige Geschichten. Und insgesamt legt er mehr Wert auf eine Unterhaltungsshow als auf eine klassische Zaubershow. Seine kleinen flachen Witze sprechen mich interessanterweise mehr an als die Verpackungsgeschichten. Richtig unterhalten hat mich seine Zugabe, die im Grunde genommen nur aus der Wiederholung desselben Tricks besteht, aber hier zündet plötzlich das Gesamtwerk der Nummer bei mir. Jetzt hätte ich noch lange zuschauen mögen.
Zum Ausklang des Tages setze ich mich in die TUI Bar und tatsächlich kommt eine nette kleine Unterhaltung mit dem nächsten Tisch zustande, was schon aufgrund der Abstandsregeln kaum möglich ist (genau genommen ist es hier der übernächste Tisch). Diese Rahmenbedingungen verleihen dieser Reise schon einen anderen Charakter.
22.09.2020 zweiter Seetag
Zum letzten Mal auf dieser Reise gilt mein erster Blick den Pastelltönen des jungen Tages. Die aufsteigende Sonne hat mit zunehmender Wolkenbildung zu kämpfen. Eine halbe Stunde später entstehen erstaunliche und sehr vergängliche Bilder, wenn die Sonnenstrahlen durch die Wolken brechen, teilweise wie scharf mit dem Lineal gezogen. Meine Handy-Kamera ist hoffnungslos überfordert.
Mitunter erlebt man ja unabhängig von der Urlaubsart Sachen mit seinen Mitreisenden, die man sich gar nicht ausdenken könnte. Da bildet diese Reise keine Ausnahme. Auf dem Weg zur Fotobestellung und zur täglichen Temperaturmessung steht ein Paar vor dem Tag und Nacht Bistro und scheint zu überlegen, ob sie draußen frühstücken wollen. Und dabei fällt der Satz "Aber warum baut man so was immer im Schatten." Ich gebe zu, ich werde langsamer, um ein wenig weiter zu lauschen. Das Gespräch geht weiter in dieselbe Richtung. Ich hatte mich nicht verhört. Mit Gedanken über die architektonischen Herausforderungen, die der Bau einer stets sonnenbeschienenen Terrasse auf einem Kreuzfahrtschiff mit sich bringen dürfte, mache ich mich später auf ins Theater zum Vortrag "Faszination Transatlantik - das blaue Band" des Lektors Marcus Kummerer. Hat mir richtig gut gefallen. Der Mann hat nicht nur was mitzuteilen und begleitet sich mit interessanten Bildern, sondern er kann auch gut erzählen.
Nach dem Vortrag hat die Sonne die Wolken verdrängt und als Mittagessen gönne ich mir einen Eisbecher in der Eisbar. Danach wechsle ich auf die andere Seite und genieße den Sonnenschein vor der Unverzichtbar mit meinem zweiten Buch und leckeren Getränken. Mit dem Gedanken bin ich natürlich nicht allein. Das Pooldeck füllt sich schnell und es verbreitet sich eine richtige Sommer-Kreuzfahrt-Stimmung einschließlich der Liegensuche unter Corona-Bedingungen. Um 15.30 Uhr kehre ich der Sonne den Rücken und ein älteres Ehepaar freut sich richtig, die schönen Plätze übernehmen zu können. Sehr niedlich die beiden, ich freue mich gleich mit.
16.00 Uhr. Die letzte Theater-Show der Reise für mich ist die zweite Sandmalerei-Darbietung von Eva Aibazova. Nach der ersten war ich schon begeistert und bin es auch nach der zweiten. Ganz, ganz toll.
In der Abendshow, die ich wieder von meinem Sofa aus verfolge, geht es heute um Handtuchtiere. Ich mag so was total. Jeden Tag bin ich gespannt, welches Tier Mary-Ann und Gilbert diesmal zaubern.
Gegen Abend verbringe ich viel Zeit draußen. Der Himmel ist wolkenlos und die Sonne taucht als knallroter Ball ihre Umgebung in fantastische Farben. Ich bleibe, bis sie völlig in der Ostsee versunken ist.
Beim Bingo in der Schaubar ist mir das Spielglück nicht hold. Macht aber auch nichts. Ich sitze gemütlich auf der Bank bei einem Cocktail und kann nebenbei aufs dunkle Meer schauen. Wieviel Glück braucht ein Mensch?
Zu Abschluss der Reise erlebe ich mein persönliches Highlight!
Das Ocean-Duo soll in der Diamantbar spielen. Tatsächlich stehen die beiden am Rande des Mittelganges mit dem Rücken zum Steakhouse und dem Blick zur Pizzeria. Mag abfällig klingen, aber die beiden tun mir echt leid, wie sie da gegen Restaurantgemurmel und Besteckgeklapper anspielen. Es gibt hier nur wenig Sitzmöglichkeiten. Einige wenige Sessel sind zu Zweiergruppen am Rand des Durchganges drapiert. Ich nehme mir einen Sessel und ein junges Pärchen gesellt sich zur nächsten Sitzgruppe. Und dann nimmt der Abend seinen Lauf. Wenn erstmal einer klatscht, dann folgt auch Beifall der Essenden. Außerhalb meiner Sichtweite müssen noch einige Passagiere an der Diamantbar ebenfalls begeistert den beiden lauschen. Es entsteht irgendwie doch noch ein würdiger Rahmen, eine schöne Atmosphäre. In einer Pause tauschen meine Sitznachbarn und ich uns begeistert aus – trotz der Entfernung unserer Sitzinseln. Wir fühlen uns wie in einem sehr privaten Konzert vis a vis mit dem Ocean Duo. Die beiden nehmen uns mit ihrer Musik völlig ein. Vor allem angesichts der Rahmenbedingungen eine unfassbare Leistung. Traumhaft. Danke!
23.09.2020 Kiel
Nach einem entspannten Frühstück im Anckelmanns mit Fördeblick drehe ich noch ein paar Runden durch das nahezu menschenleere Schiff und die verwaisten Sonnendecks. Pünktlich zu der im Voraus gebuchten Auscheckzeit verlasse ich das Schiff.
Ich bin wieder zu Hause.
Ich war nur wenige Tage weg, habe aber das Gefühl vollständig runtergefahren und völlig neu aufgeladen zu sein.
Ein paar Worte zum Hygienekonzept an Bord:
Vorweg war ein negativer PCR-Test einzuholen, was zu diesem Zeitpunkt noch etwas sehr Exotisches war. Ich wurde aus meinem Umfeld viel gefragt, wie sich das denn so angefühlt hat. Ich habe den Test im Rahmen des TUI-Angebots in der hiesigen Helois-Klinik gemacht. Ging in meinem Fall ohne Anmeldung, allerdings wird schon eine Voranmeldung empfohlen, um Wartezeiten zu vermeiden.
An Bord habe ich mich auch in dieser Hinsicht sehr gut aufgehoben gefühlt. Vor allem in Vergleich zu dem normalen Alltag (Arbeit, Schule, ÖPNV, Einkauf, …).
Seitens TUI-Cruises wurde deutlich über das hinausgegangen, was zu diesem Zeitpunkt an Land vorgeschrieben war. Kurz nach meiner Rückkehr wurde landesweit diskutiert, was zu tun sei, wenn der katastrophale 50er-Inzidenzwert tatsächlich überschritten werden sollte (schon interessant, wenn man bedenkt, dass ein halbes Jahr später derselbe Wert fast schon die Glückseligkeit zu versprechen scheint). Vieles davon, was damals als harte Maßnahmen im Gespräch war, war bereits gelebter Alltag an Bord. Und das fühlte sich nicht schlecht an.
Neben der generellen Maskenpflicht für Crew und Passagiere (ausgenommen an den Tischen und bei ausreichendem Abstand auf den Außendecks sowie in der eigenen Kabine) wurde allerseits auf den Abstand geachtet. Hinzu kam noch Allerlei mehr: täglich pflichtiges Fiebermessen für alle vormittags in der Abtanzpaar, auffällig viele Reinigungsarbeiten, Bar-Karten per QR-Code, Speisekarten per QR-Code oder auf Einweg-Papierkarten, Hygienekontrollen und Registrierung an Restaurant-Eingängen und an weiteren Veranstaltungsstationen, teilweise Einbahnstraßen-Regelungen, freie Reihen zwischen Bühnen und Publikum, überall auffällig wenig Gedöns zum Angrabbeln, Reduzierung der Besucherzahlen bei Veranstaltungen oder auch im Pool oder Fahrstuhl und vieles mehr.
Ich habe den Verdacht, dass für den ersten Tag die am grimmigsten oder strengsten dreinblickenden Crewmitglieder für die Restaurantzugänge ausgesucht worden sind. Händewaschen, Desinfizieren, Kabinennummern erfassen usw. wurde unter kritischem Blick mit nachdrücklichen Worten betont streng gehandhabt. Eine klare Ansage, die sich wahrscheinlich bezahlt macht. Nach meiner Wahrnehmung wussten nun alle, woran sie sind und die weiteren Tage waren diesbezüglich für beiden Seiten einfacher.
Mein Fazit:
Es mag daran gelegen haben, dass sich alle Gäste bewusst und freiwillig auf eine Reise unter besonderen Bedingungen eingelassen haben. Jedenfalls mache ich der Crew und den Mitreisenden ein großes Kompliment. Es ist schon faszinierend, wie beiläufig sich die Corona-Schutzmaßnahmen anfühlen können, wenn alle völlig unaufgeregt und selbstverständlich mitmachen. Zumal vieles damals noch sehr ungewohnt für alle war (schon erstaunlich, wie sehr sich der Alltag seitdem verändert hat).
Es war eine unglaublich entspannende Reise und eine großartige Auszeit für mich. Ich habe selten so schnell und so umfassend abgeschaltet. So hatte ich mir es erhofft und es hätte also gar nicht besser laufen können. Das Wetter war auch super und die Schleichfahrt vor Rügen, die skandinavischen Schären und natürlich die Stockholm-Passage waren traumhaft.
Die Künstler taten mir allerdings schon leid, wenn sie vor kleinster Kulisse aufgetreten sind. 40 Leute im Theater, die zudem noch weiter hinten sitzen, sind von der Bühne aus wahrscheinlich kaum wahrnehmbar. In den ausgedünnten Bars war es für sie vielleicht etwas besser. Als Passagier fand ich es dagegen großartig, mal wieder Livemusik in Baratmosphäre zu genießen.
Zu dieser Blauen Reise gehörte eine völlig veränderte Kommunikation. Aufgrund der Abstandsregelungen war es schon räumlich schwierig ins Gespräch zu kommen. Zudem schien die Maske (die zum damaligen Zeitpunkt ja bei weitem nicht den Status wie jetzt im Frühjahr 2021 hatte) eine gedankliche Barriere darzustellen. Ein Beispiel waren die Fahrstuhlgespräche. Klassisch ja eher mit verbaler Begrüßung und Verabschiedung, vielleicht noch etwas Smalltalk zu Wetter oder Essen, beschränkten sie sich nun stark auf eher nonverbale Gesten, wie einem freundlichen Zunicken. Gespräche unter Passagieren mit Maske fanden eher wenig statt.
Dafür habe ich selten derart viel mit der Crew sprechen können. Das ist jetzt zwar Spekulation, aber ich vermute, dass es auch mit dem reduzierten Passagieraufkommen zusammenhing. Klingt jetzt vielleicht etwas platt, aber ich hatte das Gefühl, dass sich hier alle auf die Passagiere (und die Möglichkeit, arbeiten und Geld verdienen zu können) gefreut haben und der Job im Moment nicht den üblichen Stresslevel hatte. Ich bin jedenfalls sehr dankbar für diese Gespräche, die von fachlichen Themen (wenn der Barkeeper begeistert mit mir seine Ideen für eine Abwandlung eines Cocktails erörtert) bis hin zu Persönlichem (meist über die Familie und Existenzsorgen) reichten. In so einem Moment dürfte auch dem letzten Gast klar werden, was für ein privilegiertes Leben er führt.
Meines Wissens hatte keine andere Reederei einen derartigen Betrieb gewagt. Auf meiner Tour sollen 770 Passagiere an Bord gewesen sein. Zugelassen wäre auf diesen Blauen Reisen das Doppelte gewesen, worauf auch das Angebot an Sitzplätzen usw. ausgerichtet war. Im Vergleich zur normalen Kapazität entspricht dies gerade mal einem Viertel.
Auffällig war, wie flexibel der Personaleinsatz angepasst wurde. War z. B. trotz Sonnenschein an der Eisbar wenig los, erfolgte am nächsten Tag keine Bedienung mehr am Platz. Auch die Restaurantzeiten wurden schnell nachjustiert. Das tat dem Angebot allerdings keinen Abbruch. In einem menschenleeren Atlantik zu essen, wäre vielleicht sogar der Atmosphäre abträglich gewesen.
Bei einer Blauen Reise mit der MeinSchiff-Flotte empfehle ich, sich noch genauer als üblich über diese Urlaubsart Gedanken zu machen. Eine Reise ohne Landgang verändert das Kreuzfahrterlebnis ungemein. Für mich hat das zu diesem Zeitpunkt genau gepasst. Als Familienurlaub könnte ich es mir dagegen nur begrenzt vorstellen.